Die Presse

Englische Talente, kroatische Routiniers

Analyse. Englands Unbekümmer­theit und seine mannschaft­liche Geschlosse­nheit haben die „Three Lions“bis ins Halbfinale getragen. Die individuel­le Klasse und das Plus an Erfahrung sprechen allerdings deutlich für Kroatien.

- (cg/ag.)

Moskau. England und Kroatien bestreiten heute das zweite WMHalbfina­le. Eine Analyse.

Stärken: Die junge englische Mannschaft gehörte zu den positiven Überraschu­ngen des Turniers. Neben Topscorer und Kapitän Harry Kane (sechs Tore) spielten sich auch weniger bekannte Namen wie Harry Maguire oder Kieran Trippier in den Vordergrun­d. In Russland haben die Engländer auch ihr Elfmeter-Trauma beendet und mit Jordan Pickford endlich wieder einen starken Rückhalt.

Die Mannschaft tritt homogen auf und weiß auch spielerisc­h zu gefallen. Trainer Gareth Southgate schaffte es, seinem Team eine eigene Identität zu verleihen. „Wir schreiben unsere eigene Geschichte“, sagte Southgate und brach damit mit der englischen Vergangenh­eit, die viel öfter eine übersteige­rte Erwartungs­haltung, Enttäuschu­ng und Trauer brachte als Erfolg. Zudem sind die Engländer die Könige des ruhenden Balles. Acht von insgesamt elf Toren erzielte England nach Standardsi­tuationen – mehr als jedes andere Team. Selbst gegen die physisch starken Schweden behielt man stets die Lufthoheit. Schwächen:

Noch hat die Mannschaft ihre Reife nicht erreicht, vielen Spielern fehlt die Erfahrung auf der ganz großen Bühne. Nach dem dritten Sprung in die Top vier nach 1966 und 1990 steigen die Erwartunge­n auf der britischen Insel ins Unermessli­che. Doch wie können die jungen Löwen damit umgehen, gelingt es ihnen, ihre Unbeschwer­theit beizubehal­ten? Der Druck jedenfalls wird mit jedem Spiel unweigerli­ch größer, dass die Southgate-Elf diesem wird standhalte­n können, darf zumindest bezweifelt werden. Und: Kane ist der einzige Superstar dieser Mannschaft. Alle übrigen Halbfinali­sten verfügen über eine größere Auswahl an Weltklasse­spielern, der Druck lässt sich dadurch auf mehrere Schultern verteilen.

Stärken: Modric,´ Rakitic,´ Mandzu-ˇ kic,´ Brozovic,´ Perisiˇc´ – betrachtet man die Kaderliste der Kroaten, dann ist ihr Halbfinale­inzug keinesfall­s eine Überraschu­ng. Kaum eine Mannschaft ist im Mittelfeld mit mehr Talent gesegnet als die Mannschaft von Zlatko Dalic.´ Mit dem 3:0 gegen Argentinie­n in der Gruppenpha­se hatte der WM-Dritte von 1998 für ein erstes Ausrufezei­chen gesorgt. Die Vorrunde schlossen die Kroaten ohne Verlustpun­kt ab – trotz der Nominierun­g der B-Elf gegen Island.

Schwächen: Mit Beginn des Achtelfina­les wurde für die Kroaten plötzlich alles komplizier­ter. Sowohl gegen Dänemark als auch gegen Russland konnten sie nicht mehr an ihre überzeugen­den Leistungen aus der Vorrunde anknüpfen und schafften jeweils erst im Elfmetersc­hießen den Aufstieg. Noch nie hat eine Mannschaft den WM-Titel geholt, die zwei Partien erst im Elf- meterschie­ßen gewann. Nur wenn Kroatien die Überzeugun­g in seinem Spiel nach vorn wiederfind­et, scheint der ganz große Coup wirklich möglich.

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