Die Presse

Aus dem Niemandsla­nd auf die größte ller Bühnen

WM-Entdeckung. Vor drei Jahren spielte Jordan Pickford, Torhüter der „Three Lions“, noch in der dritten Liga. Jetzt lässt er England vom ersten WM-Titel seit 1966 träumen.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Moskau/Wien. Vor dem Achtelfina­le der Engländer gegen Kolumbien hatte Ars`ene Wenger öffentlich die Schwachste­lle im Spiel der „Three Lions“ausgemacht: Jordan Pickford. „Er hat keine internatio­nale Erfahrung. Die Mannschaft­en, die Weltmeiste­r wurden, hatten immer einen großartige­n Torhüter.“

Mittlerwei­le hat Jordan Pickford Monsieur Wenger eines Besseren belehrt, Englands Torhüter ist eine der Entdeckung­en dieser WM. Wenn in der Vergangenh­eit über Goalies von der Insel gesprochen wurde, dann meist über deren haarsträub­ende Fehler oder das Versagen beim Elfmetersc­hießen. Der 24-jährige Pickford aber ist anders, dabei war seine Nominierun­g durch Teamchef Gareth Southgate durchaus risikobeha­ftet.

Als jüngster Torhüter der englischen WM-Geschichte steht der 1,85 Meter große Schlussman­n stellvertr­etend für eine Mannschaft, die vor Turnierbeg­inn mit durchschni­ttlich 20 Länderspie­len zu den unerfahren­sten in Russland zählte. Beim 2:1-Auftaktsie­g gegen Tunesien gab Pickford sein Pflichtspi­eldebüt, erst im November des Vorjahres hatte Southgate ihn zur Nummer eins ernannt.

14 abgewehrte Schüsse in den Testspiele­n gegen Deutschlan­d (0:0), die Niederland­e (1:0) und Nigeria (2:1) ebneten dem jungen Mann aus Washington, einer 70.000-Einwohner-Stadt im Nordosten des Landes, den Weg.

Auf Klubebene wurde Jordan Lee Pickford lange Zeit nicht sesshaft. Er durchlief die hochgelobt­e Jugendschu­le des AFC Sunderland, wo er als 17-Jähriger seinen ersten Profivertr­ag unterschri­eb. Was folgte, waren nicht weniger als sechs Leihgeschä­fte:

FC Darlington, Alfreton Town, Burton Albion, Carlisle United, Bradford City, Preston North End – die große Fußballwel­t klingt anders, doch seine Vita sah Pickford nie als Hindernis. „Man muss das mal so sehen: Jemand, der Elektriker wird, sammelt ja auch erst an kleinen Sachen Erfahrunge­n, bevor er an den ganz großen Dingen herumschra­uben darf.“

An den großen Dingen schraubt Pickford nun seit zwei Jahren herum. Nach einer guten Saison bei Sunderland dockte er beim Ligarivale­n FC Everton an. Die Toffees ließen sich die Dienste des Torhüters 34 Millionen Euro kosten – eine Summe, die Pickford zum teuersten englischen Torhüter der Geschichte aufstiegen ließ.

In der vergangene­n PremierLea­gue-Saison gelangen ihm die meisten Paraden pro Spiel, die Aufmerksam­keit von Southgate war ihm somit sicher. Das bevorstehe­nde WM-Halbfinale weckt pure Vorfreude und keinerlei Angst. „Ich habe viele Spiele in Englands zweiter Liga absolviert. Und ein WM-Halbfinale ist wie ein Zweitligas­piel, nur dass die Bühne etwas größer ist.“

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[ Reuters] Jordan Pickford, Englands sicherer Rückhalt.

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