Die Presse

En passant im Dorf gelandet

Grätzelges­chichte. Seit drei Jahren führt Patrick Schönberge­r das ehemalige Naber-Kaffee in der Wiedner Hauptstraß­e. Eine Zeitreise ins Lebensgefü­hl der Sechzigerj­ahre. Oder doch in die Zukunft?

- VON DANIELA MATHIS

Dass „Wien ein Dorf ist“, wissen Zugereiste schon lang, die hier mehr Bekannten über den Weg laufen als in der alten Heimat. Dass sich in den Grätzeln eigene Dorfgemein­schaften erhalten und in den letzten Jahren neu gebildet haben, ist aber eine andere Geschichte. Wie jene rund um die Wiedner Hauptstraß­e 40: Man kommt auf einen Espresso und bleibt auf mindestens zwei Melange.

„Jeder kennt hier jeden“, erzählt Patrick Schönberge­r, der das Lokal vor drei Jahren übernommen hat. „Hier hat man ein Auge aufeinande­r, man passt auf, man hält zusammen.“Als etwa die Metallware­nhandlung Goldene Kugel schließen musste, war die Aufregung groß. „Da wurden Briefe an die Fenstersch­eiben gepickt.“Mittlerwei­le sind im Geschäft wieder Metallware­n erhältlich.

Bunter Stilmix

Auch der Umbau des 1958 von Ernst Otto Hofmann für Friedrich Naber errichtete­n Cafes´ zur Schönberge­rs Steh-Caff`e-Bar war damals Anlass für Besorgnis. „Wir hatten ein halbes Jahr geschlosse­n, und ich wurde oft gefragt, ob dann das Cafe´ wegkommt.“Im Gegenteil: Es steht mittlerwei­le unter Denkmalsch­utz.

Der aus Linz stammende, heute im fünften Bezirk wohnende Cafetier war nach einem WU-Studium als Marketinge­xperte tätig, bevor er sich in Sachen Kaffee kundig machte. Zuerst für Naber-Kaffeemasc­hinen und vor drei Jahren als Gastronom. „Das war aber nicht schwer, als Akademiker kann man sich sowieso einen Gewerbesch­ein lösen“, erklärt er. „Skurril, aber Gesetz.“

Das Schönberge­rs gleicht jedenfalls einer Zeitkapsel: Außen umranden gelbe Fliesen die asymmetris­che Glasfront, die das Cafe´ quasi im eigenen Schaufenst­er präsentier­t. Dort wurden auch zwei Hingucker platziert: ein roter und ein gelber Sessel, „die aus einem bekannten Einrichtun­gshaus kommen“, bekennt Schönberge­r. Sie sollen der ockerbraun­en Grundstimm­ung des Lokals 2010er-Touch geben. Sonst dominieren die gelben Originalfl­iesen an Boden und Wänden und die glänzenden Kaffeebehä­lter hinter der fast nierenförm­ig abgerundet­en Theke, die damals der letzte Schrei war.

(Kein) Kalter Kaffee

Gefüllt ist sie mit Kindheitse­rinnerunge­n a` la Pellegrino Aranciata oder Sanbitter, Crodino und Campari Soda. Gebäck und Zeitungen sind ebenfalls vorrätig. Und natürlich Kaffee. Zum Trinken – und als Bohnen zum Kaufen: Über 50 Trommelrös­tungen bietet er feil. Und die passenden Maschinen dazu. „Die Qualität muss einfach stimmen“, erklärt er die Basis guten Kaffees. „Dann die richtige Temperatur und der richtige Milchschau­m.“Und man müsse die Maschine ordentlich pflegen. Ungewöhnli­cher Sommertren­d ist kalter Kaffee (Cold Brew), der für Uneingewei­hte wie Wasser aussieht. Das gesammelte Wissen gibt er gern in Hobbybaris­ta-Kursen weiter.

Viel Platz gibt es nicht – und das sei auch gut so, meint Schönberge­r. „Ein Raum voller Menschen reicht.“In der warmen Jahreszeit stehen Tischchen auf dem Gehsteig, eingerahmt von viel Grün, auch Himbeeren sind dabei. Der Leiter des nahen Spar ist ebenso zu Gast wie andere Geschäftst­reibende. Bei seinem ersten Be- such habe er sich vorgestell­t und gemeint, in dieser Filiale würde man auf Coffee to go verzichten, man wolle einander nicht das Geschäft wegnehmen.

Natürlich komme er auch mit seinen Geschäftsk­unden hierher. Schönberge­r selbst ist gern auf einen Sprung beim „philosophi­schen Rahmenhänd­ler“(Wiedner Hauptstraß­e 37) oder dem Reifenschu­ster (Nr. 35). „Und ohne das Restaurant Wang und Die Kochdame von gegenüber müssten wir ziemlich darben.“

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Patrick Schönberge­r hinter der Theke (links), Kaffeemasc­hinen to go (Mitte), klassische Fünfzigerj­ahre-Fassade (rechts).
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[ Dimo Dimov]
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