„Viennale frei von Wettbewerb“
Neue Intendantin. Die gebürtige Italienerin Eva Sangiorgi leitete zuletzt ein Festival in Mexiko. Der „Presse“erklärte sie, was in Wien anders sei und was sie von ihrem Vorgänger, Hans Hurch, übernehmen werde – und was nicht.
Eva Sangiorgi, neue Intendantin der Viennale, erklärt, wie sie das Erbe ihres Vorgängers, Hans Hurch, wahren will.
Die Presse: Sie sind im März von Mexiko nach Wien gezogen. Schon akklimatisiert? Eva Sangiorgi: Ja, ich denke schon.
Ursprünglich kommen Sie ja aus Italien. Haben Sie Europa vermisst? Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass es an der Zeit ist, Mexiko zu verlassen. Nach acht Jahren als Leiterin des internationalen Filmfestivals Ficunam wurde aus der Arbeit langsam Alltag. Ich wollte Veränderung. Zudem ist Mexico City zwar sehr aufregend, aber ich muss gestehen, dass mir die Luftverschmutzung dort zu schaffen gemacht hat. Es war sozusagen eine Frage des Überlebens.
Spüren Sie bereits einen Unterschied? Ich bin hier in einer sehr traditionsreichen Umgebung. Das Viennale-Team hat viel Erfahrung, der Altersdurchschnitt ist höher als der meiner Kollegen in Mexiko.
Bei der Bekanntgabe Ihrer Intendanz im Jänner hieß es, Sie wollten Deutsch lernen. Wie geht es Ihnen damit? Bisher konnte ich leider noch keine großen Fortschritte machen, weil ich fast nur im Büro bin, in dem wir auf Englisch kommunizieren. Aber nach dem Festival werde ich einen Intensivkurs belegen. Wie ich weiß, hat Christophe Slagmuylder, der neue Leiter der Festwochen, schon mit seinem angefangen – ich bin sehr neidisch!
In zwei Monaten beginnt das Festival. Noch viel zu tun? Natürlich! Der Wechsel war sehr kurzfristig. Aber ich bin schon sehr zufrieden mit dem Programm, das wir bisher zusammengestellt haben. Diese Viennale wird gewissermaßen ein Übergangsfestival, meine Handschrift wird sich 2019 deutlicher abzeichnen.
Werden Sie in Wien etwas an Ihrem kuratorischen Zugang ändern? In Wien habe ich mehr Platz, mehr Spielraum. In Mexiko warfen wir Schlaglichter auf die regionale Filmgeschichte; diese ist in Wien dank Institutionen wie des Filmarchivs und des Filmmuseums gut abgedeckt.
Im Viennale-Büro steht ein Porträt von Hans Hurch. In Interviews haben Sie betont, das Erbe des Langzeitdirektors wahren zu wollen. Was meinen Sie damit? Es geht mir um eine spannende, ausgewogene Mischung aus etablierten Namen und verblüffenden Entdeckungen. Ich will die Viennale weiterhin wettbewerbsfrei halten – und mich aus dem Premierenzirkus heraushalten. Die Qualität geht vor. Dieses Rezept geht auf Hans zurück, aber ich hoffe, jenem einen neuen Geschmack zu verleihen.
Angeblich hat Hans Hurch jeden Film, der im Hauptprogramm der Viennale gezeigt wurde, selbst gesehen und abgesegnet. Werden Sie das auch so handhaben? Ja. In Mexiko habe ich das genau so gemacht. Aber natürlich habe ich viele kompetente Programmberater; Diskussionen gehören für mich wesentlich zu jeder kuratorischen Tätigkeit. Daran wird sich nichts ändern. Ich bemühe mich bereits, die Programmabteilung der Viennale stärker in meinen Entscheidungsprozess einzubinden.
Was zeichnet einen Viennale-Film aus? Vor allem eine inhärente künstlerische Kraft, die bei jedem Film anders zustande kommt, da gibt es keine Formel. Darüber hinaus werde ich gern überrascht. Natürlich nicht von der Handlung eines Films, sondern besonders von seiner intellektuellen und emotionalen Wirkung. Aber man kann nach dem Neuen nicht nur in neuen Filmen suchen. Schließlich ist alles, was man zum ersten Mal sieht, gleichzeitig alt und neu. Hans Hurch lud Filmemacher, die er schätzte, förderte, immer wieder zur Viennale ein, was ihm auch Kritik einbrachte. Ich verstehe die Kritik – manchmal muss man persönliche Naheverhältnisse hintanstellen, schließlich kann es nicht nur darum gehen, eine Art Festivalfamilie großzuziehen. Aber es ist wichtig, Filmemacher, deren Arbeit man bewundert, auch über Durststrecken hinweg die Stange zu halten.
Sie waren immer viel auf Festivals. Was muss ein Festival für Sie bieten? Natürlich ein gutes Programm. Aber auch Zugänglichkeit. Besonders bei kleineren Festivals hat man die Möglichkeit, zwanglos von Screening zu Screening zu hüpfen, unterschiedlichste Menschen kennenzulernen. In Cannes ist das nur bedingt möglich.
Eine Ihrer Schwerpunkte bezieht sich auf Filmrestaurierungen. Werden diese analog oder digital präsentiert – und spielt das für Sie eine Rolle? Die spannendsten Restaurierungen werden wir analog zeigen. Ein Großteil der Filme, die heute restauriert werden, zirkuliert allerdings in digitalen Formaten. Das ist schade, aber eine Tatsache. Dafür wird es auch in anderen Programmbereichen Zelluloidprojektionen geben. Und „Analog Pleasures“– die Schiene, die dezidiert dem analogen Film gewidmet ist – bleibt natürlich so bestehen.
Der österreichische Film war bei der Viennale unter Hurch relativ unterrepräsentiert. Wird sich das ändern? Das Programm der Viennale ist das eines internationalen Festivals, es gibt keine Sektion, die dezidiert dem nationalen Filmschaffen gewidmet ist. Aber selbstverständlich wird das heimische Kino vertreten sein.
Wie wollen Sie ein jüngeres Publikum für das Festival begeistern? Geplant sind Partnerschaften mit Schulen. Und es wird ermäßigte Tickets für Schüler und Studenten geben. Als ich die Viennale vor Jahren das erste Mal besucht habe, war ich erstaunt, wie viel junges Publikum sie anzieht. Das soll so bleiben.
Außerdem wollten Sie die Programmunterscheidung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm aufheben . . . Genau, neben den Kurzfilmen und den Retrospektiven wird es nur noch eine Hauptsektion geben. Dafür werden die historischen Gustostücke nun in einer eigenen Schiene versammelt.
Bleibt die Gesamtzahl der Filme gleich? Ja, im Hauptprogramm werden es wieder um die 140 sein. Und es finden sich heuer ein paar außerordentlich lange Arbeiten darunter – die längste dauert etwa 14 Stunden.
Die Viennale hat mit A1 einen ihrer Hauptsponsoren verloren. Wie wollen Sie Quantität und Qualität aufrechterhalten? Ich bin auf der Suche nach neuen Sponsoren, auch international. Wir haben bereits neue Unterstützer gewonnen, so den VespaImporteur Faber und den Laptoptaschenhersteller Tucano. Ich werde auch bei mexikanischen Kulturinstitutionen anfragen.