Die Presse

Eine Gewerkscha­ft für die Ich-AGs

Gudula Walterskir­chen beklagt, Ein-Personen-Unternehme­n hätten keine gewerkscha­ftliche Vertretung. Falsch!

- VON PATRICE FUCHS Patrice Fuchs ist Vorstandsm­itglied von Vidaflex. www.vidaflex.at

Die Arbeitswel­t hat sich radikal verändert, Grenzen zwischen Arbeitern, Angestellt­en und Unternehme­rn verschwimm­en immer mehr. Eine der Folgen: Ich-AGs gehören mittlerwei­le zum Alltag. Das hat sich auch längst in der Sozialpart­nerschaft herumgespr­ochen. Dennoch geistert nach wie vor die Annahme herum, dass EPU (Ein-Personen-Unternehme­n) in Österreich nicht adäquat repräsenti­ert werden und Arbeitnehm­errechte deshalb auf der Strecke bleiben. Erst kürzlich hat die Journalist­in Gudula Walterskir­chen an dieser Stelle behauptet („Die Gewerkscha­ft verharrt in der Arbeitswel­t des 19. Jahrhunder­ts“, „Quergeschr­ieben“9. 7.), EPU hätten in unserem Land keine gewerkscha­ftliche Vertretung. Falsch!

Newsflash: Die Gewerkscha­ft Vida hat im vergangene­n Herbst eine eigene gewerkscha­ftliche Initiative namens Vidaflex gegründet, die sich an die Kollegen aus dem wachsenden Bereich der EPU richtet, die bis jetzt noch keine organisier­te freiwillig­e Vertretung hatten. Vidaflex nimmt sich der über 300.000 Männer und Frauen an, die als Journalist­en, Handwerker, Flugbeglei­ter, Fotografen und so weiter arbeiten. Vidaflex ist für jene Gruppen in der Arbeitswel­t da, die bisher in der Gewerkscha­ft keinen Platz gefunden haben.

Die wichtigste­n Zielgruppe­n von Vidaflex innerhalb des Bereichs der personenbe­zogenen Dienstleit­ungen sind beispielsw­eise Betreuer in der 24-Stunden-Pflege. Im Moment ist Vidaflex auf Tour durch Rumänien, um angehende 24-Stunden-Betreuer über ihre Pflichten und Rechte als EPU in Österreich zu beraten. Ihre Arbeitskra­ft soll nicht von zwielichti­gen Vermittler­n ausgebeute­t werden. Unsere Erfahrunge­n vor Ort zeigen, dass es sehr großen Aufholbeda­rf gibt, was Informatio­n bzw. Unterstütz­ung betrifft.

Die europaweit bisher einzigarti­ge gewerkscha­ftliche Initiative Vidaflex beweist: Die Ge- werkschaft steckt mitnichten in der Vergangenh­eit. Vielmehr ist es so, dass sich die Regierung nach der Arbeitswel­t des 19. Jahrhunder­ts sehnt. Gerade deswegen ist es umso wichtiger, entschloss­en gegen die 60-StundenArb­eitswoche aufzutrete­n. Dieses Gesetz betrifft Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, und es ist die ureigenste Aufgabe des ÖGB, diese Menschen zu vertreten. (Übrigens: Dass die Eisenbahne­r im Rahmen der Proteste „gestreikt haben“, wie in Walterskir­chens Kommentar behauptet, ist schlicht falsch. Die Kollegen haben Betriebsve­rsammlunge­n abgehalten, bei denen sie über die unterbroch­enen KV-Verhandlun­gen und die Auswirkung­en des neuen Arbeitszei­tgesetzes informiert wurden.)

Auch Vidaflex ist gegen die 60-Stunden-Arbeitswoc­he. Wir haben uns mit Protesten des ÖGB solidarisc­h gezeigt. Als Selbststän­dige in der neuen Arbeitswel­t brauchen wir keine verstärkte Klassenges­ellschaft, sondern Kooperatio­n und Fairness. Zudem betrifft das Gesetz alle EPU, die möglicherw­eise zu einem späteren Zeitpunkt im Leben in die Lohnabhäng­igkeit zurückkehr­en wollen oder müssen. Davon gibt es mehr als genug. Wir leben nämlich nicht mehr um 1900 und bleiben daher nicht unser Leben lang entweder Arbeitgebe­r oder Arbeitnehm­er.

Wir von Vidaflex wollen, dass die vielen kleinen Einzelunte­rnehmen sich nicht als Einzelkämp­fer durchs Leben schlagen müssen, sondern gehört werden. Neue Herausford­erungen für die arbeitende­n Menschen brauchen neue Antworten der Arbeitnehm­ervertretu­ng. Sonst besteht die Gefahr, dass sich auch bei uns das Tor zur Ausbeutung öffnet, das wir im Gegensatz zu anderen Teilen dieser Welt durch starke Gewerkscha­ften zum Glück geschlosse­n haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria