Wie man zwischen sich und seine Kunden Barrikaden baut
Die ÖBB will die meisten ihrer Personenkassen schließen. Das Vergraulen ihrer Kundschaft besorgen dann die Ticketautomaten, die kaum jemand versteht.
Der Einstieg ist wichtig. Das ist bei vielem im Leben so. Bei einer Beziehung prägt sich der allererste Eindruck auf ewig in die gemeinsame Geschichte ein (und wird, wenn’s denn gut geht, an jedem Hochzeitstag abgerufen). Stimmt hingegen gleich am Anfang irgendetwas nicht, steht alles Weitere unter keinem guten Stern. Das gilt für Songs, Romane, für jeden journalistischen Artikel. Entweder es packt einen sofort, dann bleibt man dran. Oder man ist genervt, dreht sich um und geht. Im digitalen Zeitalter noch schneller, weil man sich einfach wegklicken kann.
Dieses Grundprinzip gilt auch beim Reisen. Manche Transportmittel machen einem den Einstieg prinzipiell leicht – Straßenbahnen, U-Bahnen und Züge gehören dazu. Es gibt einen fixen Fahrplan, Stationen ohne Zugangsbeschränkungen, man kann einfach einen Fahrschein kaufen und los.
Fliegen verlangt schon kompliziertere Vorbereitungen – man muss lang vorher buchen, sich namentlich ausweisen, muss seine sieben Sachen nach bestimmten Regeln packen, und am Flughafen in verschiedenen Schlangen noch allerlei seltsame, bisweilen demütigende Rituale absolvieren. Ein Auto, ein Moped, ein Fahrrad oder ein Pferd schließlich verlangen dem Reisenden komplexe Fertigkeiten ab – wer die nicht beherrscht, sollte die Finger davon lassen.
Dass man für die Benützung keine Vorkenntnisse braucht, ist also einer der wesentlichen Wettbewerbsvorteile der Bahn. Besser gesagt: wäre. Denn um diesen Vorteil zu zerstören, hat sich die ÖBB raffinierte Zugangshürden ausgedacht und als Barriere zwischen sich und ihrer Kundschaft platziert – ihre Ticketautomaten.
Jeder, der schon einmal auf einem Bahnhof war, kennt den Anblick: Die Trauben von Verzweifelten, die sich um die Automaten gruppieren und ratlos den Bildschirm anstarren. Die einen gestikulieren heftig, andere erstarren vor Ehrfurcht. Mutige tippen aufs Geratewohl drauf los, Ängstliche fürchten, die Software mit einer falschen Eingabe zu verärgern. Parallel dazu ticken die Minuten bis zur Abfahrtszeit, und scharren die Wartenden dahinter nervös mit den Füßen. Irgendwann schmeißt garantiert immer irgendwer die Nerven weg.
Seit der Softwareumstellung vor etwa einem Jahr ist nichts übersichtlicher geworden, im Gegenteil: Neuerdings verlangen die Geräte, ehe sie Tickets ausspucken, erst detaillierte Informationen über alle Mitreisenden, und wollen, dass man eine bestimmte Zugverbindung auswählt (hoffentlich haben Sie noch nie versucht, in einem fahrenden Zug ein Automatenticket zu erwerben – Züge, die bereits losgefahren sind, werden im System nämlich gar nicht angezeigt.) Touristen, die mit der Entscheidung zwischen „Einfach-Raus-Ticket“und „Bratislava-Ticket“dastehen, können einem leid tun.
Manchmal erbarmt sich jemand und hilft. Manchmal nicht. Bis jetzt gibt es aus dieser Sackgasse, zumindest in größeren Bahnhöfen, noch eine Alternative: die von einem lebenden Menschen besetzte Ticketkassa.
Ob Analphabet, ob sehbehindert, ob zum ersten Mal im Leben auf Reisen – jeder, der es schafft, der Person hinter dem Fenster, mit welchem Akzent auch immer, sein Fahrziel zu nennen und auf seine Reisekollegen zu deuten, hat dort gute Chancen, einen gültigen Fahrschein zu bekommen. Die Personenkassa ist quasi der menschlich besetzte Noteingang für alle Überforderten. Gern zahlte man für dessen Benützung auch einen Servicezuschlag. Nun jedoch ist hier ein Kahlschlag geplant. Aktuell gibt es noch 84 Personenkassen an österreichischen Bahnhöfen. In den nächsten vier Jahren soll diese Zahl auf 24 – also auf ein Viertel – reduziert werden.
Klar wird die ÖBB damit kurzfristig Geld sparen. Sie wird damit aber auch einen ihrer wichtigsten Konkurrenzvorteile gegenüber anderen Verkehrsmitteln aufgeben – den Zugang für alle. Wer die Automatenhürde nicht schafft, muss draußen bleiben. Schade.