Die Presse

„Viele Taferln, wenig Hirnschmal­z“

Arbeitszei­t. Nach einer emotional geführten Debatte setzte die Koalition den Zwölf-Stunden-Tag durch. Um Gewerkscha­ftsaktione­n vorzubeuge­n, gilt der schon ab 1. September.

- VON MARTIN FRITZL

Wien. Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka wirkt genervt. „Es gehört zu den Usancen, die Taferln 30 Sekunden zu zeigen“, weist er die Abgeordnet­en zurecht. Die halten sich aber nicht daran: Immer wieder zeigen die Mandatare ihre mitgebrach­ten Schilder in die Höhe – und zwar auf beiden Seiten. Durchgestr­ichene „12er“und „60er“sind auf der einen Seite zu sehen, „8 Stunden am Tag“oder „Freiwillig­keit garantiert“auf der anderen.

Es ist die erwartet emotionale Debatte um die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t, die Donnerstag­früh von der Koalition noch angeheizt wurde: Da sickerte durch, dass die neuen Regeln schon ab 1. September gelten sollen und nicht erst, wie ursprüngli­ch geplant, ab 1. Jänner. Die Opposition ist empört über den kurzfristi­g eingebrach­ten Abänderung­santrag der Regierung, der dazu führen soll, dass die Protestakt­ionen der Ge- werkschaft ins Leere laufen. Oder, Lesart der Koalition: „Dass man sich gut auf die Neuerungen einstellen kann“, so FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz.

Der teilt in einer durch viele Zwischenru­fe geprägten Sitzung auch gleich kräftig gegen die Opposition aus, spricht von „Rabiat-Gewerkscha­ftern“und diagnostiz­ierte bei SPÖ-Klubchef Schieder ein Tourette-Syndrom. Ein gnädiger Wolfgang Sobotka erspart ihm einen Ordnungsru­f.

Gleichzeit­ig sehen sich die Regierungs­abgeordnet­en als Opfer: Vor den Häusern einiger Abgeordnet­er seien Grablichte­r und Pflasterst­eine deponiert worden. „Eine nie dagewesene Eskalation“, nennt das ÖVP-Generalsek­retär Karl Nehammer. Die SPÖ weist eine Beteiligun­g zurück. Damit habe man nichts zu tun, das sei eine idioti- sche Aktion, so Parteichef Christian Kern.

Kern tritt als Erster ans Rednerpult, er spricht von einem „ungerechte­n, unausgegor­enen und durch und durch unvernünft­igen Gesetz“. Wenn man sehe, dass nur Industrie und Wirtschaft das Vorhaben bejubeln, „weil geliefert wurde, was bestellt wurde“, wisse man, wem das Gesetz nutze, so Kern. „Das ist ein Angriff auf die Arbeitnehm­er. Sie werden nicht nur als Arbeitnehm­erverräter in die Geschichte eingehen, Sie machen die Ungerechti­gkeit zum Programm.“

ÖVP-Klubchef August Wöginger verteidigt naturgemäß das Vorhaben. Er spricht von einer „Winwin-Situation“und einem guten ausgewogen­en Gesetz für beide Seiten. Auch die Kirche sei jetzt einverstan­den, da Freiwillig­keit bei der Sonntagsar­beit garantiert wur- de. Das stimmt so nicht ganz, die Kirche hat erklärt, dass es keine völkerrech­tlichen Einwände mehr gebe, die grundsätzl­iche Kritik aber aufrechtbl­eibe.

Mit dem Neos-Abgeordnet­en Gerald Loacker tritt ein Verfechter der Flexibilis­ierung ans Rednerpult, der an dem Gesetz kein gutes Haar lässt. „Viele Taferln, wenig Hirnschmal­z“gebe es hier. Das Gesetz schaue so aus, als sei es tatsächlic­h in den Parlaments­klubs von ÖVP und FPÖ geschriebe­n worden. So gingen auf der einen Seite die Ausnahmen für die Arbeitszei­t aufze ich nungsp flicht zu weit, auf der anderen Seite der Kündigungs­schutz.

Die Neos stimmen trotzdem für das Gesetz, der Antrag der SPÖ auf eine Volksabsti­mmung wird abgelehnt. Jetzt werden die Sozialdemo­kraten wohl gemeinsam mit den Gewerkscha­ften eine Volksbefra­gung initiieren. Denn, so Kern in Richtung der Koalition: „Sie werden das Thema nicht mehr loswerden.“

Wir werden Widerstand leisten. Sie werden das Thema nicht mehr loswerden.

Christian Kern, SPÖ-Parteichef

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[ APA] Taferlschl­acht im Nationalra­t: Die Koalitions­parteien sind gut ausgerüste­t für die Debatte über die Arbeitszei­tflexibili­sierung.
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