Merkels Liebesentzug für Weidmann
Euro. Geplant war es anders. Aber jetzt scheint Angela Merkel ihren Anspruch auf den Posten des EZB-Chefs aufzugeben. Das Rennen um die Nachfolge Mario Draghis ist wieder völlig offen.
Der Plan war perfekt. Zehn Jahre und neun Monate nach der Einführung des Euro als Buchgeld sollte endlich ein Deutscher den Thron in der Europäischen Zentralbank besteigen. Jens Weidmann. Von Kanzlerin Angela Merkel persönlich aus ihrem Kabinett in die Bundesbank geschickt, um sich dort auf die Nachfolge Mario Draghis vorzubereiten. Auf den Gelddrucker aus Italien sollte ein strenger Deutscher folgen und endlich das Versprechen von der EZB als „Europas Bundesbank“einlösen. Nichts konnte Weidmann noch aufhalten. Und niemand – außer Angela Merkel. Genau das hat sie jetzt wohl getan. Plötzlich, so berichten das „Handelsblatt“und andere Medien, will Merkel für Deutschland nicht mehr den EZB-Posten reklamieren – sondern gleich jenen des EUKommissionschefs.
Beide Posten müssen im kommenden Jahr nachbesetzt werden. Das Rennen um den Chefsessel in der EZB ist jetzt wieder völlig offen. Und die Gerüchteküche brodelt. Hat Merkel ihrem einstigen politischen Ziehsohn wirklich die Liebe entzogen? Und warum? Oder ist alles nur Manöver? Eine Zeitungsente? Und wenn nicht: Wer soll für Deutschland den Job EU-Kommissionschefs übernehmen? Will Merkel den am Ende gar selbst machen? Offizielle Stellungnahmen zu dem Bericht aus dem „Handelsblatt“gab es am Freitag nicht. Weder Bestätigung noch Dementi.
Wenn Merkel Weidmann wirklich hat fallen lassen, dann darf sich Francois¸ Villeroy de Galhau freuen. Er gilt ohnehin als halber Deutscher, stammt er doch aus dem Grenzgebiet und spricht beide Sprachen perfekt. In geldpolitischen Fragen ist der Franzose pragmatischer als Hardliner Weidmann. Den Südeuropäern, die die Strenge Hand Deutschlands fürchten, wäre er leichter zu verkaufen. Vor allem Italien macht immer wieder gegen Weidmann Stimmung – nicht erst seit dem Regierungswechsel.
Ein weiterer Kandidat aus Frankreich ist Benoˆıt Coeure,´ derzeit Direktoriumsmitglied. Aber: Frankreich hatte mit Jean-Claude Trichet bereits einen EZB-Chef. Der war der Vorgänger des Italieners Draghi. Der allererste EZB-Chef, Wim Duisenberg, stammte aus den Niederlanden. Es wäre durchaus denkbar, dass Merkel einen Kandidaten wie den aktuellen holländischen Notenbankchef Klaas Knot unterstützt.
Oder einen anderen aus einem kleinen, nordeuropäischen Land, das tendenziell eine der Bundes- bank genehme Hartwährungspolitik fährt. Da würde – theoretisch – auch Österreich infrage kommen. Der ursprünglich aus der SPÖ stammende Nationalbank-Chef, Ewald Nowotny, hätte nach seinem Ausscheiden aus dem OeNB-Job im September 2019 zwar Zeit, hat aufgrund seines Alters aber bereits abgewinkt. Außenseiterchancen werden aktuell dem irischen Notenbankchef Philip Lane und dem Esten Ardo Hansson eingeräumt. Am Ende liegt die Entscheidung beim Rat der EU–Regierungschefs.
Bei der Besetzung des wichtigsten Postens in der Volkswirtschaft hört es sich mit der Unabhängigkeit der Notenbank auf. Aber gerade der EZB-Chef kann sich glücklich schätzen, weil er zumindest nicht einem einzigen Präsidenten Rede und Antwort stehen muss. Das macht die EZB in Relation zu anderen Notenbanken ziemlich unabhängig. Das war auch immer die Idee: Den Politikern sollte die Möglichkeit genommen werden, ihre Programme durch frisch gedrucktes Geld (und damit durch Inflation) zu finanzieren. Anderswo führt das zu einem offenen Schlagabtausch.
Mit den erwartbaren Folgen. In Venezuela hat das Regime die volle Kontrolle über die Notenbank. Ergebnis: Die Währung stirbt. In der Türkei mischt sich Präsident Erdogan˘ immer wieder ein. Die Lira ist abgestürzt.
Und in den USA gab es gerade eine Attacke des Präsidenten Donald Trump gegen den von ihm eingesetzten Jay Powell, der an der Spitze der Notenbank Federal Reserve steht. Trump wünscht sich billigeres Geld. Am Freitag sprach Powell vor anderen Notenbankern beim jährlichen Treffen in Jackson Hole. Wir lassen uns nicht reinreden und nicht beirren, so seine Botschaft.