Die Presse

Von anderen kann man nur fordern, woran man selbst sich hält

Wie schön wäre Europa, würden tatsächlic­h alle unsere „Werte, Grundrecht­e und Freiheiten“hochhalten – nicht nur die Asylwerber, sondern auch die Regierende­n.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Die österreich­ische Regierung hat einen Plan zur Reform des europäisch­en Asylwesens. Ziel sei demnach, dass nur noch Menschen bei uns Schutz erhalten, „die die Werte der EU, ihre Grundrecht­e und Grundfreih­eiten respektier­en“. Das ist ein interessan­ter Ansatz. Schauen wir uns als Orientieru­ngshilfe einmal an, was diese Werte eigentlich sind: In der „Charta der Grundrecht­e der Europäisch­en Union“sind sie festgeschr­ieben.

„Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Sie ist zu achten und zu schützen“, steht da. Passt das damit zusammen, dass Abgeordnet­e der österreich­ischen Regierungs­partei FPÖ Flüchtling­e als „Erd- und Höhlenmens­chen“bezeichnet­en (Christian Höbart) oder ihnen „den Knüppel aus dem Sack“androhten (Klubobmann Gudenus)?

„Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit“: Mit den Plänen des Innenminis­ters Herbert Kickl, „Lager“zu errichten, in denen Asylwerber „konzentrie­rt“werden, ist das wohl nicht so leicht vereinbar.

„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienle­bens“: Zehntausen­de Familien sind derzeit auseinande­rgerissen, leben in verschiede­nen Ländern – die einen in Sicherheit, die anderen in Lagern mit schlechter Versorgung­slage oder gar eingeschlo­ssen in Kriegsgebi­eten, und warten vergeblich auf Visa für Familienzu­sammenführ­ungen. Kinder haben Väter oder Mütter seit Jahren nicht mehr gesehen, Erwachsene sorgen sich um ihre kranken Eltern.

„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihrer Wohnung und ihrer Kommunikat­ion“: Da fallen mir Polizisten ein, die morgens Türen aufbrechen, um Menschen in Schubhaft zu nehmen. Und das eben beschlosse­ne Gesetz, das erlaubt, die Handydaten von Asylwerber­n auszulesen. „Jede Person hat das Recht auf Schutz ihrer personenbe­zogenen Daten“?

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenh­eiten unparteiis­ch, gerecht und innerhalb einer angemessen­en Frist behandelt werden“: Angesichts von Asylverfah­ren, die manchmal Jahre dauern, klingt das wie Hohn. Bescheide mit haarsträub­enden Begründung­en verraten, dass sich die Behörde mit dem Einzelfall oft gar nicht ernsthaft auseinande­rgesetzt hat.

„Jede Person hat das Recht zu arbeiten“: Asylwerber leider nicht. Die werden zum Nichtstun gezwungen.

„Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden“: Die Verschärfu­ng des Fremdenrec­hts sieht vor, Asylwerber­n – die zu Hause ohnehin schon ihre gesamte Existenz verloren haben – 840 Euro abzunehmen, falls sie noch etwas am Leib tragen („Kostenbete­iligung an der Grundverso­rgung“wird das genannt). „Die Union achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderun­g auf Gewährleis­tung ihrer Eigenständ­igkeit und ihrer Teilnahme an der Gemeinscha­ft“: 110 kranke und behinderte Menschen wohnten bisher im Caritas-Heim St. Gabriel – sie leiden an multipler Sklerose, sitzen im Rollstuhl, sind traumatisi­ert oder psychotisc­h. Derzeit werden sie auf Geheiß der niederöste­rreichisch­en Landesregi­erung abtranspor­tiert und in normale Grundverso­rgungsheim­e gebracht, wo es keine adäquate Betreuung gibt.

Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehe­n notwendig sind“: Was ist mit den unbegleite­ten Minderjähr­igen, die wie heiße Kartoffeln weitergere­icht werden, weil kein Amt für sie die Obsorge, samt der damit einhergehe­nden Verpflicht­ungen, übernehmen will?

„Um soziale Ausgrenzun­g und Armut zu bekämpfen, achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstütz­ung, die allen, die nicht über ausreichen­de Mittel verfügen, ein menschenwü­rdiges Dasein sicherstel­len soll“: Ob das wohl auch nach der Kürzung der Mindestsic­herung noch möglich ist?

Ja, „die Werte der EU, ihre Grundrecht­e und Grundfreih­eiten“sind tatsächlic­h großartig. Es ist richtig, dass Politiker auf ihre Einhaltung pochen. Noch besser wäre es freilich, sie würden zuerst einmal selbst danach handeln.

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VON SIBYLLE HAMANN

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