Erst schieben wir Lehrlinge ab. Dann die ökonomische Vernunft.
Integration durch Leistung? Freude über fleißige, hoch motivierte Mitarbeiter? Gute Stimmung im Betrieb? Aber nein. Lieber fügt sich Österreich selbst Schaden zu.
Lieber Harald Mahrer! Ich wende mich an Sie persönlich, weil Sie angeblich einen guten Draht zum Bundeskanzler haben. Weil Sie als Chef der Wirtschaftskammer die Interessen der österreichischen Unternehmer und Unternehmerinnen (also auch meine) vertreten. Ich habe Sie nicht als völkischen Fundi in Erinnerung, sondern als vernünftigen, empathischen Menschen. Umso dringender muss ich Sie fragen, was ich einfach nicht begreifen kann: Wollen Sie das tatsächlich hinnehmen – die Abschiebung von mehreren Hundert fleißigen, bestens integrierten, von der österreichischen Wirtschaft dringend gebrauchten Lehrlingen?
Das sind junge Leute, die Mut und Unternehmergeist bewiesen haben. Sie haben eine Chance, die sich ihnen bot, beim Schopf gepackt, sich angestrengt, reingehängt, in kurzer Zeit nicht nur unsere Sprache gelernt, sondern auch alle anderen sozialen Fertigkeiten, die man in Österreich für ein erfolgreiches Leben braucht. Sie stehen hinterm Herd in der Hotelküche oder an der Werkbank in der Tischlerei. Sie nähen Dirndlschürzen, decken Dächer, kochen Frittatensuppe und Kaiserschmarren und schrubben anschließend die fettigen Pfannen sauber. Sie arbeiten in Mangelberufen, die in Österreich kaum jemand anderer machen will. Ihre Chefs und Chefinnen sind froh und dankbar, dass der Zufall sie hierher geweht hat. Sie haben viel investiert in diese Burschen und freuen sich, ihnen beim Lernen und Wachsen zuzuschauen.
Emotional kann man sagen: Wer diese Menschen abschieben lässt, zerstört Beziehungen. Man stößt all die vielen Österreicher in Stadt und Land vor den Kopf, die sich in den vergangenen drei Jahren bemüht haben, die Flüchtlingskrise konstruktiv zu meistern. Genau dort, wo es eigentlich Erfolge zu feiern gäbe, erzeugt man nun Angst, Frustration und hilflose Wut. Wollen Sie das tatsächlich, Herr Mahrer? Gezielt jene Wirtschaftstreibenden bestrafen, die nicht hassen und jammern, sondern zupacken und Probleme lösen wollen?
Ökonomisch kann man sagen: Wer diese Menschen abschieben lässt, schadet der Volkswirtschaft. Man vernichtet investiertes Know-how, lähmt unternehmerische Energie, reißt Versorgungslücken auf, sorgt dafür, dass Aufträge liegen bleiben. Und man sendet eine destruktive Botschaft: Leistung lohnt sich nicht. Egal, wie sehr du dich anstrengst – am Ende kommt es wieder nur auf deine Herkunft und auf deine Hautfarbe an.
Ich verstehe, dass das Asylrecht hier nicht die Lösung ist – man kann einem Menschen nicht bloß deswegen politisches Asyl gewähren, weil er gut arbeitet. Wohl aber könnte man ihm einen anderen Aufenthaltstitel geben – wegen besonderer Integrationsleistungen, wegen dringenden ökonomischen Bedarfs oder aus humanitären Gründen. Ob Rot-Weiß-RotCard spezial, Drei-pluszwei-Regelung, wie in Deutschland, oder sonst was: Wer eine pragmatische Lösung sucht, kann eine finden. Aber pragmatische Lösung will diese Bundesregierung bisher leider keine.
Wichtiger ist ihr, jene „hässlichen Bilder“zu erzeugen, ohne die es, wie Kanzler Kurz einst sagte, „nicht gehen wird“. Auf der ganzen Welt, bis ins letzte Tal des Hindukusch, soll sich herumsprechen, dass Zuwanderer in Österreich nicht willkommen sind. Dass sie hier keine Chance auf wohlwollendes Entgegenkommen haben. Dass man sie mit immer neuen Anti-Ausländer-Gesetzen piesacken wird, egal, wie sehr sie sich anstrengen und anpassen. Dass wir sogar jene, die wir eigentlich brauchen, mit Gewalt außer Landes schaffen, nur um dem fremdenfeindlichen Ressentiment Genüge zu tun. Und dass Österreich erst zufrieden sein wird, wenn kein einziger Ausländer mehr zu uns will.
Das Problem ist: Um hässliche Bilder zu erzeugen, muss man selbst zuerst sehr hässlich werden. Ich kann mir, Herr Mahrer, nicht vorstellen, dass so viel Hässlichkeit dem österreichischen Wirtschaftsstandort guttut.