Chaos wegen Stopp für 70 Baustellen
Wien. Die Baupolizei hat in den vergangenen Tagen den Abriss von rund 70 Gebäuden gestoppt, die vor 1945 gebaut wurden. Hunderte Bauarbeiter fürchten nun um ihren Job.
Nachdem Wien Teile der für den Herbst geplanten Bauordnung – konkret geht es um strengere Richtlinien für den Abriss von Gründerzeithäusern – auf 1. Juli vorgezogen hatte, verhängte die Baupolizei (MA 37) in den ersten Tagen der Wirksamkeit mehr als 70 Baustopps in ganz Wien.
Denn zahlreiche Eigentümer wollten offenbar noch rechtzeitig vor Inkrafttreten der neuen Regelung Gebäude abreißen, die vor 1945 gebaut worden sind. Bauunternehmen stehen nun durch den vorläufigen Stillstand Verdienstentgänge bevor, hunderte Bauarbeiter wiederum fürchten um ihren Job und wissen nicht, wie es weitergehen wird. Etwas ratlos wirkt auch die Wirtschaftskammer.
Die Wiener Baupolizei ist seit Samstag mit rund 20 Mitarbeitern aus drei Gebietsgruppen in Wien unterwegs, um die Einhaltung der Regelung bei betroffenen Häusern zu überprüfen. Baufirmen sind verpflichtet, rechtzeitig sogenannte Abbruchbeginnanzeigen zu machen. „Aufgrund dieser Beginnanzeigen sind wir tätig geworden“, sagt Guido Markouschek, Technischer Direktor der Wiener Baupolizei, im Gespräch mit der „Presse“.
Er betont, dass sämtliche Abbruchunternehmen noch am Freitag – unmittelbar nach der Kundmachung des Baustopps – schriftlich (per Email) benachrichtigt wurden, dass auch begonnene Abbrucharbeiten mit 1. Juli beendet werden müssen. An diese hätten sich nicht alle gehalten, weswegen es zu den rund 70 Baustopp-Bescheiden gekommen sei – darunter beispielsweise auch beim SperlHaus im 4. Bezirk (Foto). Zunächst mündlich vor Ort, und einige Tage später schriftlich. Eine Beschwerde ist grundsätzlich innerhalb von drei Tagen möglich, eine aufschiebende Wirkung hat diese allerdings nicht. „Sonst wäre der Baustopp sinnlos“, sagt Markouschek.
Nachdem ein Baustopp verhängt wurde, dürfen und müssen noch Sicherungsarbeiten durchgeführt werden, um keinen „gefährdenden Zustand“zu hinterlassen. „Aber die Abrisstätigkeiten müssen eingestellt werden“, sagt Markouschek. Fortgeführt werden darf der Abriss nur dann, wenn nachgewie- sen werden kann, dass mehr als die Hälfte der Gebäudesubstanz abgetragen wurde. Denn dann würde der rechtmäßige Bestand, auch Konsens genannt, nicht mehr existieren. Wie viele Bauunternehmen bzw. Bauarbeiter nun vor einer Zwangspause und somit vor Verdienstentgängen stehen, könne er nicht sagen. Nur so viel: Wenn für die vermehrten Abrisse kurzfristig mehr Personen beschäftigt wurden, würden diese jetzt natürlich ohne Beschäftigung da stehen. In den kommenden Tagen und Wochen würden die Baustellenkontrollen jedenfalls fortgesetzt, weitere Baustopps dürften also folgen.
Wie es nun mit den betroffenen Unternehmen bzw. Bauarbeitern weitergeht und vor allem wie lange die Zwangspause dauern könnte, kann vorerst auch Andreas Ruby, Landesinnungsgeschäfts- führer in der Wirtschaftskammer Wien, nicht sagen. Besorgten Anrufern aus der Branche rät er, sich an die MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) zu wenden, um herauszufinden, ob die Gebäude tatsächlich in diese Regelung fallen. Von der Zwangspause betroffen sind seiner Schätzung nach einige hundert Arbeiter.
Die für den Herbst geplante Bauordnung war vergangene Woche zum Schutz vor, wie Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) es nannte, „Last-Minute-Abrissen“vorgezogen worden. Die strengeren Richtlinien für den Abriss von Gründerzeithäusern wurden daher per Initiativantrag im Landtag mit 1. Juli wirksam. Damit würden Tausende Gründerzeitbauten schnell unter Schutz gestellt werden, versicherten Vassilakou und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal (SPÖ).
Die Änderungen wurden schon im April präsentiert und umfassen diverse Aspekte. So geht es etwa um beschleunigte Verfahren, Erschwernisse bei Kurzzeitvermietungen (Airbnb) und den Schutz historischer Häuser.
Bei letzterem Punkt sieht die Änderung vor, dass vor 1945 errichtete Häuser schwerer abgerissen werden können. Denn künftig braucht es grünes Licht von der MA 19. Und dieses gibt es nur, wenn ein Gebäude aus historischer Sicht als nicht erhaltenswert beurteilt wird.