Aus dem Niemandsland auf die größte ller Bühnen
WM-Entdeckung. Vor drei Jahren spielte Jordan Pickford, Torhüter der „Three Lions“, noch in der dritten Liga. Jetzt lässt er England vom ersten WM-Titel seit 1966 träumen.
Moskau/Wien. Vor dem Achtelfinale der Engländer gegen Kolumbien hatte Ars`ene Wenger öffentlich die Schwachstelle im Spiel der „Three Lions“ausgemacht: Jordan Pickford. „Er hat keine internationale Erfahrung. Die Mannschaften, die Weltmeister wurden, hatten immer einen großartigen Torhüter.“
Mittlerweile hat Jordan Pickford Monsieur Wenger eines Besseren belehrt, Englands Torhüter ist eine der Entdeckungen dieser WM. Wenn in der Vergangenheit über Goalies von der Insel gesprochen wurde, dann meist über deren haarsträubende Fehler oder das Versagen beim Elfmeterschießen. Der 24-jährige Pickford aber ist anders, dabei war seine Nominierung durch Teamchef Gareth Southgate durchaus risikobehaftet.
Als jüngster Torhüter der englischen WM-Geschichte steht der 1,85 Meter große Schlussmann stellvertretend für eine Mannschaft, die vor Turnierbeginn mit durchschnittlich 20 Länderspielen zu den unerfahrensten in Russland zählte. Beim 2:1-Auftaktsieg gegen Tunesien gab Pickford sein Pflichtspieldebüt, erst im November des Vorjahres hatte Southgate ihn zur Nummer eins ernannt.
14 abgewehrte Schüsse in den Testspielen gegen Deutschland (0:0), die Niederlande (1:0) und Nigeria (2:1) ebneten dem jungen Mann aus Washington, einer 70.000-Einwohner-Stadt im Nordosten des Landes, den Weg.
Auf Klubebene wurde Jordan Lee Pickford lange Zeit nicht sesshaft. Er durchlief die hochgelobte Jugendschule des AFC Sunderland, wo er als 17-Jähriger seinen ersten Profivertrag unterschrieb. Was folgte, waren nicht weniger als sechs Leihgeschäfte:
FC Darlington, Alfreton Town, Burton Albion, Carlisle United, Bradford City, Preston North End – die große Fußballwelt klingt anders, doch seine Vita sah Pickford nie als Hindernis. „Man muss das mal so sehen: Jemand, der Elektriker wird, sammelt ja auch erst an kleinen Sachen Erfahrungen, bevor er an den ganz großen Dingen herumschrauben darf.“
An den großen Dingen schraubt Pickford nun seit zwei Jahren herum. Nach einer guten Saison bei Sunderland dockte er beim Ligarivalen FC Everton an. Die Toffees ließen sich die Dienste des Torhüters 34 Millionen Euro kosten – eine Summe, die Pickford zum teuersten englischen Torhüter der Geschichte aufstiegen ließ.
In der vergangenen PremierLeague-Saison gelangen ihm die meisten Paraden pro Spiel, die Aufmerksamkeit von Southgate war ihm somit sicher. Das bevorstehende WM-Halbfinale weckt pure Vorfreude und keinerlei Angst. „Ich habe viele Spiele in Englands zweiter Liga absolviert. Und ein WM-Halbfinale ist wie ein Zweitligaspiel, nur dass die Bühne etwas größer ist.“