Wenders sucht Trost in der Liebe
Film. Premiere hatte Wim Wenders’ „Grenzenlos“schon vor seiner Papst-Doku, bei uns startet er erst jetzt – er handelt von einer zaghaften Annäherung in bedrohlichen Zeiten.
Wim Wenders’ „Grenzenlos“handelt von einer zaghaften Annäherung in bedrohlichen Zeiten: Eine der besseren unter den jüngeren Arbeiten Wenders.
Lass Stress und Hast sein, Leben muss Spaß sein, unter dem Meer!“So besang die rote Krabbe in Disneys „Arielle, die Meerjungfrau“zu Calypso-Rhythmen ihre Tiefseeheimat. Der Song weckte Lust, Schnorchel und Schwimmflossen auszupacken und die nächstbeste Wasserstelle als Hauptwohnsitz anzumelden. „Grenzenlos“, der nicht mehr ganz neue, aber hierzulande erst kommenden Freitag startende Film von Wim Wenders, schlägt in Bezug auf die Geheimnisse des Ozeans einen anderen Tonfall an: „Du wirst im Hades sein . . . ertrunken in Vergessenheit, Wasser schluckend, jede Erinnerung auslöschend. Du wirst deinen Platz einnehmen unter den wimmelnden Horden namenloser Mikroorganismen.“
Diese düsteren Zeilen schreibt die Biomathematikerin Danielle (Alicia Vikander) in ihr Notizbuch, während sie im Bauch eines kleinen gelben U-Boots die Untiefen des Grönlandsees nach neuen Lebensformen absucht. Hier, im Würgegriff absoluter Finsternis und hydrostatischen Hochdrucks, ist ihr nicht nach Singen und Tanzen zumute. Das Ende der Welt scheint ganz nah.
„Bis ans Ende der Welt“reiste Wenders bereits 1991, in seinem monumentalen Science-Fiction-Film. Schon damals machte er sich Sorgen um die Zukunft der Menschheit, ihre Abhängigkeit von Technologie und Bilderwelten. Seine Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet (oder doch, je nachdem, wie man der heutigen Multimedialandschaft gegenübersteht). Dafür sind neue an ihre Stelle getreten: Naturkatastrophen und Klimawandel, Terror und Fundamentalismus. „Grenzenlos“stellt also wieder die Frage nach der Möglichkeit von Liebe auf einem bedrohten und bedrohlichen Planeten.
Der Spion und die Meeresforscherin
Im Original heißt der Film, wie die Buchvorlage von J. M. Ledgard, „Submergence“– zu Deutsch in etwa Ein- und Untertauchen, gar nicht so weit entfernt vom „Untergang“. Doch es ist nicht nur Danielle, die hier auf unheimliche Fahrt geht. Parallel zu ihren Erkundungen maritimer Mysterien steht der psychische Tauchgang des britischen Geheimagenten James (James McAvoy), der von somalischen Jihadisten in einem Kellerloch gefangen gehalten wird und sich abmüht, bei Verstand zu bleiben. Sein stärkster Anker – und das ist der dramaturgische Clou des Films – ist eine kurze, intensive Affäre mit Danielle unmittelbar vor seiner verhängnisvollen Afrika-Reise.
In Rückblenden wohnt man bei, wie sich die zwei in einem Hotel an der nordfranzösischen Küste kennenlernen und näherkommen. Beide sind verschlossene Typen: Danielle aus Arbeitsversessenheit, James aufgrund seiner Profession – wie den meisten Menschen erzählt er auch ihr nur Halbwahrheiten über sich. Und beide wähnen die Erde am Rande des Abgrunds: sie in ökologischer, er in geopolitischer Hinsicht. Dieses apokalyptische Gefühl verbindet – und weckt die Sehnsucht nach Nähe.
Das Aufkeimen der Kurzzeitbeziehung schildert der Film mit anrührender Behutsamkeit: Langsam tasten sich James und Danielle aneinander heran, in Gesprächen, die Grundsatzdebatten und Flirts in einem sind. Der Sensibilität des Schauspielduos ist es zu verdanken, dass man sich nicht daran stört, wenn die Forscherin den Spion mit einer Beschreibung der Tiefenzonen des Ozeans verführt. Wenders’ sanfte, gleitende Inszenierung hilft indes dabei, dass man in eine sonderbar selbstvergessene Stimmung kippt – und selbst einen klassischen Kitschmoment wie den Leidenschaftskuss in der Brandung nicht abweist.
Debatte mit Jihadisten
Die Kaminfeueratmosphäre der Flashbacks verstärkt die Schroffheit der Szenen, in denen James mit religiösen Fanatikern um sein Leben streitet – Fanatiker, denen sich auch ein Arzt (Alexander Siddig) angeschlossen hat, weil er jede Hoffnung auf die gewaltfreie Rettung seines Landes aus Krieg, Hunger und Elend aufgegeben hat. Mit ihm und einem verhinderten Selbstmordattentäter (Reda Kateb) debattiert der Gefangene, während seine Gedanken ihn immer wieder zu Danielle zurückspülen – die wiederum verzweifelt versucht, James von ihrem Schiff aus zu erreichen.
Es sind diese Passagen, in denen der Christ Wenders das Prinzip der Liebe und Barmherzigkeit gegen das Prinzip des Todes in Stellung bringt, wenn der Film am ehesten Gefahr läuft, in den Tonfall einer Moralpredigt abzudriften – doch die Liebesgeschichte ist robust genug, um das zu verhindern. Tatsächlich ist „Grenzenlos“eine der besseren unter den jüngeren Arbeiten Wenders’ – und ein zaghaftes Stück hoffnungsvoller als seine Handke-Verfilmung „Die schönen Tage von Aranjuez“(2016). Dort zogen gegen Ende dunkle Wolken auf – hier taucht er die Leinwand in gleißendes Licht.