Woran wir noch glauben können
Wenn der Homo oeconomicus und der Homo digitalis den Homo sapiens ersetzen: über die Heils versprechungen der Transhumanisten, das ewige Leben, Vertrauen in Zeiten der Informationsflut und die Entwirklichung der Wirklichkeit.
Peter Kampits und Eva Horvatic über Heilsversprechen und die Entwirklichung der Wirklichkeit.
W ährend noch vor wenigen Jahrzehnten wahre Loblieder auf die Errungenschaften der Moderne, insbesondere die Werte der Aufklärung, gesungen wurden, scheint dies derzeit ins Gegenteil umzuschlagen. Insbesondere die beiden Grundwerte und Hauptforderungen der Aufklärung, Freiheit und Autonomie, sind trotz aller positiver Konsequenzen (Menschenrechte, menschliche Würde und Toleranz) ins Wanken geraten.
Es ist nicht untypisch, dass demnächst im Rahmen der Sommergespräche der Waldviertel Akademie in Weitra zwar die Sehnsucht nach Wahrheit, Vertrauen und Sicherheit im Vordergrund steht, nicht aber die Freiheit, wobei man sich an das Wort von Benjamin Franklin erinnern könnte, dass, wer seine Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgibt, beides verliert.
In einer säkularisierten, durch neoliberale und globalisierte Marktwirtschaft gekennzeichneten Zeit, in der gleichsam der Tanz um ein neues goldenes Kalb fröhliche Urstände feiert, ist auch das Vertrauen in die „unsichtbare Hand des Marktes“weitgehend geschwunden. Im Einklang mit computergesteuerten Börsen- und Devisentransaktionen scheint sogar der Einfluss des Menschen auf diese Vorgänge immer geringer zu werden. Der Homo oeconomicus und der Homo digitalis haben den Homo sapiens ersetzt. Auch Vertrauen auf die lenkende Hand Gottes ist geschwunden sowie jenes in die aus Freiheit geborene Selbstbestimmung des Menschen.
Sind wir denn in einer IT-geleiteten Welt, in der Gedächtnisleistungen durch Roboter, Computer und elektronische Syste- me abgelöst werden, überhaupt noch in der Lage, autonom zu handeln?
Gentechnik im Zusammenspiel mit Mikrobiologie und Nanotechnologie greifen immer tiefer in unser Leben ein. Die Simulation des menschlichen Gehirns durch Computer ist ebenso auf dem Vormarsch wie die Verschmelzung von Gehirn und Computer, die Einpflanzung von Chips in den Menschen zum Zweck des enhance
ments und die Ersetzung menschlicher Arbeit auf nahezu allen Gebieten durch den Computer.
Man erinnere sich an die Werbung für Alexa, die das menschliche Gedächtnis nahezu überflüssig zu machen scheint. Dies würde voraussetzen, dass unser Gedächtnis ein Eins-zu-eins-Speicher ist. Aber ist unser Gedächtnis nicht viel mehr als das? Konstituiert es uns nicht als diejenigen, die wir in diesem speziellen Moment der Erinnerung sind?
Ist die Moderne als Epochenbegriff, als Erfolgsgeschichte oder als Katastrophengeschichte (Peter Sloterdijk) zu verstehen? Sloterdijk hat in seinem Essay „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ein Katastrophenszenario vorgelegt. Sollte unser Vertrauen tatsächlich nur mehr dem bekannten Ausspruch der Madame de Pompadour gelten können: „Hinter uns die Sintflut“?
Gewiss, die Brüche und Lücken kennzeichnen und durchziehen die gesamte Moderne. Dass allerdings der Bruch mit dem Vergangenen nicht unbedingt einen Abbruch mit der Herkunft bedeutet, würde auch Sloterdijk zugeben. „Zukunft braucht Herkunft“, hatte Odo Marquard einmal formuliert und darauf verwiesen, dass das, was wir sind, zu einem Großteil unseren Traditionen und Herkünften entspringt. Dies entspricht durchaus dem Doppelsinn der Visitenkarte des Dichters Leon´ Bloy, auf der „Abbruchunternehmer“stand.
Was bleibt also von den seit der Aufklärung hochgelobten Idealen und Werten der Moderne? Auch die Errungenschaften dieser „schrecklichen Kinder“bleiben in ihren Traditionen verhaftet. Freiheit und Autonomie lassen sich nicht einfach suspendieren, auch wenn sie von verschiedensten Seiten bedroht werden. Da ist zunächst die Ablösung des absolutistischen Gottesstaates durch die Französische Revolution zu nennen, deren Furor bis heute nachwirkt. Die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts, Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus, haben zahlreiche Filiationen auf anderen Kontinenten ausgelöst, deren Tragweite wir selbst heute noch kaum zu begreifen scheinen.
Auch diese totalitären Systeme bezeichnen sich als menschenfreundlich und schaffen in Zusammenarbeit mit Hochtechnologien die Grundlagen für einen neuen, einen „verbesserten“Menschen. Daneben scheuen sich die von Posthumanisten zu Transhumanisten mutierten Philosophen und Zukunftsdeuter nicht, uns ein irdisches Paradies vorzugaukeln, in dem durch den Einsatz von Gen- und Nanotechnologie, durch Robotik und Mensch-Maschinen-Verschmelzung sowie durch die Entwicklung einer Superintelligenz die weitere Evolution des Menschen beschleunigt werden soll. Ängste bezüglich staatlicher Kontrollen und Eingriffe werden vom Transhumanismus beiseitegeschoben, da letztlich die Entscheidungen über eine jeweilige Verbesserung in die Hände der Einzelnen gelegt werden soll.
Kritiker wie Francis Fukuyama halten den Transhumanismus für eine der gefährlichsten Ideen der Gegenwart, Befürworter behaupten, dass es sich um die kühnste und visionärste Bestrebung der Menschheit handle. Hierbei vereinnahmen etliche Transhumanisten sogar Friedrich Nietzsches Proklamation des Übermenschen für ihre Bestrebungen. Nietzsches Wort „Nicht fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf“wird als Begründung von sogenannten Singularitarianisten missbraucht, um ihren Glauben an die Möglichkeit der Erschaffung einer Superintelligenz in sicherer Form in Aussicht zu stellen – was immer „sicher“in diesem Zusammenhang auch heißen mag. Dieser Prozess, der als neue Transzendenz angesehen wird, suspendiert das Transzendenzverständnis der Aufklärung endgültig.
Spätestens an dieser Stelle wird die Koppelung von Vernunft und Sicherheit fragwürdig, zumal der Transhumanismus, ähnlich wie Facebook, eine politische Demokratisierung verspricht. Dass weder Sicherheit aufgrund der Vernunftfähigkeit garantiert ist noch das Eintreten und Aufrechterhalten von Demokratie dadurch automatisch befördert wird, ist unserer Historie immanent. Unser heutiges Demokratieverständnis ist noch immer geprägt gemäß dem Ausspruch von Joseph II.: Alles für das Volk, nichts durch das Volk.
Dazu kommt eine zunehmende Entwirklichung der Wirklichkeit und deren Ersetzung durch Simulationen und Simulakren. Jean Baudrillard hat diese „Ermordung der Wirklichkeit“nuancenreich dargestellt: Wir sind in eine Phase eingetreten, in der nicht mehr die Wirklichkeit durch Zeichen ersetzt wird, sondern die Zeichen durch Zeichen. Die vorhin genannten Vorgänge an den Finanzmärkten sind ein gutes Beispiel dafür, da ihnen keine realen Werte mehr zugrunde liegen, sondern nur noch fiktive.
Ähnliches gilt für die Informationstechnologien, deren Innovationsgeschwindigkeit letztlich zu einem überinformierten Bewusstsein führt, dem schließlich alles gleichgültig wird. Kritiker wie Frank Schirrmacher haben darauf hingewiesen, dass unser Gehirn diese Informationsüberflutungen nicht mehr zu bewältigen vermag, indem es Wesentliches von Unwesentlichem nicht mehr unterscheiden kann. Die Medienszene, vor allem TV und Internet, lebt letztlich von dieser Verflachung, in der die Hochzeit eines Prinzen neben dem Gemetzel in einem afrikanischen Staat oder die Selbstentblößung von jedermann und -frau gleichrangig nebeneinander rangieren.
Im Geflecht von Freiheit und Bindung, von Freiheit und Faktizität, wie dies der Existenzialismus eines Jean-Paul Sartre ausdrückte, wird beides zu wesentlichen Bestandteilen der Conditio humana. Aber es gibt keine losgelöste absolute Freiheit, und es gibt auch keine die Freiheit gänzlich beschränkende Situation, auch wenn die
Technologien der Gegenwart uns andere Rahmenbedingungen vorgeben als zur Blütezeit der Aufklärung. Freiheit ist immer an Vorgegebenes gekoppelt, und dieses erscheint als das, was es ist, erst im Lichte der Freiheit. Gegenüber der Geschöpflichkeit steht die ebenfalls im Rahmen des Religiösen betonte Willensfreiheit, wenn es da heißt, Gott habe den Menschen frei erschaffen. Daher kann sich diese Freiheit auch gegen einen Schöpfergott wenden.
Was also ist letztlich aus Autonomie, Freiheit und menschlicher Würde geworden? Der Begriff der Würde, der sich in erster Linie aus der Geschöpflichkeit und der Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott ableitet, der in der Neuzeit in der Vernunftfähigkeit und Autonomie begründet wird und der zugleich nach dem „Königsberger Reinheitsgebot“(Odo Marquard) von 1781 eine Selbstgesetzgebung auf sittlichem Gebiet enthält, ist ebenso ins Schwanken geraten wie die daraus abgeleitete Forderung, den anderen niemals nur als Mittel, sondern jederzeit als Zweck zu gebrauchen (Immanuel Kant).
Was aber ist aus dieser Würde tatsächlich geworden? Der Respekt und die Achtung, die wir dem anderen schulden, lässt die Würde als ein soziales Konstrukt erscheinen, in das wir Vertrauen setzen sollten. Die Philosophen des Dialogs, allen voran Emmanuel Levinas, haben dies als ethische Grundforderung bezeichnet, die vom „nackten Antlitz des anderen“ausgeht, der mir damit nicht nur ein Tötungsverbot, sondern auch volle Verantwortung für ihn zuspricht. Damit aber ist wiederum Freiheit gefordert, denn ohne Freiheit gibt es keine Verantwortung – was übrigens die Hirnforscher sehr genau wissen.
Diese Verantwortung betrifft immer auch unsere Leiblichkeit und damit die Vulnerabilität unseres Seins. Unser Sein ist, ob wir es wollen oder nicht, ein Sein zum Tode. Die Rätselhaftigkeit des Todes hat von jeher die Menschheit beunruhigt und diverse religiöse Jenseitsvorstellungen hervorgebracht. Auch Transhumanisten wie Ray Kurzweil versprechen zwar ein ewiges Leben, allerdings mit Hilfe von Gentechnik und Nanotechnologie, und sie vergessen nicht, dieses Leben als eines ohne Gebrechlichkeit, Schmerzen und Krankheiten anzupreisen: „Unsere gebrechlichen Körper werden überwunden, Krankheit wird ausgerottet. Wir werden einen Quantensprung in der Evolution durchlaufen. Wir werden in der Lage sein, zu leben, solange wir wollen.“
Sind solche Vorstellungen dazu angetan, uns die gefährdete und prekäre Autonomie zurückzugeben? Wäre ein solches ewiges Leben tatsächlich wünschenswert?
Der uralte Traum von einem Besiegen des Todes zerschellt an der Realität, wiewohl die Verschmelzung von Mensch und Maschine uns heute eine neue Möglichkeit vorgaukeln möchte. Ist der Tod ein Stachel allen Philosophierens, der jedwedes Seinsvertrauen in Frage stellt? Oder bedroht er vielmehr nur ein falsches und überzogenes Freiheits- und Autonomieverständnis? Und ist das Sterben als letzter Akt des Lebens eine Bedrohung unserer Freiheit, oder ist dieser letzte Gang nicht vielmehr die notwendige Vollendung unseres Seins?
Worauf oder wem sollen wir vertrauen in einer Welt, in der die verschiedensten Wertvorstellungen aufeinanderprallen und auch nicht mehr durch die Gemeinsamkeit einer bestimmten Religion tragfähig sind? Letztlich können wir wahrscheinlich nur noch auf uns selbst vertrauen, da Gott ja bekanntlich seit Langem tot zu sein scheint – oder sich auf Dauerurlaub befindet.