Von anderen kann man nur fordern, woran man selbst sich hält
Wie schön wäre Europa, würden tatsächlich alle unsere „Werte, Grundrechte und Freiheiten“hochhalten – nicht nur die Asylwerber, sondern auch die Regierenden.
Die österreichische Regierung hat einen Plan zur Reform des europäischen Asylwesens. Ziel sei demnach, dass nur noch Menschen bei uns Schutz erhalten, „die die Werte der EU, ihre Grundrechte und Grundfreiheiten respektieren“. Das ist ein interessanter Ansatz. Schauen wir uns als Orientierungshilfe einmal an, was diese Werte eigentlich sind: In der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“sind sie festgeschrieben.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen“, steht da. Passt das damit zusammen, dass Abgeordnete der österreichischen Regierungspartei FPÖ Flüchtlinge als „Erd- und Höhlenmenschen“bezeichneten (Christian Höbart) oder ihnen „den Knüppel aus dem Sack“androhten (Klubobmann Gudenus)?
„Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit“: Mit den Plänen des Innenministers Herbert Kickl, „Lager“zu errichten, in denen Asylwerber „konzentriert“werden, ist das wohl nicht so leicht vereinbar.
„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens“: Zehntausende Familien sind derzeit auseinandergerissen, leben in verschiedenen Ländern – die einen in Sicherheit, die anderen in Lagern mit schlechter Versorgungslage oder gar eingeschlossen in Kriegsgebieten, und warten vergeblich auf Visa für Familienzusammenführungen. Kinder haben Väter oder Mütter seit Jahren nicht mehr gesehen, Erwachsene sorgen sich um ihre kranken Eltern.
„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihrer Wohnung und ihrer Kommunikation“: Da fallen mir Polizisten ein, die morgens Türen aufbrechen, um Menschen in Schubhaft zu nehmen. Und das eben beschlossene Gesetz, das erlaubt, die Handydaten von Asylwerbern auszulesen. „Jede Person hat das Recht auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten“?
„Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden“: Angesichts von Asylverfahren, die manchmal Jahre dauern, klingt das wie Hohn. Bescheide mit haarsträubenden Begründungen verraten, dass sich die Behörde mit dem Einzelfall oft gar nicht ernsthaft auseinandergesetzt hat.
„Jede Person hat das Recht zu arbeiten“: Asylwerber leider nicht. Die werden zum Nichtstun gezwungen.
„Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden“: Die Verschärfung des Fremdenrechts sieht vor, Asylwerbern – die zu Hause ohnehin schon ihre gesamte Existenz verloren haben – 840 Euro abzunehmen, falls sie noch etwas am Leib tragen („Kostenbeteiligung an der Grundversorgung“wird das genannt). „Die Union achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit und ihrer Teilnahme an der Gemeinschaft“: 110 kranke und behinderte Menschen wohnten bisher im Caritas-Heim St. Gabriel – sie leiden an multipler Sklerose, sitzen im Rollstuhl, sind traumatisiert oder psychotisch. Derzeit werden sie auf Geheiß der niederösterreichischen Landesregierung abtransportiert und in normale Grundversorgungsheime gebracht, wo es keine adäquate Betreuung gibt.
Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind“: Was ist mit den unbegleiteten Minderjährigen, die wie heiße Kartoffeln weitergereicht werden, weil kein Amt für sie die Obsorge, samt der damit einhergehenden Verpflichtungen, übernehmen will?
„Um soziale Ausgrenzung und Armut zu bekämpfen, achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen soll“: Ob das wohl auch nach der Kürzung der Mindestsicherung noch möglich ist?
Ja, „die Werte der EU, ihre Grundrechte und Grundfreiheiten“sind tatsächlich großartig. Es ist richtig, dass Politiker auf ihre Einhaltung pochen. Noch besser wäre es freilich, sie würden zuerst einmal selbst danach handeln.