„Bin Druck gewohnt“
Raphaela Edelbauer vertritt als einzige Österreich.
Auf ihren Schultern lasten die Hoffnungen Österreichs bei den 42. Tagen der deutschsprachigen Literatur: Raphaela Edelbauer. Die 1990 geborene Wienerin ist diesmal die einzige Österreicherin. Von den übrigen 13 Kandidatinnen und Kandidaten kommen neun aus Deutschland, zwei aus der Schweiz und jeweils eine aus der Türkei und der Ukraine. Wie geht die junge Autorin mit der Last der Erwartungshaltung um? Relativ entspannt. Sie verspürt zwar den Druck, der von der medialen Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwird, ausgeht, aber sie lässt sich davon nicht beirren, sagt sie. Als Ruderin sei sie es gewohnt, Gegendruck zu erzeugen: diesmal mit der sprachlichen Qualität und politischen Relevanz ihres Textes. „Um die gruppendynamischen Prozesse beim Bachmann-Preis habe ich mich nie gekümmert.“Nur die Texte, die in den vergangenen Jahren vorgetragen wurden, habe sie sich angeschaut.
Dabei habe es sie erstaunt, dass Texte verrissen worden sind, die sie als „bombensichere Bank“angesehen hätte, während andere, denen sie kaum Chancen eingeräumt hätte, in einer Weise hochgelobt wurden, „dass man sich an den Kopf greifen will“. Das hat einerseits mit den Wettbewerbsregeln, andererseits mit der Gruppendynamik in der Jury zu tun. Einige aus der siebenköpfigen Jury prügeln die Texte, die sie aus- gewählt haben, bis in die Shortlist, auch wenn die Kollegenschaft sie in der Diskussion bereits zerpflückt hat. Andere wiederum schwenken relativ rasch um. Zum Glück hat die einzige österreichische Kandidatin Österreichs in diesem Jahr einen meinungsstarken Juror als Mentor: Der Grazer Literaturprofessor Klaus Kastberger zeichnet sich durch Witz und Lust an der Polemik aus. Bei ihm hat sich Raphaela Edelbauer unaufgefordert beworben und wurde zu ihrer Überraschung eingeladen.
Eine „Umwälzung“in der Jury
Die übrige Jury besteht neben dem langjährigen Vorsitzenden Hubert Winkels aus Stefan Gmünder, Hildegard Elisabeth Keller und Michael Wiederstein. Neu in der Jury sitzen die Bachmann-Preisträgerin von 2015, Nora Gomringer, sowie die deutsche Literaturkritikerin Insa Wilke. „Fast schon eine Umwälzung“, sagt Edelbauer schmunzelnd.
Die Annalen der berühmtesten Literaturveranstaltung des Landes, so lässt sich relativ gefahrlos prognostizieren, werden beim diesjährigen Wettlesen kaum Skandale oder Sensationen verzeichnen. Seit den Aufregungen um den Fortbestand des Lesewettbewerbs vor ein paar Jahren ist es ruhig geworden im und um das Klagenfurter ORFTheater. Die Anzahl der Teilnehmer und Juroren wurde verringert, der Veranstaltungstermin verschoben, die Sendezeiten komprimiert, und im Übrigen hat 3sat
die weitere Ausstrahlung zugesagt. Seither eröffnen die Tage der deutschsprachigen Literatur die Touristensaison, nicht selten zeitgleich mit internationalen Fußballwettbewerben, was dem Zulauf des Fernsehpublikums zur Übertragung der Lesungen samt anschließenden Debatten darüber kaum zuträglich ist.
Und wie bereitet sich die Kandidatin darauf vor, dass ihr Text tranchiert werden könnte? Theoretisch hat sich Raphaela Edelbauer mit Literatur während ihres Studiums am Institut für Sprachkunst bei Robert Schindel an der Universität für angewandte Kunst beschäftigt. Praktisch hat sie für ihren Prosaband „Entdecker“im Frühjahr den Rauriser Literaturpreis zuerkannt bekommen. Weit gediehen ist ihr Debütroman. Doch nicht daraus wird sie in Klagenfurt lesen, sondern sie wird einen eigens für den Wettbewerb geschriebenen Text vortragen.
Der fragt danach, wer unsere Erinnerung formt. Wie gelangen Informationen aus der Vergangenheit an die junge Generation, und zu welchen Einbrüchen führt das? Wenn zum Beispiel junge Identitäre, so erinnert Raphaela Edelbauer an einen Fall aus dem Vorjahr, ein Schiff chartern, um Flüchtlingsboote zurück nach Afrika zu drängen:
DER BACHMANN-PREIS
„Wieso handeln diese Identitären so, als würden sie 1929 auf der Straße paradieren? Welche sprachlichen Muster haben sich da erhalten“, fragt die Autorin, die sich selbst als „Schriftstellerin der Sprache“bezeichnet. „Ich beschäftige mich mit sprachlichen Phänomenen und ihren Unterströmungen, und schaue, wie die Verzerrungen in gewissen Sprachstrukturen sich gesellschaftlich manifestieren.“Ein brisantes Thema. Ob sie damit den Bachmann-Preis gewinnen kann?
Von Bachmann- bis Publikumspreis
Mit dem olympischen Gedanken, dabei sein sei alles, fährt sie nicht an den Wörthersee. Sie möchte schon einen Preis bekommen, am liebsten natürlich den Hauptpreis. Und wenn’s der Publikumspreis wird? „Ich habe gehofft, nicht danach gefragt zu werden“, lacht sie. Ihrem Gesichtsausdruck ist zu entnehmen, dass sie sich mit der Rolle als Stadtschreiberin von Klagenfurt ungern zufriedengeben würde. Man kann der Aufmerksamkeit für die eigene Person aber auch nachhelfen. So mancher Autor in der Geschichte des Wettlesens hat sich durch Aktionismus in Szene zu setzen versucht: von Rainald Goetzens Ritzungen bis zur Bierflasche Franzobels. Erfahrung damit hätte Raphaela Edelbauer, hat sie doch bei ihrer Literaturperformance „Literazah“drei Stunden Gewichte gehoben, während sie Texte vortrug. Das wird sie im ORF-Theater nicht tun, versichert sie, es passt nicht zum Thema ihres Textes: „Zur Frage, wer formt unsere Erinnerung, einen Ausdruckstanz zu machen, wäre wohl kaum das Richtige“, meint sie.
Und wie kommt der Oktopus auf ihre Homepage? „Ich mag Oktopusse einfach wahnsinnig gern, die haben so viele Arme. Das erinnert mich an: Hans Dampf in allen Gassen.“