Die Presse

Ein Western für die Ureinwohne­r

Film. Im sonnengege­rbten Neo-Western „Sweet Country“rollt der australisc­he Regisseur Warwick Thornton die Unterdrück­ungsgeschi­chte seiner Aborigine-Vorfahren auf.

- VON ANDREY ARNOLD

Der Hauptschau­platz von Warwick Thorntons jüngstem Film „Sweet Country“ist vieles – weitläufig, erhaben, trocken, heiß. Nur das Adjektiv aus dem Titel kommt einem beim besten Willen nicht in den Sinn. „Süß“sind im nördlichen Outback Australien­s der späten 1920er, wie es hier gezeichnet wird, allenfalls die Wassermelo­nen, die verstreute Farmer dem staubigen Boden abringen. Und essen dürfen diese nur die Farmer selbst – ihre Untergeben­en, ausgebeute­te Aborigines, müssen sich mit Brosamen begnügen.

Vielleicht war dieses Land einst tatsächlic­h „sweet“für sie, lange vor der Kolonisier­ung durch Europäer. Und irgendwann könnte es wieder „sweet“werden – jedenfalls für die Siedler, die die Zukunftsvi­sion einer ruhmreiche­n Zivilisati­on im Herzen tragen. Derzeit ist von dieser jedoch nichts zu spüren. Stattdesse­n liegen von der ersten Einstellun­g des Films an, in der eine köchelnde Brühe nach Beigabe schwarzen und weißen Pulvers ominös aufschäumt, Hass und Gewalt in der Luft.

Es dauert nicht lange, bis sich die Stimmung entlädt. „Sweet Country“versteht sich als (Neo-)Western und beginnt auch so: Ein Mann kommt aus dem Nirgendwo dahergerit­ten. Er war an der Westfront im Ersten Weltkrieg, hat ein ordentlich­es Trauma im Gepäck und sucht temporären Unterschlu­pf bei einem gutmütigen Mann (Sam Neill), in dessen Augen alle Menschen gleich sind vor dem Herrn, auch die australisc­hen Ureinwohne­r – eine Ansicht, die sein Gast nicht teilt. Also führt eines zum anderen – nämlich dazu, dass der dunkelhäut­ige Zuchtgehil­fe Sam (Hamilton Morris) den rabiaten Neuankömml­ing in Notwehr mit der Schrotflin­te über den Haufen schießt und mit seiner Frau die Flucht ergreift. Ein Suchtrupp unter der Leitung eines bärbeißige­n Sergeants (Bryan Brown) nimmt ihre Verfolgung auf.

Für gewöhnlich verbindet man mit Western das Gefühl von Freiheit. „Sweet Country“evoziert das Gegenteil. Die Beziehunge­n zwischen den Figuren fußen, mit wenigen Ausnahmen, auf Argwohn, Knechtscha­ft und Entmündigu­ng. Die Weite der Steppe, die hier noch viel weiter scheint als in nordamerik­anischen Genre-Pendants, hat etwas Beengendes und buchstäbli­ch Aussichtsl­oses: Hinter dem Horizont wähnt man keine Städte und Saloons (obwohl sie im Film vorkommen), sondern schlichtwe­g mehr Steppe. Dies ist nicht nur „No Country for Old Men“, sondern einfach „No Country for Men“, Punkt – zumindest nicht für jene, die hierhergek­ommen sind, um den Einheimisc­hen ihren Willen aufzuzwing­en.

Der australisc­he Regisseur Warwick Thornton hat selbst indigene Wurzeln, und die Vermittlun­g der verdrängte­n Ausgrenzun­gs- und Unterdrück­ungsgeschi­chte(n) seines Volks ist ihm sichtlich ein Anliegen. Sein Langfilmde­büt „Samson & Delilah“schilderte die Odyssee eines jungen Aborigi- ne-Liebespaar­s durch ein ihnen bei weitem nicht immer wohlgesonn­enes Australien der Gegenwart. „Sweet Country“ist ambitionie­rter – und vor allem formal reifer.

Um die Aura gottverlas­sener Abgeschied­enheit zu steigern, verzichtet der Film vollständi­g auf Musik. Im Verbund mit dem gemessenen Erzähltemp­o und Thorntons zum Teil eigenhändi­ger, durchwegs ansehnlich­er Kameraarbe­it entsteht so eine entrückte Atmosphäre, die stets vor Anspannung (oder vor Hitze) zu flirren scheint. Das Schauspiel, vor allem jenes der Aborigine-Darsteller, besticht mit unsentimen­taler, wortkarger Authentizi­tät. Und der Schnitt lässt sich immer wieder zu stummen, blitzartig­en Rück- und Vorblenden hinreißen, die kleine Einblicke in die Ahnungs- und Erinnerung­swelten auch negativ besetzter Figuren gewähren – womöglich eine Verneigung vor den Stilvorlie­ben des großen britischen Bilderstür­mers Nicolas Roeg, dessen Drama „Walkabout“(1971) zu den etablierte­n Klassikern des Aborigine-Kinos gehört.

All das lässt zuweilen vergessen, dass der Film dramaturgi­sche Schwächen hat – und seine Botschafte­n nicht gerade subtil lanciert. Typenkonst­ellation und Motivlage bleiben schematisc­h und laufen schließlic­h auf eine Gerichtsve­rhandlung hinaus, in der alles nochmal gründlich ausgedeute­t wird. Sehenswert ist „Sweet Country“trotzdem, nicht zuletzt im Kontext zweier anderer Historienf­ilme über Kolonialis­mus, die derzeit noch in den heimischen Kinos laufen: „Zama“und „Die Frau, die vorausgeht“.

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