Langweilig liegt im Trend
Börse. Sogenannte Wertaktien haben im Juli besser abgeschnitten als die Stars der vergangenen Jahre. In unsicheren Zeiten dienen sie der Absicherung. Kleinanleger können auf entsprechende Indexfonds setzen.
Anleger setzen wieder auf sogenannte Wertaktien.
New York. Natürlich: Wer vor fünf Jahren sein Geld in Aktien der sogenannten Faang-Firmen gesteckt hat, hat leicht lachen. Facebook hat sich trotz der jüngsten Verluste verfünffacht, Apple mehr als verdreifacht, Amazon ist sieben Mal so viel wert, Netflix fast zehn Mal so viel, die Google-Mutter Alphabet hat sich verdreifacht.
Die Erfolgsstory dieser Schwergewichte kennt ohnehin jeder. Zur Beruhigung sei erwähnt, dass sich bislang noch kein ernst zu nehmender Investor gemeldet hat, der tatsächlich sein ganzes Geld zum richtigen Zeitpunkt ausschließlich auf exakt diese Unternehmen gesetzt hat. Man kann so etwas nicht vorhersagen. Bestenfalls konnte man mit einer entsprechenden Strategie teilweise auf die Rakete aufspringen.
Diese Strategie nennt der Amerikaner Growth Investing. Dabei kauft man Wachstumsaktien: Das sind Anteile von Firmen, denen eine große Zukunft, also besonders viel Wachstum, vorhergesagt wird, auch wenn die Papiere nach der herkömmlichen Börsenlogik bereits vollkommen überbewertet sind. Das Gegenteil sind die Wertaktien, Papiere von soliden Unternehmen, die aus verschiedenen Gründen von Anlegern vernachlässigt wurden und deshalb günstig bewertet sind.
Lang war Wachstum gefragt, . . .
Wie an den eingangs erwähnten Beispielen klar wird, war der Wettkampf in den letzten Jahren sehr einseitig. Für einen breiten Vergleich eignen sich die US-amerikanischen Indizes Russell 1000 Growth und Russell 1000 Value. Sie zeichnen die Kursentwicklung der jeweils 1000 größten Wachstumsaktien beziehungsweise Wertaktien nach. Der Wachstumsindex hat auf Jahressicht um 26 Prozent und seit Jahresbeginn um 13 Prozent zugelegt. Der Wertindex liegt auf Jahressicht neun Prozent im Plus und seit Anfang Jänner gerade einmal ein Prozent.
Im Juli allerdings, und das ist bemerkenswert, ließ der Wertindex seinen Konkurrenten so deutlich wie seit fast einem Jahr nicht mehr hinter sich. Nun muss ein Monat noch keine Trendwende sein, und ein Teil des Resultats ist den Kursverlusten von Facebook geschuldet. Wenn sich der Trend aber fortsetzt, könnte das auf eine anstehende Korrektur hindeuten. Denn immer vor einem Kursgemetzel flüchten Großinvestoren gern in solide Titel, die in fallenden Märkten weniger stark verlieren und außerdem in der Regel eine Dividende ausbezahlen.
. . . jetzt ist Wert en vogue
Um solche Wertaktien zu finden, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man sucht zunächst eine Traditionsbranche und setzt dann auf Firmen, die zwar relativ erfolgreich, im Vergleich zum Gesamtmarkt aber unterbewertet sind. Um das festzustellen, eignet sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Je niedriger, umso günstiger ist die Aktie bewertet. Als Kandidaten in dieser Kategorie wurden in den USA zuletzt immer öfter der Einzelhandel und Firmen wie Walmart und Kohl’s genannt. Freilich: Wer daran glaubt, dass Amazon die gesamte Branche zerstören wird, überlegt besser zweimal.
Will man breit streuen, kann man auf einen Indexfonds setzen, dem der jeweilige Russell-Wertindex zugrunde liegt. Der Rus- sell 1000 konzentriert sich auf die größten Firmen, der Russell 2000 auf Klein- und Mittelbetriebe, und der Russell 3000 umfasst beide.
Am Beispiel des Russell 1000 Value: Das KGV liegt bei 20, die am stärksten gewichteten Firmen sind JP Morgan, Warren Buffetts Berkshire Hathaway, Exxon Mobil und die Bank of America. Die beiden größten Anbieter von Indexfonds, Blackrocks iShares und Vanguard, bieten einen ETF auf den Russell 1000 Value an. Zum Vergleich: Das KGV beim Russell 1000 Growth liegt bei über 30. Die wichtigsten Positionen sind Apple, Microsoft, Amazon, Facebook und Alphabet. Wobei für viele das nach Börsenwert weltgrößte Unternehmen gar nicht mehr als Wachstumsaktie zählt. Apple stellt Hardware her, schreibt hohe Gewinne und hat ein KGV von etwas mehr als 20. Warren Buffett, einer der erfolgreichsten „ValueInvestoren“der Geschichte, hat sich 2016 eingekauft und besitzt mit Berkshire fünf Prozent an Apple.
Jedenfalls sollten auch europäische Kleininvestoren die Entwicklung von Wertaktien in den kommenden Monaten beobachten. Steigen sie auch im August stärker als Wachstumspapiere, könnte auf den Märkten langsam Panik ausbrechen – eben weil Wertaktien vor Kurseinbrüchen ein beliebter Zufluchtsort sind.
Depot absichern
Niemand weiß, wann die Rallye an den Börsen zu Ende geht. Viele waren sich im Zuge der Korrektur Anfang Februar sicher, dass die Party vorbei ist. Seitdem hat der Technologieindex Nasdaq neue Rekorde aufgestellt, und der S&P 500 hat vergangene Woche ebenfalls wieder an seiner Rekordmarke vom Jänner gekratzt. Der deutsche DAX hat seit März knapp sieben Prozent zugelegt, ebenso wie der europäische Stoxx Europe 600.
Doch irgendwann wird der nächste Crash kommen. Dann schadet es nicht, wenn man zumindest einen Teil seines Portfolios in Werttitel investiert hat. Die Empfehlungen reichen von lediglich fünf bis zehn Prozent für langfristig orientierte Investoren, die das Risiko nicht scheuen, bis hin zu 50 Prozent für sicherheitsorientierte Aktionäre, die nicht nur auf Anleihen setzen und stattdessen eine Dividende kassieren wollen.
Übrigens: Historisch gesehen schneiden Wertaktien besser ab als Wachstumstitel. Auch wenn das nach den vergangenen Jahren kaum jemand glauben mag, logisch ist das durchaus, weil Wertaktien per Definition günstiger bewertet sind und mehr Potenzial haben. Die US-Investmentfirma AFAM Capital hat sich das im Detail angesehen: Demnach brachten Wertaktien von 1927 bis 2017 jährlich im Durchschnitt mehr als 13 Prozent ein, Wachstumsaktien nicht einmal zehn.