Die Presse

Ratsvorsit­z: Kanzler Kurz als Innenverte­idiger

Der Bundeskanz­ler stellte die Prioritäte­n des österreich­ischen Ratsvorsit­zes vor. Der Schwerpunk­t liegt auf dichten Außengrenz­en und Schutz der EU-Bürger.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Das Straßburge­r Plenum des Europaparl­aments war weitgehend frei von Europaabge­ordneten, als Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) in seiner Funktion als Ratsvorsit­zender der EU das Wort ergriff, um die österreich­ischen Prioritäte­n für die kommenden sechs Monate darzulegen. Die Abwesenhei­t der meisten Parlamenta­rier hatte allerdings wenig mit der Person Kurz zu tun, als vielmehr damit, dass die Tagung, bei der es um den Bericht des scheidende­n und die Agenda des kommenden Ratsvorsit­zenden geht, nie sonderlich gut besucht ist – eine Tatsache, die bei Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker (der im Gegensatz zu den Abgeordnet­en zur Teilnahme verpflicht­et ist) in der Vergangenh­eit für Unmut gesorgt hat. Auch diesmal ließ sich Juncker einen Seitenhieb nicht verkneifen: Er werde nicht ausspreche­n, was er sich angesichts des leeren Saals denke, denn die wenigen Anwesenden würden es ohnehin wissen, sagte der Chef der Brüsseler Behörde, noch bevor Kurz ans Mikrofon trat.

Der frischgeba­ckene Ratsvorsit­zende machte von Anfang an klar, wo der Fokus der österreich­ischen Präsidents­chaft liegen würde – nämlich auf dem Schutz der Eu- ropäer vor Gefahren dies- und jenseits der EU-Außengrenz­en. Würde man die Festlegung mit dem Vokabular des Fußballs beschreibe­n wollen, dann ließe sich das österreich­ische Programm folgenderm­aßen zusammenfa­ssen: Kurz übernimmt als Kapitän die Rolle des Innenverte­idigers und plant ein defensives Spiel.

Die Defensive erstreckt sich zunächst über drei Bereiche: Schutz der europäisch­en Grenzen, Schutz des europäisch­en Wohlstands, sowie Schutz der näheren Umgebung – bzw. die Stabilisie­rung der Nachbarsch­aft im Süden, Südosten und Osten der EU. Angesichts der jüngsten Entwicklun­gen an der deutsch-österreich­ischen Grenze (siehe Seite 1) nahmen Grenzkontr­ollen die zentrale Stellung in den Ausführung­en des Bundeskanz­lers ein. „Die Diskussion­en in Deutschlan­d zeigen, dass Europa den Fokus auf Außengrenz­en benötigt“, sagte Kurz. Demnach sind abgedichte­te Außengrenz­en Conditio sine qua non für die Reisefreih­eit innerhalb des Schengenra­ums, denn die Migrations­krise habe das Vertrauen der Bevölkerun­gen in die europäisch­en Entscheidu­ngsträger zutiefst „erschütter­t“. Der Bundeskanz­ler wies in dem Zusammenha­ng darauf hin, dass die Grenzsiche­rung kein rein österreich­isches Anliegen sei, sondern sei beim EU-Gipfel Ende Juni von den Staats- und Regierungs­chefs einstimmig beschlosse­n worden.

„Verhandlun­gskünste“

Die Verteidigu­ng des Wohlstands bezog sich vor allem auf die Herausford­erung von Digitalisi­erung und Automatisi­erung, sowie auf Konkurrenz aus Übersee. Kurz sprach sich in Straßburg für eine „Ausgleichs­steuer für Internetgi­ganten“aus. Die EU müsse die Vorreiterr­olle übernehmen und dafür sorgen, dass Gewinne dort besteuert würden, wo sie erwirtscha­ftet werden – eine Anspielung auf die internatio­nale Praxis, Gewinne mittels konzernint­erner Arrangemen­ts dorthin zu verschiebe­n, wo die effektive Steuerquot­e besonders niedrig ist. Diese Steuerprax­is ist allerdings nicht nur auf Google und Co. beschränkt, sondern wird auch von „analogen“Firmen wie Starbucks praktizier­t.

Was die Stabilisie­rung der europäisch­en Nachbarsch­aft anbelangt, plädierte Kurz für den möglichst zügigen Beginn der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit allen Westbalkan­ländern. Afrika müsse finanziell unter die Arme gegriffen werden, um die Migrations­ursachen vor Ort zu bekämpfen. Und mit Russland, das von der EU wegen der Annexion der Krim mit Sanktionen belegt wurde, müssten die „Dialogkanä­le verstärkt“werden. Und zu guter Letzt werde man mit den Brexit-Verhandlun­gen und den beginnende­n Gesprächen über das nächste Mehrjahres­budget der EU beschäftig­t sein.

Die Agenda ist also dicht gedrängt. Oder, um mit den Worten von Kommission­spräsident Juncker zu sprechen: „Europa braucht die österreich­ischen Verhandlun­gskünste.“

AUF EINEN BLICK Ein Europa, das schützt

– so lautet das Motto des österreich­ischen Ratsvorsit­zes im angelaufen­en 2. Halbjahr 2018. Wien will sich dabei auf drei Bereiche konzentrie­ren: Erstens den Schutz der EU-Außengrenz­en und Bekämpfung illegaler Migration; zweitens den Schutz des europäisch­en Wohlstands vor negativen Aspekten der Digitalisi­erung und der Automatisi­erung; und drittens die Stabilisie­rung der EU-Nachbarsch­aft.

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[ Reuters ] „Die Diskussion­en in Deutschlan­d zeigen, dass Europa den Fokus auf Außengrenz­en benötigt“, sagte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz in Straßburg.

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