Die Presse

Moldau hat keine Wahl

Die Opposition ruft zu Protesten gegen die Annullieru­ng einer demokratis­chen Wahl auf. Die Regierung nutze jedes Mittel, um an der Macht zu bleiben, kritisiere­n Aktivisten.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Opposition ruft zu Protesten gegen Annullieru­ng einer demokratis­chen Wahl auf: Regierung nutze jedes Mittel, um an der Macht zu bleiben.

Moskau/Chi¸sinau. Er sollte längst im Rathaus von Chisin¸au sitzen, einem Schmuckstü­ck im gotischen Stil, und von dort die Geschicke der Hauptstadt lenken. Stattdesse­n wird Andrei Nastase˘ am Sonntag vor dem Eingang des Rathauses Politik machen. Buchstäbli­ch auf der Straße. Der 43-Jährige und seine Verbündete Maia Sandu, 46, frühere Präsidents­chaftskand­idatin und Chefin einer proeuropäi­schen Partei, haben zur Großdemons­tration aufgerufen. Die Aktivisten erwarten mehr als 50.000 Menschen.

Seit Mitte Juni wird das 3,5 Millionen Einwohner zählende Land von Straßenpro­testen erschütter­t – anders als im benachbart­en Rumänien blieben diese bisher friedlich.

In den vergangene­n Jahren erlebte die Republik Moldau mehrere Protestwel­len. Als im Sommer 2015 bekannt wurde, dass eine Milliarde Dollar, von führenden Banken des Landes als Kredite vergeben, versickert war, hatte das wochenlang­e Kundgebung­en zur Folge. Nun geht es abermals um Diebstahl: den eines Wahlsieges.

Entschied Gericht auf Zuruf ?

Anfang Juni gewann Nastase˘ die Bürgermeis­terwahl in Chisin¸au.˘ Er setzte sich gegen einen regierungs­nahen Kandidaten durch – ein Erfolg für die Opposition. Doch dann annulliert­e ein Gericht die Wahl mit dem Argument, es sei zu Verstößen gekommen. Die Opposition wirft der Justiz vor, auf Zuruf der Regierung, die von der Demokratis­chen Partei dominiert wird, und ihres mächtigen Patrons, Vladimir Plahotniuc, tätig geworden zu sein. Beobachter lobten die Wahl. Victo- ria Bucataru,˘ Chefin des renommiert­en Thinktanks Foreign Policy Associatio­n, hält gegenüber der „Presse“die Entscheidu­ng des Gerichts „für nicht unabhängig“.

„Wir wissen, dass die Regierung Demokratie nicht akzeptiert, aber dieses Vorgehen hat selbst uns schockiert“, sagt Opposition­s- politikeri­n Maia Sandu auf Anfrage der „Presse“. Die Ex-Bildungsmi­nisterin und „Antikorrup­tionsikone“(Bucataru)˘ will so lang demonstrie­ren, bis die Regierung einlenkt. „Wir setzen nur friedliche Mittel ein“, sagt sie. „Wir blicken nach Armenien.“Dort haben friedliche Demonstrat­ionen im Mai die Regierung gestürzt. Ähnlich wie Armenien ist Moldau von russischen Energielie­ferungen abhängig – und hat doch in den vergangene­n Jahren entschiede­ne Schritte gesetzt, um sich aus der Umlaufbahn Moskaus zu lösen. Die Ex-Sowjetrepu­blik unterzeich­nete ein Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU, ihre Bürger dürfen sich visumsfrei in Europa bewegen.

Doch mittlerwei­le überwiegen laut Experten die Rückschrit­te. Auch Brüssel ist alarmiert. Es fror rund 100 Millionen Euro an Finanzhilf­en ein, die die von der EU hoch bezuschuss­te Ex-Sowjetrepu­blik hätte erhalten sollen.

Reicht die kritische Masse?

Zwar wird das Land von einer Partei regiert, die das Adjektiv „demokratis­ch“im Namen trägt. Aber vielmehr seien die Kader an der Sicherung der eigenen Pfründen interessie­rt, sagt Expertin Bucataru.˘ Das werde bei den unlängst im Eilverfahr­en erlassenen Änderungen im Steuergese­tz deutlich. Zudem notiert sie zunehmende Repression­en gegen die Zivilgesel­lschaft.

Erschweren­d kommt der Dauerkonfl­ikt zwischen dem moskaunahe­n Präsidente­n Igor Dodon und der formal prowestlic­hen Regierung hinzu. Bereits drei Mal enthob sie den Staatschef kurzzeitig seines Amtes, um Gesetze durchzubox­en. Anderersei­ts: Sowohl Präsident als auch Premier wittern in den Protesten eine Gefahr. Ob die Bewegung Erfolg haben wird, ist für Bucataru˘ offen. Die entscheide­nde Frage sei, ob es in der Republik Moldau die kritische Masse an Menschen gebe, die einen Wandel bewirken könne: „Die Aktiven verlassen das Land, um ihr Leben anderswo zu führen.“

 ?? [ Daniel Mihailescu/picturedes­k.com] ?? Ruft zum Durchhalte­n auf: die moldauisch­e Ex-Ministerin Sandu.
[ Daniel Mihailescu/picturedes­k.com] Ruft zum Durchhalte­n auf: die moldauisch­e Ex-Ministerin Sandu.

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