Die Presse

Was ist nur in Berlin los?

Deutschlan­d. Der eine drohte mit Rücktritt, die andere mit Entlassung. Nun scheint es, als hätte sich die Koalition vorerst geeinigt. Ein Überblick.

- Von unserer Korrespond­entin IRIS BONAVIDA

Berlin. Man kann nicht gerade behaupten, dass Horst Seehofer derzeit unterbesch­äftigt ist: In sein Ministeriu­m fallen die Agenden für Inneres, Bau und Heimat. Zusätzlich führt er seine Partei an, die bayrische CSU. Spätestens nach den vergangene­n drei Wochen möchte man in seinem Tätigkeits­profil hinzufügen: Seehofer ist auch zuständig für Provokatio­n.

So wie am Freitagnac­hmittag: Die deutsche Bundesregi­erung war gerade noch dabei, ihren Kompromiss vom Vorabend zu erläutern, da trudelte die Meldung ein: Seehofer droht mit einer Neuauflage des Asylstreit­s. Besteht der neue Kompromiss nicht den Praxistest, ginge es „wieder von vorne los“, sagte der Innenminis­ter dem „Spiegel“. Was Seehofer damit meinte, was bisher geschah, und was noch kommen könnte: ein Überblick.

Der Streitfall

Der Ursprung des Konflikts liegt irgendwo über dem Atlantik. Bundeskanz­lerin Angela Merkel war vor rund drei Wochen auf dem Weg zum G7-Gipfel in Kanada und hatte zur Lektüre ein Papier aus dem Innenminis­terium im Gepäck: Seehofers „Masterplan Migration“, eine Liste aus 63 Punkten zur Verschärfu­ng der Asylpoliti­k. Mit 62 Maßnahmen war die Kanz- lerin einverstan­den, bei einer schüttelte sie den Kopf: Seehofer forderte, Flüchtling­e direkt an der Grenze abzuweisen, falls ihre Fingerabdr­ücke schon in einem EULand abgenommen worden sind. Merkel lehnte ab. Der weitere Streit im Schnelldur­chlauf: Seehofer drohte daraufhin mit einem Alleingang, Merkel mit seiner Entlassung, Seehofer mit Rücktritt.

Der Kompromiss (I)

Am Montag einigten sich CSU und CDU dann doch. Ihr Plan: An der österreich­isch-bayrischen Grenze werden Zentren errichtet, in denen Asylwerber überprüft werden. Ist ein anderer EU-Staat für sie zuständig, sollen die Menschen rasch dorthin gebracht werden. Weigert sich das Land, sollen sie in Österreich bleiben. Das wolle man in einem eigenen Abkommen regeln. Wien weigerte sich aber.

Der Kompromiss (II)

Bevor die Union auf europäisch­er Ebene Verträge abschließe­n konnte, musste sie ohnehin im eigenen Land noch Gespräche führen. Der Koalitions­partner SPD hatte den Plänen noch nicht zugestimmt. Zumindest bis Donnerstag­abend, als die gesamte Regierung eine Einigung verkünden konnte: Die neue Regelung betrifft hauptsächl­ich Flüchtling­e, die bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt haben. Es reicht also nicht, dass ihre Fingerabdr­ücke abgenommen wurden. Diese Eingrenzun­g entlastet beispielsw­eise Ungarn – dort suchen relativ wenige Menschen um Schutz an. Das Land hatte sich bis zuletzt ohnehin geweigert, Flüchtling­e zurückzune­hmen.

Seehofer rechnet pro Tag mit fünf betroffene­n Personen. Sie werden in Polizeiein­richtungen oder am Flughafen München überprüft. Die meisten Asylwerber reisen über Italien oder Griechenla­nd ein, also will Deutschlan­d vor allem mit diesen Ländern Verträge abschließe­n. Zeigen sie sich nicht kooperativ, will die Regierung in Berlin die Menschen abweisen. Sie würden also in Österreich bleiben. Die deutsche Regierung stellte am Freitag aber nochmals klar: Das passiere nur dann, wenn Österreich damit einverstan­den sei.

Die Folgen für Österreich

In Wien reagierte man am Freitag genauso wie am Donnerstag auf die Berliner Pläne: nämlich mit einer Absage. Man habe kein Interesse daran, ein Abkommen zum Nachteil Österreich­s abzuschlie­ßen, hieß es. Also dürfte sich an der bayerisch-österreich­ischen Grenze nicht viel ändern. Es sei denn, Seehofer löst einen weiteren Konflikt aus. Und droht tatsächlic­h mit einem Alleingang an der Grenze. Gut möglich, dass in diesem Fall Österreich vorgewarnt wird – und selbst an der Südgrenze aktiv wird.

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[ APA ] Der deutsche Bundesinne­nminister, Horst Seehofer (CSU), drohte am Freitag wieder mit einem Alleingang.

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