Populismus sei die wahre Demokratie
Polen. Premier Morawiecki verteidigte im Europaparlament Donald Trump und den Abbau der polnischen Rechtsstaatlichkeit als Antwort auf die Bedürfnisse der Bürger.
Der Zeitpunkt war alles andere als optimal: Just zur selben Zeit, als die abgesetzte Gerichtspräsidentin Małgorzata Gersdorf Mittwochmorgen an ihrem alten Arbeitsplatz in Warschau erschien und vor Gefahren für die polnische Rechtsstaatlichkeit warnte, trat Mateusz Morawiecki im Europaparlament vor das Mikrofon, um die europapolitischen Prioritäten seines Landes zu erläutern. Der Premier legte sich dafür eine Doppelstrategie zurecht: Einerseits versuchte er, die heikle Frage der Rechtsstaatlichkeit unter einer Flut technokratischer Überlegungen zur Digitalisierung, Industrie 4.0 und Elektromobilität zu ertränken. Andererseits stilisierte er Polen zur Avantgarde der nationalstaatlichen Souveränität und Würde in Europa. Was viele als Populismus bezeichnen, sei in Wirklichkeit ein „demokratisches Erwachen“. Den wahren Populismus verortete Morawiecki anderswo: nämlich in den angedachten Kürzungen der EU-Mittel für Mitgliedstaaten, die sich nicht an europäische Rechtsnormen halten.
Morawiecki, der vom Chef der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyn´ski, an die Spitze gehievt wurde, um die Wogen zwischen Warschau und Brüssel zu glätten, scheiterte in Straßburg an dieser Herausforderung – was auch mit den neu aufgeflammten Massenprotesten in Polen gegen die Justizreform zu tun hatte (siehe oben). Anstatt auf die Vorwürfe einzugehen, erklärte er, dass die PiS die Unabhängigkeit der Richter in Wirklichkeit gestärkt habe, warnte die EU davor, die Integration als Selbstzweck zu betreiben, und warf der EUKommission vor, in Polen nicht als „ehrlicher Makler“aufzutreten, der sie zu sein habe.
Die Vision für Europa, die Morawiecki im Plenum darlegte, überschnitt sich weitestgehend mit den nationalen Interessen Polens: Abbau der Hürden für Dienstleister, Unabhängigkeit vom russischen Erdgas, kein europäischer „Antiamerikanismus“und mehr Verständnis für Donald Trump, denn die Kritik „unserer USFreunde“an globalen wirtschaftli- chen Ungleichgewichten sei begründet.
Die anschließende Debatte fiel heftig aus, die Reaktionen rangierten zwischen der Hoffnung, Warschau werde nicht Ernst machen und 40 Prozent der Höchstrichter in den Zwangsruhestand schicken (Kommissionsvize Valdis Dombrovskis), der Kritik an der „Propaganda“im polnischen Staatsfunk (EVP-Fraktionsführer Manfred Weber) und dem Vorwurf, Polen flüchte sich in „Eskapismus“, anstatt sich am Aufbau Europas zu beteiligen (Liberalen-Chef Guy Verhofstadt).
PiS setzt jedenfalls weiter auf EU-Skepsis. Am Vorabend von Morawieckis Auftritt verkündeten die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die Parteienfamilie von PiS, die Aufnahme der rechtspopulistischen Schwedendemokraten in ihre Reihen. Mit dem Ausscheiden der Tories nach dem Brexit rückt PiS zur stärksten EKR-Einzelpartei auf. (la)