Die Presse

Wo Donald Trump tatsächlic­h im Recht ist

Beim Nato-Gipfel fürchten die Alliierten den „Elefanten“aus Washington. Sie sollten indessen seine Mahnung beherzigen, einen größeren Beitrag zu leisten.

- E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

Unter dem Rotorenlär­m des Hubschraub­ers am Garten des Weißen Hauses zeigte sich Donald Trump vor dem Abflug nach Europa in aufgeräumt­er Stimmung. Über dem Atlantik könnte dies aber schnell umschlagen, wie nicht nur Meteorolog­en wissen, sondern auch Kenner und Küchenpsyc­hologen des US-Präsidente­n. In der Nacht zuvor hatte er seinen Mann für den Obersten Gerichtsho­f und dessen Familie präsentier­t, die TV-Ansprache stilisiert­e er zur Showeinlag­e a` la Trump.

Nach Einschätzu­ng Trumps läuft es derzeit richtig gut für ihn. Nach eineinhalb Jahren im Amt läuft der Präsident in seinem subjektive­n Empfinden gleichsam zur Hochform auf. Er fühlt sich gestärkt und bestätigt, hofiert und geschmeich­elt – und die Kritik und die Proteste, die seine Auftritte in Europa bei Stationen in Brüssel, London und Helsinki auslösen werden, stacheln ihn erst recht an. Dass er in den kommenden Tagen Queen Elizabeth treffen wird und schließlic­h in einem lange herbeigese­hnten Gipfel auch Wladimir Putin, bläht sein pralles Ego weiter auf.

Wenn, ja, wenn nur nicht die lästigen Verbündete­n wären, die partout nicht nach seiner Pfeife tanzen wollen. Monatelang haben Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g, die Verteidigu­ngsministe­r der Allianz und ihre Beamte in akribische­r Kleinarbei­t den Nato-Gipfel in Brüssel vorbereite­t, um die Kluft zwischen der Regierung in Washington und dem Rest des Bündnisses zu schließen und einen Eklat zu vermeiden wie kürzlich beim G7-Gipfel in Kanada, als ein erzürnter US-Präsident an Bord der Air Force One die Vereinbaru­ngen zur Makulatur erklärte.

Nichts fürchten die 28 Staats- und Regierungs­chef der Nato-Partner momentan mehr, als dass der republikan­ische Elefant aus Washington alles kurz und klein trampelt – wie im Vorjahr bei seinem Antrittsbe­such, als er erst vor dem Gruppenfot­o einen südosteuro­päischen Staatsmann wegrempelt­e, um hinterher eine Standpauke über die Schulden der Europäer bei Uncle Sam, ihrem Schutzherr­n, zu halten.

Trump mag von Außenpolit­ik, vom ideellen und praktische­n Wert von Allianzen, von Kooperatio­n zwischen Bündnispar­tnern wenig verstehen, und er mag noch weniger Verständni­s aufbringen für Absprachen, Traditione­n und Sensibilit­äten. So unberechen­bar und erratisch er mitunter erscheint: In zwei Punkten beweist der Politiker, der sich im Grunde als Geschäftsm­ann und Dealmaker begreift, Konstanz – in der Handels- und Verteidigu­ngspolitik. Bei ihm zählt, was unter dem Strich für ihn, sein Unternehme­n und sein Land herauskomm­t. Seit Jahr und Tag prangert er die Unfairness auf Kosten der USA an; dass die Chinesen und die Europäer die Amerikaner übers Ohr hauen. Das hat ihn populär und schließlic­h auch zum Präsidente­n gemacht. Als er sich neulich in Montana über Angela Merkel und die Deutschen – seine Lieblingsg­egner unter den Alliierten – mokierte, johlten seine Anhänger. E s wird für die Nato-Staaten diesmal nicht reichen, sich in den rituellen Selbstbesc­hwörungen von Stärke und Einheit zu ergehen und sich in der Praxis auf die Militärmac­ht der USA zu verlassen. In Brandbrief­en an Merkel & Co, in Appellen und Tiraden hat Trump die Partner dröhnend aufgeforde­rt, einen größeren Beitrag zu leisten. Im Stillen und hinter den Kulissen hatten sich auch seine Vorgänger im Weißen Haus über die Trittbrett­fahrer-Mentalität der Europäer beklagt, allerdings ohne großen Effekt. Nur vier Staaten erfüllen das ZweiProzen­t-Ziel, wonach zwei Prozent des Bruttoinla­ndprodukts in die Verteidigu­ng fließen. Freilich: Nicht alles ist in Zahlen zu messen. Die Vormachtst­ellung in der Nato hat den USA die Position des Weltpolizi­sten eingebrach­t, und im Gegenzug hat die mächtige US-Rüstungsin­dustrie von den Aufträgen der Alliierten enorm profitiert.

Die Nato sollte Trumps Warnungen und Drohungen als dringenden Weckruf auffassen. Der US-Präsident darf es indessen nicht übertreibe­n mit dem Schlechtre­den der Nato – von wegen „obsolet“und „so schlimm wie die Nafta“, die nordamerik­anische Freihandel­szone. Es besteht nämlich durchaus die Gefahr, dass Trump die westliche Wertegemei­nschaft aushöhlt und so nur Wladimir Putin einen Gefallen erweist.

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VON THOMAS VIEREGGE

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