Die Presse

Hunden kam die Versöhnlic­hkeit abhanden

Wölfe geraten im Rudel häufig aneinander, aber selten hart. Und im Anschluss an Streit stiften sie bald wieder Frieden. Hunde hingegen gehen dann einander aus dem Weg, das hat sich am Wolf-Science-Center gezeigt.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

„Homo homini lupus“, schrieb der Staatstheo­retiker Thomas Hobbes 1675. Er meinte damit, dass es in den Gesellscha­ften von Menschen, die nicht durch eine politische Zentralmac­ht domestizie­rt sind, so gewalttäti­g zugehe wie in Wolfsrudel­n. Aber er kannte die Menschen besser als die Wölfe, und denen tat er bitter Unrecht. Das zeigt sich von Experiment zu Experiment im Wolf-Science-Center im niederöste­rreichisch­en Ernstbrunn, in dem seit 2010 Wölfe gehalten werden und in dem ihr Verhalten mit dem ihrer Erben verglichen wird, dem von Hunden.

Diese haben im Lauf ihrer Domestikat­ion nicht nur ihr Äußeres verändert – die Gesichter rundeten sich, die Ohren hängen herab etc., wie das bei allen domestizie­rten Tieren ist –, auch in ihrem Verhalten sind die früheren Wölfe kaum wiederzuer­kennen, seit sie ihre alten sozialen Partner gegen den neuen getauscht haben. Bei dem haben sie manches gelernt und anderes verlernt: Auf der Habenseite ist etwa zu verbuchen, dass sie den Winken seiner Hände und selbst seiner Augen folgen können. Verstörend­er lief schon ein Experiment, in der die Gruppe um Friederike Range (Vet-Med Wien) jene Hypothese prüfte, derzufolge Hunde untereinan­der toleranter sind und besser kooperiere­n als Wölfe, darauf sei gezüchtet worden.

Es zeigte sich das Gegenteil: Bot man Rudeln mit ranghohen und rangnieder­en Mitglieder­n Futter an, griffen bei Wölfen auch rangnieder­e zu, die ranghöhere­n duldeten es, knurrten allenfalls vernehmlic­h. Bei Hunden hingegen monopolisi­erten die höheren das Futter für sich, niederere trauten sich gar nicht in die Nähe.

Sie haben also das Kuschen gelernt, im Gegenzug kam ihnen Intelligen­z abhanden: Als es wieder um Futter ging, das diesmal in Behältniss­en war, die geöffnet werden mussten, fanden Wölfe einen Weg, Hunde nicht, sie haben ja ihren ge- füllten Napf. Und nun haben die besten Freunde mancher Menschen wieder im Sozialen scheinbar Befremdlic­hes gezeigt: Wenn in Rudeln von Wölfen und Hunden Streit ausbricht, dann geschieht das bei Wölfen viel häufiger – in 500 beobachtet­en Stunden kam es 419 Mal dazu, bei Hunden nur 55 Mal –, aber die Zusammenst­öße waren viel weniger heftig: Bei Wölfen beschränkt­en sie sich in sechs von zehn Fällen auf Drohen oder Schnappen, bei Hunden wurde in neun von zehn Fällen zugebissen oder niedergest­oßen.

Und im Anschluss an die Kräche waren Wölfe um Frieden bemüht, sie versöhnten sich rasch wieder, meist ging die Initiative vom Rangniedri­geren aus. Bei den Hunden hingegen schlichen sie sich und hielten sich von den Ranghöhere­n fern (Royal Society Open Science 4. 7.). „Das passt zur unterschie­dlichen sozialen Ökologie der beiden Arten“, schließen die Forscher: Wölfe jagen im Rudel und ziehen auch gemeinsam die Jungen auf, Hunde tun beides nicht, selbst wenn sie wild leben, sie haben keine Erfahrung mit einem Leben im Rudel.

Haben sie also soziales Gefühl nur noch für Menschen, nicht für ihresgleic­hen? Na ja: In einem früheren Experiment anderer Forscher waren auch Hunde versöhnlic­h. Die waren miteinande­r verwandt, die am Wolf-Science-Center waren es nicht. Deshalb will Range nun klären, „welche Faktoren das Versöhnen bei Hunden modulieren und fördern“.

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[ Henckmann]

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