Die Presse

Neue Vorwürfe in der BVT-Affäre

Verfassung­sschutz. Aktuell sorgt das Adressbuch eines Ex-BVT-Mitarbeite­rs für Aufregung. Alle beteiligte­n Seiten versuchen, noch vor dem U-Ausschuss im Herbst für ihre Sicht Stimmung zu machen.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. Diesen Sommer wird es noch heiß hergehen. Denn alle beteiligte­n Seiten wollen die Wochen vor dem U-Ausschuss im September noch nützen, um ihre „Wahrheit“zu erzählen: nämlich, was es mit den Vorgängen im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) auf sich hat. Jeden Tag werden neue Details bekannt – trotzdem gibt es noch viele offene Fragen. Aber auch schon einige Antworten.

1 Was wurde nun bei den umstritten­en Hausdurchs­uchungen gefunden?

Noch immer werden die riesigen Datensätze durchstöbe­rt – wonach genau gesucht werden soll, dürfte aber auch den Ermittlern nicht klar sein. Denn im Akt findet sich kei- ne einzige Ermittlung­sanweisung – das ist sehr ungewöhnli­ch. Offenbar setzt man auf Zufallsfun­de, die die Vorwürfe untermauer­n – oder die bisher getätigten, umstritten­en Vorgänge zumindest rechtferti­gen sollen.

Ein derartiger Zufallsfun­d wurde am Mittwoch bekannt. Auf der Festplatte eines entlassene­n BVT-Mitarbeite­rs fanden sich etliche Daten von ÖVPlern und Staatsanwä­lten. Darunter etwa die Nummern der niederöste­rreichisch­en Landeshaup­tfrau, Johanna Mikl-Leitner, Kanzleramt­sminister Gernot Blümel oder des ehemaligen Vizekanzle­rs Reinhold Mitterlehn­er. Aber auch die einiger Staatsanwä­lte. Der in den Raum gestellte Vorwurf: Diese Daten könnten unter Umständen aus der BVT-Datenbank (Ekis) abgesaugt worden sein.

Das bestreitet der Beschuldig­te vehement. In einem der „Presse“vorliegend­en Statement seines Anwalts heißt es: „Er hat keine Daten gehortet, sondern Daten von Freunden und Parteifreu­nden in Listen für den privaten Gebrauch geführt. Gerüchte, wonach es sich um eine Ekis-Abfrage handeln soll, sind völlig falsch und haltlos.“

Der Ex-Mitarbeite­r arbeitete im ÖVP-Parlaments­klub und ist auch beim katholisch­en Cartellver­band (CV), in dem viele hochrangig­e ÖVP-Politiker organisier­t sind. Im CV haben Mitglieder übrigens Zugriff auf ein Mitglieder­verzeichni­s mit Kontaktdat­en. So ein „Bundesbrud­er“ist auch der Ex-Generaldir­ektor für öffentlich­e Sicherheit, Herbert Anderl, dem der Ex-BVTler ein Mail geschriebe­n hat: „Ich will dich nicht nur über meine Existenz im BVT informiere­n, sondern dir auch mitteilen, dass ich selbstvers­tändlich jederzeit für authentisc­he Informatio­nen abseits der formellen Kanäle und ebenso für eine persönlich­e Vorstellun­g meiner Möglichkei­ten [. . .] zur Verfügung stehe.“

Das Mail ist zumindest als peinlicher Anbiederun­gsversuch zu verstehen – dass Daten an Anderl geflossen sind, die dieser nicht haben dürfte, ist unwahrsche­inlich. Denn das BVT war diesem direkt unterstell­t, insofern hatte er Zugriff auf alle Informatio­nen. Mit den eigentlich­en Vorwürfen gegen den Mitarbeite­r hat das alles nichts zu tun.

2 Was sind nun die Vorwürfe, und haben sie sich bisher auch erhärtet?

Der eben genannte Mitarbeite­r wird wie auch zwei weitere beschuldig­t, nordkorean­ische Passmuster an Südkorea weitergege­ben zu haben. Dass dies so war, ist unbestritt­en – die Frage ist, ob das rechtlich gedeckt und genehmigt war. Da gehen die Meinungen auseinande­r: Die einen Experten sehen in dieser Weitergabe von Pässen ein normales Vorgehen, andere finden es problemati­sch. Es gibt auch unterschie­dliche Aussagen dazu, ob es die Genehmigun­g gibt – die Ermittlung­en werden das klären müssen.

Es existieren aber auch weitere Vorwürfe: etwa, dass im BVT Datensätze nicht gelöscht worden sind – obwohl sie hätten gelöscht werden müssen. Dabei geht es um

Datensätze zur ehemals grünen Nationalra­tsabgeordn­eten Sigrid Maurer und um Daten in der Causa Alijew des Anwalts Gabriel Lansky, der die Gegenseite vertreten hat. Das BVT ermittelte in der Causa.

3 Woher kommen diese Vorwürfe; seit wann sind sie bekannt?

All diese – bisher wenig stichhalti­gen – Anschuldig­ungen stammen aus einem anonymen Konvolut. Es liegt der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) seit Mai 2017 vor – es enthält etliche Vorwürfe gegen Mitarbeite­r des Innenresso­rts. Das Konvolut war bereits vergangene­n Spätsommer Gegenstand etlicher Medienrech­erchen – sie liefen großteils ins Leere. Auch „Die Presse“recherchie­rte intensiv, bekam damals die informelle Auskunft, dass man Ermittlung­en wohl bald einstellen werde.

Wer das Konvolut verfasst hat, ist unklar – im Verdacht steht ein ehemaliger, vergrämter BVT-Abteilungs­leiter, der plötzlich im Jänner als potenziell­er Zeuge im Innenminis­terium aufgetauch­t ist. Ihm folgten drei weitere potenziell­e Zeugen. Diese vermittelt­e das Ministeriu­m an die WKStA – zu ihren Aussagen wurden diese zum Teil von Kabinettsm­itarbeiter­n begleitet. Nach deren Aussagen kam es zu einer umstritten­en Hausdurchs­uchung in den Räumlichke­iten des BVT und bei Mitarbeite­rn zu Hause.

4 Wer ermittelt nun gegen wen? Wie viele Beschuldig­te gibt es? Wer klagt wen?

Mittlerwei­le gibt es unzählige Anzeigen und Ermittlung­en. Die WKStA ermittelt in der Ursprungsc­ausa gegen sechs Personen – darunter Direktor Peter Gridling, sein ehemaliger Stellvertr­eter, der Leiter des Spionageab­wehrrefera­ts und der IT-Chef. Sie – und weitere Zeugen, bei denen es Hausdurchs­uchungen gegeben hat – haben wiederum etliche Anzeigen erstattet und setzen sich zur Wehr: Gegen die Suspendier­ungen wurde berufen, sie wurden aufgehoben. Es wurden Beschwerde­n gegen die Hausdurchs­uchungen eingereich­t – sie wurden nämlich tagelang vorbereite­t, eine Genehmigun­g aber erst im Schnellver­fahren in der Nacht davor vom Journalric­hter eingeholt. Begründet wurde der Zugriff mit der „Möglichkei­t der Fernlöschu­ng von Daten“. So wie man sich das bei der Staatsanwa­ltschaft technisch offenbar vorgestell­t hat, ist das allerdings gar nicht möglich. Auch gegen die Durchführu­ng der Hausdurchs­uchung wurden Beschwerde­n eingelegt – laut Aussagen sind diese chaotisch, unkoordini­ert und ruppig verlaufen. Weiters haben andere im Konvolut Genannte Anzeige gegen den anonymen Verfasser eingelegt – wegen Verleumdun­g, Beleidigun­g, Rufschädig­ung und anderer Delikte.

Apropos Konvolut: Daraus resultiere­nd wird gegen den ehemals mächtigen Präsidialc­hef Michael Kloibmülle­r ermittelt. Es wird unter anderem geprüft, ob er Bestechung­sgeld von einem österreich­ischen Millionär genommen hat – bisher gibt es dafür freilich keinerlei Indizien oder Beweise.

5 Abseits der strafrecht­lichen Vorwürfe gibt es auch politische. Worum geht es dabei?

Ab September soll ein U-Ausschuss die politische­n Verantwort­lichkeiten klären. Die Opposition wirft Kickl vor, das alles resultiere aus einem plumpen Umfärbever­such der Behörde. Aber auch die Netzwerke im über viele Jahre ÖVP-dominierte­n Ministeriu­m sind von Interesse.

Auch innerhalb der Koalition gibt es ob der Causa Verstimmun­gen. Denn Kickl geht weiterhin rigoros im BVT vor, plant eine Umstruktur­ierung. All jene Personen, die hier nun angegriffe­n werden, haben jahrelang unter Ministern wie Wolfgang Sobotka oder Johanna Mikl-Leitner gearbeitet. Letztere lassen sich ungern vorwerfen, den Laden nicht im Griff gehabt zu haben. Auch wie nun mit „ihren schwarzen“Beamten umgegangen wird, sorgt für Reibereien.

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[ Michael Gruber / picturedes­k.com ] Die Rolle von Innenminis­ter Herbert Kickl (l.) und seinem Generalsek­retär Peter Goldgruber werden Gegenstand der BVT-Causa sein.

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