„Ein gewisses Restrisiko wird immer bleiben“
Den Menschen sei das Bewusstsein für die Unvermeidbarkeit von Naturgefahren abhandengekommen, sagt die Landschaftsökologin Ulrike Tappeiner. Sie wünscht sich eine politische Sensibilisierung und mehr Eigeninitiative.
Niemand wäre vor zweihundert Jahren auf die Idee gekommen, sein Haus in einem Hochwassergebiet oder Lawinengraben zu bauen. Heute hingegen verlassen wir uns zu sehr auf den Schutz durch technische Lösungen“, warnt die Ökologin Ulrike Tappeiner. „Die Presse“hat mit der Leiterin des EuregioLabs beim Forum Alpbach über Naturgefahrenmanagement und Ökosystemleistungen gesprochen.
Die Presse: Die Soziale Ökologie beschäftigt sich mit der Rolle des Menschen in einem Ökosystem. Wie schaut diese aus? Ulrike Tappeiner: Der Mensch wird von Ökosystemen beeinflusst, aber er nutzt und verändert diese auch. Es geht immer auch um den Wert, den Landschaften für Menschen haben. Erholung in einer schönen Berglandschaft ist ein Beispiel für eine kulturelle Leistung des Ökosystems. Daneben gibt es noch Regulationsleistungen wie Schutz vor Naturgefahren oder saubere Luft sowie Versorgungsleistungen wie etwa Bau- und Brennholz oder das Heu zu liefern. Alle Ökosystemleistungen zu maximieren ist nicht möglich. Ich muss also ein Optimum zu finden. Da ist wichtig zu wissen, wie verschiedene Nutzergruppen Ökosysteme und ihre Leistungen wahrnehmen.
Konkurrieren die Vorstellungen von Einheimischen und Touristen entsprechend ihrer verschiedenen Nutzungswünsche? Es gibt durchaus Überschneidungen, was einen etwa an einer Landschaft berührt, wenn man Erholung sucht. Gleichzeitig haben wir Unterschiede innerhalb der Touristengruppe festgestellt. Gäste aus dem deutschsprachigen Ausland finden etwa Gefallen an verzahnten Landschaften, in denen sich Almen und Wald abwechseln. Sie schätzen die überraschenden Momente dieser Heterogenität. Italienische Touristen hingegen bevorzugen zusammenhängende große offene Flächen, wie sie es von zu Hause kennen, und große Waldflächen, die sie als reinen Naturraum wahrnehmen. Neben den kulturellen Leistungen spielen für Einheimische die Regulationsleistungen, also etwa der Wald als Schutzwald, eine mindestens genauso wichtige Rolle. Und für Landwirte steht klarerweise die Versorgungsleistung im Vordergrund.
1959 geboren, ist Landschaftsökologin und beschäftigt sich mit Gebirgsökosystemen. In den vergangenen vier Jahren stand sie als Dekanin der Fakultät für Biologie der Uni Innsbruck vor. Anfang 2018 wurde sie zur Präsidentin der Freien Universität Bozen gewählt. Sie leitet gemeinsam mit Andreas Töchterle das EuregioLab 2018 des Forum Alpbach in Tirol, dessen Ergebnisse in Form eines Ideenkatalogs morgen, Sonntag, vor Ort (14 Uhr, ErwinSchrödinger-Saal), präsentiert werden. Die Regulationsleistungen und das Naturgefahrenmanagement in den Bergen sind zentrale Aspekte des EuregioLab. Inwiefern verändern sich Naturgefahren mit dem Klimawandel? Wir haben zu wenig Statistiken über solche Naturereignisse. Global gesehen häufen sich Extremereignisse, aber inwieweit die Klimaveränderung Naturgefahren im Gebirge – also Lawinen, Hochwässer, Murenabgänge, Steinschläge, Felsstürze – auslöst, dazu gibt es wenig Erkenntnisse. Lawinen werden vermutlich weniger werden, weil die Nullgradgrenze nach oben wandert – es wird mehr regnen als schneien. Klar ist auch, dass der Rückgang des Permafrostes im Hochgebirge zu einer erhöhten Gefahr führt, weil Berghänge instabil werden und Wanderwege von Steinschlag bedroht sind. Das Eis wirkt in dem Sand-Felsgemisch sonst wie Klebstoff. Dann werden durch den Rückgang der Gletscher Sedimente freigegeben, was wiederum mehr Geschiebeführung auslösen oder zur Verlandung von Stauseen führen kann. Aber das würde ich jetzt nicht als unmittel- bare Gefahr sehen. Was den Rest – wie die vermehrt beobachteten Starkregenereignisse – anbelangt, handelt es sich um Trends, die statistisch nicht nachweisbar sind.
Es herrscht offenbar eine Diskrepanz zwischen statistischen Daten und Wahrnehmung. Ja, heute werden jeder Steinschlag und jeder Felssturz dem Rückgang des Permafrostes in die Schuhe geschoben. In der öffentlichen Wahrnehmung wird das sofort mit dem Klimawandel gleichgesetzt. Das ist zu einfach. Aber es gibt Trends, und wir müssen uns präventiv darauf einstellen. Wichtig ist, die Einzelereignisse gemeinsam zu betrachten, das passiert bisher zu wenig. Ein Ziel des EuregioLabs ist es auch, die betroffenen Regionen mehr zu vernetzen und das Thema interdisziplinär zu beleuchten. Im Idealfall fließen unsere Erkenntnisse auch in die Politik.
Eine Forderung des EuregioLabs betrifft die Verbesserung der Kommunikation von Naturgefahren. Sie wünschen sich eine Akzeptanz des Restrisikos. Wir sind gewöhnt, dass es für viele unserer Probleme technische Lösungen gibt. Aber in Bergregionen leben wir in einem Raum, wo das Naturgefahrenpotenzial hoch ist. Einfach durch das Relief. Frühere Generationen vor ein, zwei Jahrhunderten wussten genau, wo Lawinengräben waren, und bauten in dieser Zone einfach keine Häu- ser oder Infrastruktur. Im Gebirge ist der Dauersiedlungsraum sehr knapp, und die Nutzungsansprüche steigen. Heute glauben wir, dass durch die Technik kaum mehr ein Restrisiko besteht. Und von der öffentlichen Hand wird nun erwartet, dass sie dieses Restrisiko auf Null schaltet. Man fordert Lawinenschutzverbauungen und Auffangbecken. Doch ich glaube, wir alle müssen uns dieses Restrisikos bewusst sein und auch Eigenverantwortung übernehmen.
Wie kann diese Eigenverantwortung konkret aussehen? Wer zum Beispiel schon einmal Hochwasserschäden am eigenen Haus erlebt hat, überlegt sich einfache Maßnahmen, die schützen – sei es nur, eine Mauer vor dem Haus zu bauen, den Keller sehr stark abzudichten oder keine wichtigen Dinge dort zu lagern. Es muss gelingen, ein Bewusstsein für die eigene mögliche Betroffenheit bei bislang nicht betroffenen Menschen zu schaffen. Dafür braucht es andere Kommunikationsmuster. Wer außer Experten liest schon Gefahrenzonenpläne? Die Informationen über Gefahren müssen einfach und gut verständlich für alle bereitgestellt werden – zum Beispiel auch durch Grafiken als Lesehilfen.