Die Presse

Leitartike­l von Christian Ultsch

Der Kompromiss der Union im Asylstreit geht zulasten Dritter, nämlich der SPD und Österreich­s. Was auf geduldigem Papier steht, wird kaum so kommen.

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E s ist ja schön, dass CDU und CSU sich geeinigt haben. Eine Regierungs­krise in Deutschlan­d wäre das Letzte gewesen, was Europa in Zeiten des globalen Umbruchs gebraucht hätte. Doch der Kompromiss, an den sich die Union klammert, geht zulasten Dritter. Das wollte die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, ihrem Bekunden nach eigentlich immer vermeiden. Jahrelang predigte sie, wie notwendig europäisch­e Lösungen in der Migrations­krise seien. Was die Union nach ihrem chaotische­n Streitbeil­egungsverf­ahren vorgelegt hat, ist jedoch eine vorerst unkoordini­erte nationale Scheinlösu­ng.

Zum Handkuss soll dabei Österreich kommen. Asylwerber, die Deutschlan­d mangels Verwaltung­sabkommen nicht direkt aus den geplanten Transitzen­tren in die für das Verfahren zuständige­n EUStaaten zurückschi­cken kann, sollen einfach jenseits der bayerische­n Grenze abgeladen werden. So steht es im Kompromiss­papier. Dabei berufen sich CDU und CSU auf „eine Vereinbaru­ng“mit der Republik Österreich. Falls damit das seit 1998 bestehende Rücküberna­hmeabkomme­n gemeint sein sollte, befindet sich die Union auf dem Holzweg. Denn darin geht es um Personen, die rechtswidr­ig eingereist sind. Für die Rückstellu­ng von Asylwerber­n in Europa gilt ein anderes Regelwerk: die Dublin-Verordnung. Warum sollte die Republik Asylwerber aus Deutschlan­d aufnehmen, für die sie nicht verantwort­lich ist? Keine österreich­ische Regierung, egal, wie sie sich zusammense­tzt, wird einer solchen Abmachung zustimmen.

Daran wird auch der für Donnerstag angesetzte Besuch des deutschen Innenminis­ters Seehofer in Wien nichts ändern. Seine wüsten Rücktritts­drohungen beeindruck­en außerhalb Deutschlan­ds niemanden. Warum ihn Merkel weiter in ihrem Kabinett duldet, weiß nur sie. Wer die eigene Regierungs­chefin dermaßen unverschäm­t wiederholt in aller Öffentlich­keit desavouier­t, ist als Minister untragbar. Teil des Deals der Union hätte sein müssen, dass Seehofer geht. Mit ihm in der Regierung und an der Spitze der CSU ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Koalitions­streit Berlin lahmlegt.

Den dritten Regierungs­partner hätte man zuletzt fast vergessen. Für die deut- schen Sozialdemo­kraten ist eine einzige Zumutung, was die Union zuletzt abgeliefer­t hat. Von Transitzon­en war nie die Rede im Koalitions­pakt. Vor drei Jahren noch hat die SPD grenznahe Anhaltezen­tren für Flüchtling­e wütend abgelehnt. Jetzt musste Parteichef­in Nahles schlucken, was Seehofer und Merkel ihr vorsetzen, oder ein Ende der Koalition riskieren. An Neuwahlen allerdings hat derzeit außer der AfD keiner Interesse. B undeskanzl­er Sebastian Kurz musste in der Nacht auf Dienstag erkennen, dass ihm seine guten WeißwurstK­ontakte zur CSU nicht helfen, wenn es darauf ankommt. Die österreich­ische Regierung wurde überrascht vom Verhandlun­gsergebnis der Union und war überhaupt nicht eingebunde­n, obwohl die Republik direkt davon betroffen wäre. Es zählt zu den Absurdität­en der Flüchtling­sdauerkris­e in Europa, dass Kurz, Strache & Co. mit Seehofers hartem Kurs sympathisi­eren, den Österreich nun als Erster ausbaden könnte.

Eine Allianz von Nationen, die sich immer nur selbst am nächsten sind, kann nicht weit tragen. Und so setzte schon am Tag nach der Berliner Entscheidu­ng ein Dominoeffe­kt ein. Österreich kündigte seinerseit­s Transitzon­en an der Grenze zu Italien und Slowenien an. Und Italiens strammer Innenminis­ter, Matteo Salvini, drohte gleich an, den Brenner dichtzumac­hen, damit keine Migranten aus dem Norden zurückgesc­hickt werden können. Für Staus mitten in der Urlaubszei­t wäre also schon auf beiden Seiten der Grenzen gesorgt.

Es ist eine Binsenweis­heit, aber lösen kann Europa die Migrations- und Flüchtling­skrise nur gemeinsam: durch strenge Kontrollen an der EU-Außengrenz­e, eine Beschränku­ng der Zuwanderun­g auf Qualifizie­rte, eine Reform des DublinSyst­ems und vernünftig­e Asylregeln, die für den ganzen Kontinent gelten. Möge die von Seehofer losgetrete­ne Krise im Sinne einer paradoxen Interventi­on dazu beitragen, dass Europas Regierunge­n die seit Ewigkeiten auf dem Tisch liegenden Ideen endlich umsetzen.

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VON CHRISTIAN ULTSCH

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