„Der größte physische Kick“
Tanzen. Die amerikanische Tänzerin und Choreografin Meg Stuart ist einer der „Superstars“des ImPulsTanz-Festivals – und freut sich schon auf lange Nächte.
Ans „Pogen“mit 15 Jahren in einem der Punkclubs in Boston, daran erinnert sich Meg Stuart noch heute lebhaft. Der Pogo, der zu Punkrock getanzt und wild herumgesprungen wird, um dann Schulter an Schulter aneinanderzukrachen, war damals ihr „größter physischer Kick“.
Es waren viele kleine Momente, die Meg Stuart zum Tanzen brachten. Für die Organisatoren des ImPulsTanz-Festivals ist sie einer der „Superstars“der internationalen modernen Tanzszene. Mit drei Stücken und zwei Workshops gastiert die US-Amerikanerin auch heuer wieder beim Festival im Wiener Museumsquartier.
Als Tochter von zwei Theaterregisseuren ist sie vor allem in Los Angeles aufgewachsen, hat ihre Freizeit hinter der Bühne verbracht und von klein auf bei den Inszenierungen mitgespielt. „In den Siebzigern hat L.A. vibriert, ich war immer von Künstlern umgeben“, erzählt Stuart.
Unter Menschen zu sein, die sie inspirieren, ist auch das, was sie heute an dem Tanzfestival in Wien so schätzt. Weswegen sie seit 1994 immer wiederkehrt. Zum 16. Mal ist Stuart heuer bei ImPulsTanz, wenn wieder Tausende Tänzer und Choreografen aus aller Welt die Stadt einnehmen. An dem einmonatigen Festival stehen für Stuart nicht nur die Produktionen und Workshops im Mittelpunkt, sondern auch die besondere Festivalatmosphäre. „Ich neige dazu, mich fast zu sehr zu begeistern.“Die langen Nächte, die Performances, die Freunde, die neuen Leute: „Ich muss wirklich auf meine Energie aufpassen.“
Dabei plant die 53-Jährige im Kopf schon die eine oder andere Feier auf der Terrasse ihrer Gastwohnung gleich um die Ecke des Museumsquartiers. Dass sie den legendären Festivalpartys im Vestibül des Burgtheaters fernbleiben wird, nimmt man ihr auch nicht so ganz ab. Die besten Gespräche, meint Stuart, würden aber ohnehin dann entstehen, wenn sich die Tänzer draußen treffen: sich spontan an die Donau oder in einen Park setzen oder einfach auf den Enzis im Museumsquartiers den lauen Abend genießen.
Heuer leitet Meg Stuart gemeinsam mit der Österreicherin Florentina Holzinger das Dance-WEB, das Stipendien- und Trainingsprogramm des Festivals, bei dem sie 37 junge Talente in Tanz und Choreografie die nächsten vier Wochen als Mentorin begleitet. Wenn sie unterrichtet, nimmt sie fast am meisten für ihre eigenen Arbeiten mit. „Dabei kann ich experimentieren. Beibringen, was ich weiß, und was ich nicht weiß.“
Für die Stipendiaten, für die alle Workshops, Aufführungen und Projekte frei zugänglich sind, hat Stuart viel geplant. In dem „Camp“, wie sie es nennt, will sie viel improvisieren, meditieren, diskutieren, aber auch Schwimmen und Bowlen stehen auf dem Programm. „Was außerhalb vom Tanz passiert, ist wichtig“, meint sie. „Das wird ein Mix aus einem Lehrund einem sozialen Experiment.“
Nicht nur beim Festival, sondern in all ihre Projekte fließen gesellschaftliche Themen ein, die sie aktuell bewegen. „Blessed“, das Stück aus dem
geboren 1965 in New Orleans, studierte Tanz in New York, bevor sie 1994 in Brüssel die Kompanie Damaged Goods gründete. 2018 bekam die Tänzerin und Choreografin in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk. Beim ImPulsTanz-Festival gastiert sie mit den Stücken „Serious Fun“, „Blessed“und „Solos And Duets“und hält zwei Workshops. Das Festival selbst geht von 12. Juli bis 12. August. Auf Besucher warten 50 Produktionen, 235 Workshops und die Festival Lounge im Burgtheater Vestibül, in der zahlreiche DJs für tanzbare Klänge sorgen. Jahr 2007, mit dem sie heuer wieder in Wien gastiert, „kann in gewisser Weise als Reaktion auf den Hurrikan Katrina gesehen werden“, der im Jahr 2005 weite Teile von Stuarts Geburtsstadt, New Orleans, zerstörte. „Wie reagierst du, wenn deine Welt auseinanderfällt, wie machst du weiter?“, diese Fragen seien Thema in dem Stück.
Die MeToo-Debatten sei natürlich auch an der Tanzwelt nicht vorübergegangen. Stuart ist aber optimistisch, dass schon viel mehr Bewusstsein herrsche. Denn Dinge und Menschen in Bewegung zu bringen sei eben auch das Metier.
Nach ihrer Kindheit in Los Angeles zog sie mit 18 Jahren nach New York, um Tanz zu studieren. 1991 schuf sie ihr erstes abendfüllendes Stück, „Disfigure-Study“, mit dem sie ihre künstlerische Karriere in Europa lancierte. Drei Jahre später gründete sie in Brüssel die Tanzkompanie Damaged Goods, mit der sie über 30 Produktionen entwickelte. Heute lebt sie in Brüssel und Berlin.
Im Jänner 2018 erhielt Meg Stuart bei der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk. Zur Verleihung nahm sie ihren 15-jährigen Sohn mit. Tanzen, ob Pogo oder etwas anderes, würde dieser aber nur im Wohnzimmer.