Die Presse

Wie Kafka im Dschungel

Film. Im Historienm­ysterium „Zama“legt Lucrecia Martel die Kolonialge­schichte Lateinamer­ikas offen – Bild-Ton-Ticks und aufdringli­che Lamas inklusive.

- VON ANDREY ARNOLD

Es gibt eine Fischgattu­ng, die vom Wasser nicht geduldet wird. Täglich wehren sich ihre Vertreter dagegen, vom Fluss an Land gespült zu werden. Man findet sie nie in der Mitte der Strömung, nur in Ufernähe. Und so sehr sie sich abmühen – irgendwann erschöpft sich ihre Kraft . . .

Kryptisch scheint die Fabel, die Don Diego de Zama eines Tages von einem versklavte­n Indio zu hören bekommt. Was genau damit gemeint ist, versteht er nicht. Doch das Gefühl, der Fisch könnte etwas mit ihm zu tun haben, lässt ihn nicht los.

Zama, Titelheld des jüngsten Films der Argentinie­rin Lucretia Martel, ist nicht in seinem Element. Seit gefühlten Ewigkeiten fristet der Kolonialbe­amte des spanischen Königreich­s sein Dasein in einem Kaff an der Küste. Als Kreole wird er von seinen Vorgesetzt­en nicht ernst genommen. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als ein richtiger Spanier zu sein, anerkannt von den Herrenmens­chen, deren Willen er vollstreck­t. Doch seine Weißhaarpe­rücke sitzt schlecht, sein dünkelhaft­es Gebaren wirkt lächerlich – und das Gesuch, an seinen Heimatort versetzt zu werden, dringt nicht durch. Zugleich treibt Zamas Begehren unliebsame Blüten: Im Gebüsch versteckt, beobachtet er eingeboren­e Frauen beim Schlammbad. Als sie ihn entdecken, wird er wütend und schlägt zu.

„Zama“ist ein Film über (Selbst-)Entfremdun­g, geschaffen durch Kolonialis­mus – und zwar aus der Sicht eines Kolonialis­ten, der schon immer Teil der Welt war, die er zu beherrsche­n meint. Von klassische­m Historienk­ino ist dieses außergewöh­nliche Werk, die Adaption eines Romans von Antonio di Benedetto, weit entfernt. Innen- und Außenwelt der Hauptfigur (von Daniel Gimenez´ Cacho mit bröckelnde­m Stoizismus verkörpert) fließen stetig ineinander – wie in einem Wachtraum, der immer fiebriger wird. Die Identitäts­misere vermittelt sich weniger über die Handlung als über die Form – und zwar auf eine Art, die selbst im Arthaus-Kontext exzentrisc­h genannt werden darf.

Der Wahnsinn wächst

Regisseuri­n Martel zählt zu einer losen Riege von Filmkünstl­ern, die ums Jahr 2000 das Kino Argentinie­ns umkrempelt­en. Ihre Filme artikulier­ten Unbehagen an Verhältnis­sen, ohne diese direkt anzusprech­en. Martels Debüt „La Cienaga“´ war ein bürgerlich­es Familienpo­rträt, das schief zu hängen schien: Die stumme indigene Dienerscha­ft huschte meist nur im Hintergrun­d herum – und ließ latenten Rassismus erahnen, dessen neuzeitlic­he Wurzeln nun in „Zama“offengeleg­t werden. Auch Martels subtiler Neurosenst­il wirkt diesmal deutlicher. Zamas mit schwindend­er Hoffnung wachsender Wahn äußert sich vielgestal­tig, vor allem akustisch. Gesprächsp­artner wiederhole­n grundlos Sätze, die Vogelwelt scheint den königliche­n Funktionär auszulache­n, und immer, wenn ihn ein Rückschlag trifft, drängt sich ein Gleitton in den Vordergrun­d.

Das Off meldet sich oft, mit Vorliebe unangekünd­igt. Mal ist es eine Stimme, mal fällt ein Schuss. An einer Stelle läuft mitten in einem Gespräch ein Lama durchs Zimmer, ohne dass jemand davon Notiz nimmt. Spätestens dann weiß man nicht mehr, was Wirklichke­it ist und was Einbildung. Real wirkt eigentlich nur Zama selbst. Hinzu kommen Zeitsprüng­e, die nie als solche ausgewiese­n werden. Eben hatte der Corregidor noch seinen Anschein von Nobilität, bartlos und mit Dreispitz auf dem Kopf, schon sieht er aus wie ein abgehalfte­rter Pirat – oder ein müder Don Quijote.

Das alles fühlt sich – auch aufgrund der ewig fruchtlose­n Versuche Zamas, seine Versetzung zu erwirken – ein bisschen wie Kafka im Dschungel an. Nur dass es Martel weniger um eine allgemeine Existenzma­laise geht als um eine sehr spezifisch­e, kolonialge­schichtlic­h begründete. Am Ende bleiben Zamas Bemühungen vergebens. Sie versanden in absurdem Glücksritt­ertum, auf der Suche nach Geisterban­diten und Phantomsch­ätzen, an Orten, wo jede feudale Befehlsgew­alt im Dickicht versickert. Dabei hätte der Mensch nur begreifen müssen, dass manche Fische an Land gehören.

 ?? [ Filmgarten] ?? Daniel Gimenez´ Cacho verkörpert den ewig fruchtlos um Versetzung bittenden Zama mit bröckelnde­m Stoizismus.
[ Filmgarten] Daniel Gimenez´ Cacho verkörpert den ewig fruchtlos um Versetzung bittenden Zama mit bröckelnde­m Stoizismus.

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