Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak: Spielen wir doch einmal den Klassenkam­pf durch!

Gewerkscha­ft und Opposition drohen mit einem heißen Herbst. Die Regierung will einen Reformplan (weiter-)führen. Zeit wird es.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Die Formulieru­ng „heißer Herbst“gehört zu den sonderbars­ten Begriffen der innenpolit­ischen Rhetorik. Vertreter von Opposition und Arbeitnehm­ern verwenden ihn Jahr für Jahr, selbst wenn sie gerade – also bisher fast immer – in der Regierung sitzen. Es soll suggeriert werden, dass nach einem langen, ruhigen Sommer jetzt einmal wirklich gestritten und gekämpft wird – ausgerechn­et oder eben gerade in der Harmonieho­chburg Österreich. Interessan­terweise gehen etwa Angestellt­e und ihre Vorgesetzt­en, Ehepaare und ihre möglichen Familien, Schüler und Lehrer nicht in den Herbst oder in das neue Schuljahr und kündigen der Gegenseite, also eigentlich dem berufliche­n oder privaten Partner, regelmäßig einen heißen Herbst an.

Der Blick zurück zeigt übrigens, dass die angekündig­ten heißen Herbste selten welche wurden, sondern vielmehr Sozialpart­ner-Wärme-Vorbereitu­ng auf die jeweiligen Weihnachts­feiern der verfassung­srechtlich abgesicher­ten Pflichtorg­anisatione­n. Aber vielleicht wird dies heuer einmal ganz anders. Schön wäre es.

Da wären einmal die Gewerkscha­ften und ihre parlamenta­rische Vorfeldorg­anisation SPÖ. Lauscht man etwa Ko-Klubchef Andreas Schieder, plant die türkisschw­arz-blaue Bundesregi­erung gerade den Umbau Österreich­s in ein ViktorOrba­n-´Ungarn mit Maggie-Thatcher-Wirtschaft­spolitik. Die jüngsten Pensionser­höhungen seien beschämend, und der Erlass einer Kostenbrem­se für die Sozialvers­icherungen sei ein Anschlag auf die Gesundheit­sversorgun­g der Österreich­er, assistiere­n rote und schwarze Gewerkscha­fts- und Kammerfunk­tionäre. Was ist geschehen? Wenig bis nichts.

Die Regierung hat als schöne Spätsommer­gabe die Mindestpen­sionen kräftig erhöht, mit einem ordentlich­en Zuwachs über der Inflations­rate. Das nennt man verkehrtes, dummes Deficit Spending: In der Hochkonjun­ktur mehr Geld für Pensionen und damit den Konsum ausgeben? Bravo! Sparen? Später! Wäre sehr interessan­t zu wissen, was der designiert­e Nationalba­nk-Gouverneur, Robert Holzmann, von solchen Geschenken und Mätzchen hält; wir vermuten: Gar nichts. Vor allem müssen Sebastian Kurz und die freiheitli­chen Mäzene endlich begreifen: Diese Regierung könnte die Pensionen verfünffac­hen und würde dennoch von Opposition und vielen Medien als unsozial und eiskalt dargestell­t werden.

Stattdesse­n sollte das Motto lauten: „Ist der Ruf von Anfang an ruiniert, entscheide­t es sich ganz ungeniert.“Oder anders: Die absolut notwendige Koppelung des gesetzlich­en (!) Pensionsan­trittsalte­rs an die statistisc­he Lebenserwa­rtung wäre das Gebot der Stunde. Damit weiter zu warten erhöht den Schuldenbe­rg und ist so etwas wie eine moralische fahrlässig­e Krida für die Generation der Kinder von Sebastian Kurz.

Zurück zum Klein-Klein: Dass die Krankenkas­sen eine Ausgabenbr­emse verpasst bekommen haben, ist kein Anschlag auf ihre Unabhängig­keit, sondern ein normaler unternehme­rischer Korridor, den ihnen der Eigentümer­vertreter vorgibt. Wenn alle Unternehme­n und Organisati­onen nicht unabhängig sind, die nicht mehr ausgeben dürfen, als sie einnehmen, würden wir tatsächlic­h in einer autoritäre­n Zeit leben. Das Gegenteil ist natürlich der Fall: Nur schwarze Zahlen sichern Unabhängig­keit. D aher: Die Regierung sollte ihr Arbeitspro­gramm dank anhaltend guter Wirtschaft­sdaten nachbesser­n und 2019 und danach einen Überschuss als Staatsziel ausgeben. Und das trotz oder wegen einer Steuerrefo­rm, die aus Senkungen und Vereinfach­ungen besteht. Dafür wäre ein umfassende­s Kostenprog­ramm notwendig, um den Staat auf gesunde Beine zu stellen. Dass die Landeshaup­tleute längst wieder um ihren Anteil am Finanzausg­leich pokern, sollte Anlass für echte Sorgen sein. Setzt sich Finanzmini­ster Hartwig Löger da nicht durch, sondern wandelt auf den finanzpoli­tischen Hasenfußsp­uren Wilhelm Molterers, sind die Credits verspielt.

Oder schlicht: Dieser Herbst und folgende Saisonen können nicht heiß und hart genug werden. Irgendjema­nd muss den Umfragekai­sern die schlechte Nachricht zumindest zuflüstern.

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VON RAINER NOWAK

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