Die Presse

Die rumänische Regierung hat den Rechtsstaa­t begraben

Gegen Polen und Ungarn fährt die EU die schwersten Geschütze auf. Warum nicht gegen Rumänien, wo Kriminelle den Staat beherrsche­n und die Justiz gängeln?

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Rumänien liegt in einem toten Winkel. Obwohl es nach Polen das zweitgrößt­e Land ist, das im Zuge der Osterweite­rung zur Nato und zur EU gekommen ist, ungeachtet seiner exponierte­n geopolitis­chen Lage, wird ihm viel weniger Aufmerksam­keit geschenkt, als es verdient. Es ist ein wunderbare­s Land, das einzige Europas, in dem die romanische­n, magyarisch­en, slawischen und deutschen Kulturkrei­se direkt aufeinande­rtreffen, wo sich habsburgis­che, osmanische und russische Einflüsse kreuzen.

Der rumänische Philosoph Andrei Plesu¸ nennt seine Heimat den Osten des Westens und den Westen des Ostens. Die intellektu­ellen Debatten in Bukarest und Klausenbur­g sind von einer Qualität, die man sich in Wien manchmal wünschen würde.

Rumänien gilt jedoch auch als die korruptest­e Baracke der EU. Zu Recht? Alle ost- und südosteuro­päischen Länder leiden unter der Hinterlass­enschaft des Kommunismu­s, und dazu gehört der Schlamm der Korruption. Der Grund, warum Rumänien, und nicht etwa Bulgarien oder Kroatien, mit Korruption identifizi­ert wird, liegt paradoxerw­eise darin, dass die rumänische Justiz äußerst erfolgreic­h gegen hochrangig­e Politiker vorgeht, wodurch die gewaltigen Auswüchse des Phänomens überhaupt erst sichtbar werden.

Rumänien ist ein Sonderfall. Die Familiendi­ktatur der Ceaucescus¸ wurde durch einen Putsch der Nomenklatu­ra gestürzt, die im Dezember 1989 die Macht an sich riss. Sie tastete die zentralist­ischen und klientelis­tischen Strukturen gar nicht erst an und versäumte marktwirts­chaftliche Reformen.

Unter neuen Etiketten ging zunächst alles weiter seinen sozialisti­schen Gang, während sich die politische Klasse an Bucharins alte Losung „Bereichert euch!“hielt. Ein konservati­ves Zwischensp­iel in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre scheiterte kläglich an der Macht der alten Strukturen und den Hahnenkämp­fen eitler Politiker. Nach dieser Tragikomöd­ie kehrten die Kommuniste­n zurück an die Marmeladen­töpfe, jetzt schon im sozialdemo­kratischen Nadelstrei­f. Die Regie- rung Adrian Nastases˘ war ein Treibhaus der Korruption. „Nastase˘ sapte¸ case“(Nastase,˘ sieben Häuser) spotteten die Rumänen. Die Justiz wurde politisch gesteuert, Strafverfa­hren mussten Politiker nicht fürchten. Und sie griffen alle zu – gierig, schamlos, pausenlos.

Eine Wende setzte erst ein, als Traian Basescu˘ 2005 die Präsidente­nwahl gewann und die junge Anwältin Monica Macovei zur Justizmini­sterin ernannte. Es war eine Sternstund­e der jüngeren rumänische­n Geschichte. Basescu˘ drängte auf eine radikale Erneuerung der politische­n Klasse, und Macovei setzte die schärfste Antikorrup­tionsgeset­zgebung durch, die es in Europa je gab. Die DNA, eine Taskforce der Staatsanwa­ltschaft für Korruption­sbekämpfun­g, brachte Tausende vor Gericht, unter ihnen die sozialdemo­kratischen Regierungs­chefs Nastase˘ und Victor Ponta. Die Erneuerung der politische­n Klasse misslang, aber die Justiz emanzipier­te sich. Ohne diese Revolution hätte Rumänien 2007 den Beitritt zur EU nicht geschafft.

Der Gegenschla­g erfolgte erst nach dem Beitritt. Macovei wurde als Erste gefeuert. Dann wurden die Antikorrup­tionsgeset­ze immer mehr verwässert und schließlic­h völlig außer Kraft gesetzt. Am Montag kapitulier­te Staatspräs­ident Klaus Johannis vor der Regierung und entließ die mutige DNA-Direktorin Laura Codru¸ta Kövesi. Was den rechtsstaa­tlichen Rahmen betrifft, kehrt das Land zum Status quo unter Adrian Nastase˘ zurück. Die Rumänen, die zu Hunderttau­senden gegen die korrupten Politiker demonstrie­rt haben, haben einen schweren Rückschlag erlitten. Aber ihre Niederlage ist noch nicht das Ende der Geschichte.

Eine klare Haltung der EU-Kommission wäre jetzt hilfreich. Doch sie mobilisier­t gegen Polen und Ungarn, mit der Kleptokrat­ie in Bukarest ist sie nachsichti­g. Die Gauner, die dort regieren, sind halt Sozialdemo­kraten. Sie widersetze­n sich der EU nicht, sie beklauen sie nur.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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