Eine Gewerkschaft für die Ich-AGs
Gudula Walterskirchen beklagt, Ein-Personen-Unternehmen hätten keine gewerkschaftliche Vertretung. Falsch!
Die Arbeitswelt hat sich radikal verändert, Grenzen zwischen Arbeitern, Angestellten und Unternehmern verschwimmen immer mehr. Eine der Folgen: Ich-AGs gehören mittlerweile zum Alltag. Das hat sich auch längst in der Sozialpartnerschaft herumgesprochen. Dennoch geistert nach wie vor die Annahme herum, dass EPU (Ein-Personen-Unternehmen) in Österreich nicht adäquat repräsentiert werden und Arbeitnehmerrechte deshalb auf der Strecke bleiben. Erst kürzlich hat die Journalistin Gudula Walterskirchen an dieser Stelle behauptet („Die Gewerkschaft verharrt in der Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts“, „Quergeschrieben“9. 7.), EPU hätten in unserem Land keine gewerkschaftliche Vertretung. Falsch!
Newsflash: Die Gewerkschaft Vida hat im vergangenen Herbst eine eigene gewerkschaftliche Initiative namens Vidaflex gegründet, die sich an die Kollegen aus dem wachsenden Bereich der EPU richtet, die bis jetzt noch keine organisierte freiwillige Vertretung hatten. Vidaflex nimmt sich der über 300.000 Männer und Frauen an, die als Journalisten, Handwerker, Flugbegleiter, Fotografen und so weiter arbeiten. Vidaflex ist für jene Gruppen in der Arbeitswelt da, die bisher in der Gewerkschaft keinen Platz gefunden haben.
Die wichtigsten Zielgruppen von Vidaflex innerhalb des Bereichs der personenbezogenen Dienstleitungen sind beispielsweise Betreuer in der 24-Stunden-Pflege. Im Moment ist Vidaflex auf Tour durch Rumänien, um angehende 24-Stunden-Betreuer über ihre Pflichten und Rechte als EPU in Österreich zu beraten. Ihre Arbeitskraft soll nicht von zwielichtigen Vermittlern ausgebeutet werden. Unsere Erfahrungen vor Ort zeigen, dass es sehr großen Aufholbedarf gibt, was Information bzw. Unterstützung betrifft.
Die europaweit bisher einzigartige gewerkschaftliche Initiative Vidaflex beweist: Die Ge- werkschaft steckt mitnichten in der Vergangenheit. Vielmehr ist es so, dass sich die Regierung nach der Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts sehnt. Gerade deswegen ist es umso wichtiger, entschlossen gegen die 60-StundenArbeitswoche aufzutreten. Dieses Gesetz betrifft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und es ist die ureigenste Aufgabe des ÖGB, diese Menschen zu vertreten. (Übrigens: Dass die Eisenbahner im Rahmen der Proteste „gestreikt haben“, wie in Walterskirchens Kommentar behauptet, ist schlicht falsch. Die Kollegen haben Betriebsversammlungen abgehalten, bei denen sie über die unterbrochenen KV-Verhandlungen und die Auswirkungen des neuen Arbeitszeitgesetzes informiert wurden.)
Auch Vidaflex ist gegen die 60-Stunden-Arbeitswoche. Wir haben uns mit Protesten des ÖGB solidarisch gezeigt. Als Selbstständige in der neuen Arbeitswelt brauchen wir keine verstärkte Klassengesellschaft, sondern Kooperation und Fairness. Zudem betrifft das Gesetz alle EPU, die möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt im Leben in die Lohnabhängigkeit zurückkehren wollen oder müssen. Davon gibt es mehr als genug. Wir leben nämlich nicht mehr um 1900 und bleiben daher nicht unser Leben lang entweder Arbeitgeber oder Arbeitnehmer.
Wir von Vidaflex wollen, dass die vielen kleinen Einzelunternehmen sich nicht als Einzelkämpfer durchs Leben schlagen müssen, sondern gehört werden. Neue Herausforderungen für die arbeitenden Menschen brauchen neue Antworten der Arbeitnehmervertretung. Sonst besteht die Gefahr, dass sich auch bei uns das Tor zur Ausbeutung öffnet, das wir im Gegensatz zu anderen Teilen dieser Welt durch starke Gewerkschaften zum Glück geschlossen haben.