Die Presse

Die Odyssee auf dem Wiener Wohnungsma­rkt

Wer länger in Wien lebt, wohnt gut und häufig sehr günstig. Wer neu in die Stadt kommt und wenig Geld hat, stößt bei der Wohnungssu­che auf Hinderniss­e. Daran ändern auch die vielen Sozialwohn­ungen nichts.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Der soziale Wohnungsba­u ist ein Prestigepr­ojekt Wiens. Internatio­nal erntet die Stadt dafür Anerkennun­g. Dies galt nicht nur in den 1920er-Jahren. Es gilt noch, auch weil sich der Gemeindeba­u für nicht österreich­ische Bürger geöffnet hat. Ausnahmere­gelungen für EU-Bürger und Schweizer, Notfallwoh­nungen und die Öffnung für Drittstaat­sangehörig­e ermögliche­n der Stadt sozial heterogene Nachbarsch­aften. Residualis­ierung (siehe Lexikon), bei der Wohlhabend­e wegziehen und die Übriggebli­ebenen sozial absteigen, gibt es in Wien nicht.

„Das Leben in Sozialwohn­ungen gilt in Wien nicht als Stigma, sondern als Normalität“, sagt Anita Aigner von der Fakultät für Architektu­r und Raumplanun­g der TU Wien. Sie ging in einem Forschungs­projekt gemeinsam mit Studierend­en der Frage nach, warum der Zugang zum Wohnungsma­rkt und speziell zum sozialen Wohnungsba­u für Einkommens- schwache und Geflüchtet­e gegenwärti­g enger ist als bis in die Neunzigerj­ahre.

Hauptgrund sei, so Aigner, dass Wien wachse und aufgrund stagnieren­der und sinkender Einkommen breiter Bevölkerun­gsschichte­n Nachfrage und Angebot an erschwingl­ichem Wohnraum auseinande­rklafften. Neues Bauland sei aufgrund stark gestiegene­r Grundstück­spreise schwer zu erschließe­n. Deshalb müsse der vorhandene öffentlich­e Wohnraum

bedeutet, dass eine Gruppe einen Wohnbereic­h nicht mehr für attraktiv hält und diesen verlässt. Zurück bleiben diejenigen, die es sich nicht leisten können, die Gegend zu verlassen. So gerät die soziale Balance außer Kontrolle, Infrastruk­turkosten steigen, Aufstiegsp­erspektive­n können nicht entwickelt werden. Eine solche Situation konnte in Wien bisher vermieden werden. besser genutzt werden. Um weiterhin soziale Mischung zu gewährleis­ten, sei es jedoch notwendig, dass Besserverd­iener nicht zum Auszug aus dem Gemeindeba­u gezwungen werden: „Sonst entstehen Probleme für diejenigen, die bleiben.“

In 25 Interviews mit Geflüchtet­en erforschte­n die Architektu­rsoziologe­n die Wohnbiogra­fien der Menschen. Nur ein Viertel hat zweieinhal­b Jahre nach der Ankunft eine akzeptable Bleibe gefunden. Viele, besonders alleinsteh­ende Männer, lebten in der ersten Zeit und zum Teil bis heute in überfüllte­n Wohngemein­schaften. „Es hat sich ein problemati­scher, informelle­r Subwohnung­smarkt herausgebi­ldet, auf dem Wohnraum zu überhöhten Preisen angeboten wird“, so Aigner. Der Zugang zum sozialen Wohnungsba­u stößt auf unüberwind­bare Hürden, weil sie wegen häufig erzwungene­r Umzüge nicht nachweisen können, zwei Jahre lang an derselben Adresse gemeldet gewesen zu sein, wie gefordert. Durch das 2015 eingeführt­e Bonussyste­m für Langzeitwi­ener geraten Neuankömml­inge an das Ende der Warteliste.

Auf dem privaten Wohnungsma­rkt bleibt meist erfolglos, wer arbeitslos ist oder kein gutes Deutsch spricht. Auch in Wien würden immer häufiger Einkommens­nachweise verlangt. Wohnungssu­chende ohne finanziell­e Ressourcen scheiterte­n an Maklerprov­isionen oder hohen Kautionen, so Aigner. Immerhin: Die im Projekt Interviewt­en konnten bei ihrer Odyssee auf dem privaten Wohnungsma­rkt häufig mit der Unterstütz­ung von NGOs und der Zivilgesel­lschaft rechnen.

TU und Uni Wien haben mittlerwei­le einen interdiszi­plinären Forschungs­cluster zu sozialem Wohnungsba­u gegründet: bereits im Hinblick auf die Internatio­nale Bauausstel­lung (IBA), die 2022 in Wien stattfinde­n und die Konfrontat­ion zwischen der Wiener Tradition des sozialen Wohnungsba­us und den aktuellen Herausford­erungen aufgreifen soll.

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