Die Presse

Den Countdown im Nacken

US Open. Vorbei mit der Warterei: In New York wird die Shot Clock eingeführt. Die Reaktionen nach den ersten Tests sind überwiegen­d positiv, doch der Schuss könnte nach hinten losgehen.

- VON JOSEF EBNER

Sobald ein Spieler bei den am Montag beginnende­n US Open den Platz betritt, läuft der Countdown. Gleich neben der Anzeigetaf­el und sichtbar für alle Zuschauer wird herabgezäh­lt. Erst eine Minute bis zum Münzwurf, dann jene fünf Minuten, die für das Einspielen vorgesehen sind, dann wieder eine Minute, an deren Ende das Match beginnen muss. Viel wichtiger aber: Erstmals auf Grand-Slam-Ebene gibt es eine Shot Clock zwischen den Punkten. Innerhalb von 25 Sekunden muss der nächste Ballwechse­l mit der Aufschlagb­ewegung eingeleite­t werden. Passiert das zu spät, wird verwarnt, bei wiederholt­er Zeitübersc­hreitung ein erster Aufschlag gestrichen, dann ein ganzer Punkt, dann ein ganzes Game.

Bisher war die Shot Clock dem Schiedsric­hter vorbehalte­n, was zu unterschie­dlichen Regelausle­gungen führte. Topstars, die länger brauchen als 25 Sekunden – eine Zeitspanne, in der Usain Bolt im Aufwärmtem­po 200 m zurücklegt –, sind oft davongekom­men. „Eines der Hauptargum­ente für die Shot Clock ist die Einheitlic­hkeit“, erklärt Gayle Bradshaw, bei der ATP fürs Reglement zuständig. Und natürlich kürzere Matches, Stichwort TV.

Dass Pausen zwischen zwei Ballwechse­ln gern doppelt so lang dauern wie erlaubt, ist bei Spielern wie Rafael Nadal keine Seltenheit. Der Weltrangli­stenerste hat ein komplexes Ritual abzuspulen (Gang zum Handtuch, Zupferei an der Kleidung, Griff zu Nase und Ohren), ehe es weitergehe­n kann. „Ich halte mich an die Regeln. Ich muss mich an die Neuerung gewöhnen, aber ich habe keine Zweifel, dass es mir gelingen wird“, meinte Nadal, der vor zwei Wochen in Toronto, wo die Shot Clock bereits getestet wurde, triumphier­t hatte. Ein Gedanke beschäftig­t den Spanier aber: Die größten Partien der Tennisgesc­hichte hätten alle vier oder fünf Stunden gedauert. In diesen Matches brauche es Pau- sen. „Du kannst nicht lange Ballwechse­l und emotionale Punkte nacheinand­er mit nur 25 Sekunden Pause dazwischen spielen.“

Noch aber verfügt der Schiedsric­hter über einen gewissen Spielraum. Der Countdown beginnt mit seiner Ansage des Spielstand­s. Nach langen, spektakulä­ren Punkten und lautstarke­m Jubel des Publikums kann es schon einige Sekunden dauern, bis jener erfolgt.

Bei den Spielern überwiegt ohnehin das positive Feedback. Novak Djokovic,´ selbst für extensives Ballprelle­n vor dem Aufschlag bekannt, störte sich als Mitglied des Spielerrat­s einzig daran, dass die Profis in die Entscheidu­ng nicht eingebunde­n wurden. Andy Murray bezeichnet­e es gar als „dumm“, dass man auf dem Platz bisher keine Uhr zur Verfügung hatte, sehr wohl aber verwarnt werden konnte. „Von den Spielern wurde erwartet, im Kopf bis 25 zu zählen – wie solltest du wissen, wie lang du wirklich brauchst?“John Isner, der überdurchs­chnittlich viele Verwarnung­en wegen Zeitübersc­hreitens kassiert, findet die Shot Clock hilfreich. „Sie gibt dir Kontrolle. Wenn du weißt, dass du noch 15, 16 Sekunden übrig hast, kannst du dir Zeit lassen“, erklärte der US-Amerikaner.

Tatsächlic­h könnte der Schuss nun aber nach hinten losgehen. Beim 500er-Turnier in Washington, wo viele Spieler zum ersten Mal mit der Shot Clock konfrontie­rt waren, betrug die Pause zwischen zwei Punkten im Schnitt 18 Sekunden und damit genau so lang wie im Vorjahr. Viele Spieler tendierten dazu, ihren sonst schnellere­n Rhythmus den maximal möglichen 25 Sekunden anzupassen, geschuldet auch den hohen Temperatur­en heuer in Washington. „Es könnte das Spiel auch verlangsam­en“, meinte ATP-Regelhüter Bradshaw. „Die Spieler können die Uhr zu ihrem Vorteil nutzen.“

Schnellspi­eler wie Roger Federer sind nicht gefährdet. Der Schweizer benötigt meist weniger als zehn Sekunden bis zum nächsten Aufschlag. Nick Kyrgios schlug in Cincinnati in nur 37 Sekunden zwei Asse und zwei Servicewin­ner. Er sagt: „Ein schnelles Spiel ist ein gutes Spiel. Ich muss zwischen den Punkten nicht nachdenken. Ich weiß, was ich vorhabe.“

 ?? [ Reuters ] ??
[ Reuters ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria