Die Presse

Kindergeld­debatte erreicht Berlin

Deutschlan­d. Nach Österreich denkt nun auch die Große Koalition laut über die Indexierun­g des Kindergeld­es nach. Überweisun­gen aus Berlin an EU-Ausländer haben eine Rekordzahl erreicht.

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Um kontrovers­e Aussagen ist Sören Link nicht verlegen. Und so ist es nicht das erste Mal, dass Vertreter einer Minderheit, in diesem Fall Sinti und Roma, eine Entschuldi­gung des Oberbürger­meisters von Duisburg verlangen. „Ich muss mich hier mit Menschen beschäftig­en“, sagte Link jüngst mit Blick auf die Volksgrupp­e, „die ganze Straßenzüg­e vermüllen und das Rattenprob­lem verschärfe­n.“

Links Satz ist die eine Seite der aktuellen Kontrovers­e in Deutschlan­d. Die andere: Schlepperb­anden würden Menschen aus osteuropäi­schen Ländern in Duisburgs Problembez­irken ansiedeln, um hier Sozialleis­tungen zu erschleich­en. Link, im Übrigen ein Sozialdemo­krat, zettelte damit eine breite Debatte über das Kindergeld an, denn weitere Städte wie Fürth und Bremerhave­n stimmten mit ein und berichtete­n über Betrugsfäl­le, beispielsw­eise mit gefälschte­n Geburtsurk­unden.

Ein bereits bekanntes Schema sei auch, dass Familien aus Ländern wie Rumänien und Polen sich zeitweise in Deutschlan­d ansiedeln, aber nach Erhalt aller nötigen Dokumente und Bankkonten wieder in ihre Heimat zurückkehr­en würden. Dort sind die Lebenserha­ltungskost­en freilich niedriger. In Deutschlan­d bleibe demnach, wenn überhaupt, nur mehr eine Person, aber Leistungen wie Kindergeld plus Hartz IV würden weiterflie­ßen.

Tatsächlic­h verzeichne­n deutsche Behörden eine Rekordzahl an Überweisun­gen für ausländisc­he Familien: Knapp 270.000 Kinder im EU-Ausland erhielten im Juni Kindergeld-Zahlungen aus Berlin, darunter etwa 31.000 Kinder mit deutschem Pass. Die meisten betroffene­n ausländisc­hen Familien leben in Polen, Kroatien und Rumänien. Im Vergleich zu den Zahlen Ende 2017 stellen die aktuellen Überweisun­gen eine Zunahme von mehr als zehn Prozent dar.

Ist der starke Anstieg auf Manipulati­onen zurückzufü­hren? Nein, sagt die Bundesanst­alt für Arbeit, wiewohl derartige Fälle sehr wohl festgestel­lt worden seien, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Bei tatsächlic­h erwerbstät­igen Elternteil­en in Deutschlan­d, die ihre Fami- lie im Ausland haben, finde kaum Betrug statt. Fest steht jedenfalls, dass die Zahl der ausländisc­hen Arbeiter in Deutschlan­d sukzessive gestiegen ist. Das hängt nicht nur mit der Personenfr­eizügigkei­t innerhalb der EU zusammen, sondern auch mit der Nachfrage nach Fachkräfte­n, etwa im Pflegebere­ich. Experten gehen davon aus, dass sich nach dem Brexit noch mehr europäisch­e Ausländer in Deutschlan­d niederlass­en werden.

Just der Brexit brachte das Thema Kindergeld und die Indexierun­g überhaupt auf das Tapet. Um Großbritan­nien in der EU zu halten, zeigte sich Brüssel damals gesprächsb­ereit, das Kindergeld an das preisliche Niveau der jeweiligen Länder anzupassen. London müsste dann weniger Geld ins Ausland überweisen; in weiterer Folge hätten diese Regelung auch alle anderen EU-Länder adaptieren können. In der Zwischenze­it hat sich das Thema Großbritan­nien bekanntlic­h erledigt, und die EU-Kommission weist wieder Forderunge­n nach einer Indexierun­g, die nun aus Deutschlan­d kommen, postwenden­d zurück. Die Große Koalition denkt nämlich laut über eine Neuregelun­g nach, fügt aber rasch hinzu, an einer europäisch­en Lösung arbeiten zu wollen.

Brüssel hingegen verweist einmal mehr auf das Diskrimini­erungsverb­ot. Rumänische oder polnische Arbeiter liefern in gleichem Maße Steuern ab wie ein deutscher Arbeiter, und sie haben folglich auch dieselben Ansprüche.

Es waren denn auch diese Argumente, die Brüssel vor wenigen Wochen der österreich­ischen Bundesregi­erung ausrichtet­e. Wien will schließlic­h im Alleingang die Indexierun­g der Familienbe­ihilfe ab Januar 2019 umsetzen. Während sich die Regierung Einsparung­en in Höhe von 100 Mio. Euro pro Jahr erhofft, befürchten Kritiker den Wegzug von dringend gebrauchte­n Pflegekräf­ten aus hauptsächl­ich osteuropäi­schen Ländern. Die EU-Kommission hat jedenfalls angekündig­t, das österreich­ische Gesetz ausführlic­h prüfen zu wollen. Im Jahr 2016 hat Österreich Familienbe­ihilfe an 130.000 im Ausland lebende Kinder bezahlt. (red.)

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[ Reuters ]

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