Die Abgründe der Grünen Insel
Irland. Papst Franziskus reist am Wochenende zum Weltfamilientreffen in die katholische Hochburg. Eine heikle Visite: Staat und Kirche waren lang Komplizen beim Kindesmissbrauch.
Wenn Papst Franziskus am Wochenende erstmals nach Irland reist, sind es gemischte Gefühle, die seine Ankunft auslösen wird. Einerseits hat seit fast 40 Jahren kein Papst mehr die traditionell katholische Atlantikinsel besucht, von wo aus einst berühmte Missionare nach Europa und in die Welt gezogen sind. Andererseits ist es ein Land, in dem in jüngerer Vergangenheit aufgeflogen ist, dass Priester und Ordensschwestern mindestens über Jahrzehnte Kinder und Frauen misshandelt und missbraucht haben.
Beim Besuch des Argentiniers soll das Thema Familie im Mittelpunkt stehen, hat der Vatikan vor der zweitägigen Reise bekräftigt, die heute beginnt. Doch um das Thema Missbrauch wird er beim zugleich stattfindenden Weltfamilientreffen in Dublin nicht herumkommen. Viele Iren kritisieren, die Kirche habe die Missbrauchsskandale im Land nicht konsequent verfolgt. Sie werfen dem Vatikan mithin sogar Verschleierung vor.
Erst kürzlich hat sich Franziskus auch angesichts solcher Untaten in anderen Staaten, von den USA bis Australien, zu einem ungewöhnlichen Akt entschlossen und einen Brief ans „Volk Gottes“publiziert, die 1,3 Milliarden Katholiken weltweit. Darin räumt er ein, dass die Kirche die Opfer lang ignoriert habe. In Irland will er auch Missbrauchsopfer treffen.
Irlands Gesellschaft war nach jener in den USA und vor jenen in Deutschland und Österreich die zweite, die vom Auffliegen großer katholischer Missbrauchsskandale erschüttert wurde. In Irland war das Beben aber stärker als anderswo, denn dort war – jedenfalls bis zum „schrecklichen Jahr“2009 – die Kirche fast allmächtig. Sie gebärdete sich so anmaßend und war derart unangreifbar, dass selbst die Behörden trotz vierjähriger Untersuchung und vieler Verdachtsmomente die Ermittlungen lieber versickern ließen, als Bischöfe zu beschuldigen. Dazu kam eine Besonderheit: Der Staat war Komplize. Jahrzehntelang trieb er Kinder in die Arme eines verbrecherischen Systems. Das Schicksal Tausender junger Leute schwieg man tot.
Zwei Berichte von Regierungskommissionen deckten 2009 die Abgründe auf. Der „Ryan-Bericht“widmete sich der Versklavung, Zwangsarbeit, körperlichen und seelischen Gewalt, der mindestens 35.000 Kinder in katholischen „Besserungsanstalten“, Waisenhäusern und anderen Heimen ausgesetzt waren. Zum Inbegriff der Schrecken wurden die „Magdalenenheime“, in denen die Justiz sozial gefährdete und „gefallene“Mädchen unterbrachte und Kinder versteckte, die „in Schande“, also unehelich, geboren waren. Die Heime waren staatlich, wurden aber von Orden geführt, etwa den Barmherzigen Schwestern: Sie fielen durch spezielle Grausamkeit auf.
Der Staat hatte Aufsichtspflicht, nahm sie aber jahrzehntelang nicht wahr; Entschädigungen (60 Millionen Euro) an die Opfer wurden erst 2013 beschlossen, staatliche jedenfalls: Die Ordensgemeinschaften zahlten nicht, auch wenn sie sogar vom Antifolterkomitee der UNO dazu aufgefordert worden waren.
Die zweite Untersuchung 2009, der „Murphy-Bericht“zum kirchlichen Kindesmissbrauch in der Erzdiözese Dublin, nahm nicht nur 46 pädophile Priester ins Gebet, sondern auch Bischöfe, die jene von Pfarrei zu Pfarrei versetzten und ihre Taten vertuschten, damit der „Ruf der Institution“sauber blieb. Diesfalls beteiligte sich die Kirche an den Ermittlungen. Oder besser: Dublins Erzbischof Diarmuid Martin. Er stellte der Kommission über 65.000 Akten zur Ver- fügung und spaltete damit das irische Episkopat zutiefst: Der Widerstand unter den anderen Bischöfen gegen eine Aufdeckung war enorm.
Kurz nach Erscheinen des „Murphy-Berichts“reagierte auch Papst Benedikt XVI. Er zitierte Irlands Oberhirten – 26 Diözesanund sechs Weihbischöfe – zu sich, wusch ihnen den Kopf, sprach von „abscheulichen Verbrechen“und nahm mehrere Bischofsrücktritte an. Zwei Rücktrittsangebote wies Benedikt indes zurück, auch wenn diese Bischöfe die Vertuschung von Vorfällen gestanden hatten.
Vor Tagen wurde bekannt, dass die Vatikanspitze um 2003 herum die Missbrauchsfälle vertuschen wollte. Irlands damalige Präsidentin, Mary McAleese, und Außenminister Dermot Ahern berichteten, Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano habe sie ersucht, Ermittlern den Zugang zu kirchlichen Archiven zu verbieten und die Kirche von allen Geldstrafen freizustellen.
Sodano, heute 90 Jahre alt, Kardinalskollegium-Chef und Drahtzieher hinter den Kulissen, machte sich 2010 unsterblich, als er Benedikt bei der Ostermesse öffentlich aufforderte, sich nicht von Medienberichten über kirchlichen Kindesmissbrauch beeindrucken zu lassen: Das sei nur „Geschwätz“.
zu dem Papst Franziskus am Samstag nach Dublin reist, ist das neunte seiner Art. Erfunden wurde es, so wie die „Weltjugendtage“, zu Zeiten von Papst Johannes Paul II. (1978–2005). Seit 1994 fand es alle drei Jahre, u. a. in Rom, auf den Philippinen, in Spanien, Brasilien und den USA statt. Papstbesuche sind dabei obligatorisch.
dieser Art sollen die katholische Lehre von Schönheit und Wert der Familie ausdrücken und die traditionelle Familie (Vater und Mutter ehelich untrennbar verbunden, dazu Kinder) als „Keimzelle der Gesellschaft“feiern. Das Treffen in Dublin, das am Dienstag begonnen hat, steht unter dem Motto „Das Evangelium von der Familie – Freude für die Welt“.
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