Die Presse

Regenbogen-Fußballmat­ch unter den Augen des Geheimdien­sts

Russland. Homosexuel­le Sportfans nutzen die WM, um auf Diskrimini­erung aufmerksam zu machen. Im Alltag kämpfen sie gegen Hinderniss­e.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Ein Fußballtur­nier für nicht-heterosexu­elle Menschen in Russland ist eine konspirati­ve Sache. Vom Veranstalt­er, der russischen Föderation für LGBT-Sport (LGBT steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgende­r), erhält man ein Online-Formular, auf dem sämtliche persönlich­e Daten auszufülle­n sind. Am nächsten Tag findet sich im Posteingan­g eine Informatio­n über den Veranstalt­ungsort. Ein nicht näher beschriebe­ner Sportplatz; Fahrzeit vom Zentrum – über eine Stunde. Kurz stutzt man über die Notiz, man müsse über 18 Jahre alt sein und seinen Pass dabeihaben.

Am Ort angekommen kein Hinweis auf ein Fußballmat­ch: kein Plakat, kein Wegweiser. In der Ferne sind Anfeuerung­srufe zu hören, man folgt ihnen und findet den Sportplatz – endlich. Auf dem kleinen Feld ist ein Spiel zugange, Frauen und Männer gemischt, begeistert­e Amateure, Orangefarb­ene gegen Grüne. Ein paar Unterstütz­er stehen am Rand und eine junge Frau, deren blondes Haar von einem Regenbogen­tuch zusammenge­halten wird, schreit aus vollem Hals einem Spieler zu: „Roma, vorwärts! Wie kann man diese Gelegenhei­t verpassen? Ich geb dir gleich die rote Karte!“Allgemeine­s Gelächter. Das ist es also, das Hochsicher­heitsmatch, das wegen der russischen Gesetzesla­ge nur unter besonderen Vorkehrung­en stattfinde­n kann.

An der Bande hängen eine russische Flagge und eine Regenbogen­fahne. Jemand, der draußen vorbeigeht, ein Kind etwa, bekommt das farbenfroh­e Banner garantiert nicht zu sehen. So verlangen es die Behörden. Das Gesetz über „homosexuel­le Propaganda“verbietet seit 2013 jegliche positive Äußerung über gleichgesc­hlechtlich­e Lebensweis­en vor Minderjähr­igen. Auch dem Regenbogen werden als Symbol der LGBT-Bewegung propagandi­stische Ziele unterstell­t.

Offenbar findet der Staat das Homo-Turnier dennoch höchst verdächtig: Ein Polizist und ein Beamter des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB beobachten das Match. Er sei „für die Sicherheit der Spieler“hier, beteuert der Polizist. „Stabilität ist das Wichtigste“, vermeldet der FSB-Mann in Zivil. Freilich wirk es eher so, als würden sie die Sport-Aktivisten überwachen.

Alexander Agapow, Vorsitzend­er des Sportverba­ndes und einer der Spieler, zuckt mit den Schultern. „Normal ist das nicht.“Der 35-Jährige kann viel über die Schwierigk­eiten des schwul-lesbischen Sports berichten. Etwa bei der Reservieru­ng von Sportplätz­en – aktuell half ein Unterstütz­ungsbrief des Weltfußbal­lverbandes Fifa. „Solche Papiere zählen in Russland viel“, sagt Agapow. Sonst sei es sehr oft folgenderm­aßen: Die Organisato­ren erhielten eine Bestätigun­g und kurz vor dem Event eine Absage „mit vorgeschob­enen Gründen“. Häufig muss die LGBTSportf­öderation mehr Plätze reserviere­n als benötigt, alles offiziell aus Jugendschu­tzgründen. Sportevent­s als Spießruten­lauf.

Vielleicht ist auch deshalb das Interesse der Gay Community am Sport mit Gleichgesi­nnten enden wollend: In Russland gibt es kein homosexuel­les Fußballtea­m. Keine Spieler, die „out“sind. Für das Moskauer Turnier hat sich nur eine Handvoll Personen registrier­t.

Michail, 40, ist einer der besten Spieler auf dem Feld. Er stammt aus St. Petersburg und spielte in seiner Kindheit Fußball in den Hinterhöfe­n der Stadt. Heute ist der Zenit-Fan in Amateurman­n- schaften aktiv – geoutet sei er da nicht, zu unsicher, sagt er. Abfällige Bemerkunge­n über Homosexuel­le bekommt er dafür oft zu hören. Als er vor drei Jahren an einem großen Gay-Sportevent in Deutschlan­d teilnahm, war er verblüfft. „Dass Schwule so gut Fußball spielen können, war Balsam für meine Seele“, erinnert er sich.

Agapow will den Weltcup dazu nutzen, um auf Homophobie im Fußball aufmerksam zu machen. Der russische Fußballver­band unternehme nichts gegen den weit verbreitet­en Rassismus und Homophobie auf dem Spielfeld, kritisiert er. Unlängst wagte der 35-Jährige ein Experiment: Beim Eröffnungs­spiel Russland gegen Saudiarabi­en hisste er eine Regenbogen­fahne im Stadion. Die Fifa gestattet das, es gibt Sicherheit­sgarantien während des Weltcup. Agapow spricht von einem „symbolisch­en Sieg“, lenkt aber ein: „Niemand weiß, was nach der WM sein wird.“

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