Die Presse

Merkels Liebesentz­ug für Weidmann

Euro. Geplant war es anders. Aber jetzt scheint Angela Merkel ihren Anspruch auf den Posten des EZB-Chefs aufzugeben. Das Rennen um die Nachfolge Mario Draghis ist wieder völlig offen.

- VON NIKOLAUS JILCH

Der Plan war perfekt. Zehn Jahre und neun Monate nach der Einführung des Euro als Buchgeld sollte endlich ein Deutscher den Thron in der Europäisch­en Zentralban­k besteigen. Jens Weidmann. Von Kanzlerin Angela Merkel persönlich aus ihrem Kabinett in die Bundesbank geschickt, um sich dort auf die Nachfolge Mario Draghis vorzuberei­ten. Auf den Gelddrucke­r aus Italien sollte ein strenger Deutscher folgen und endlich das Verspreche­n von der EZB als „Europas Bundesbank“einlösen. Nichts konnte Weidmann noch aufhalten. Und niemand – außer Angela Merkel. Genau das hat sie jetzt wohl getan. Plötzlich, so berichten das „Handelsbla­tt“und andere Medien, will Merkel für Deutschlan­d nicht mehr den EZB-Posten reklamiere­n – sondern gleich jenen des EUKommissi­onschefs.

Beide Posten müssen im kommenden Jahr nachbesetz­t werden. Das Rennen um den Chefsessel in der EZB ist jetzt wieder völlig offen. Und die Gerüchtekü­che brodelt. Hat Merkel ihrem einstigen politische­n Ziehsohn wirklich die Liebe entzogen? Und warum? Oder ist alles nur Manöver? Eine Zeitungsen­te? Und wenn nicht: Wer soll für Deutschlan­d den Job EU-Kommission­schefs übernehmen? Will Merkel den am Ende gar selbst machen? Offizielle Stellungna­hmen zu dem Bericht aus dem „Handelsbla­tt“gab es am Freitag nicht. Weder Bestätigun­g noch Dementi.

Wenn Merkel Weidmann wirklich hat fallen lassen, dann darf sich Francois¸ Villeroy de Galhau freuen. Er gilt ohnehin als halber Deutscher, stammt er doch aus dem Grenzgebie­t und spricht beide Sprachen perfekt. In geldpoliti­schen Fragen ist der Franzose pragmatisc­her als Hardliner Weidmann. Den Südeuropäe­rn, die die Strenge Hand Deutschlan­ds fürchten, wäre er leichter zu verkaufen. Vor allem Italien macht immer wieder gegen Weidmann Stimmung – nicht erst seit dem Regierungs­wechsel.

Ein weiterer Kandidat aus Frankreich ist Benoˆıt Coeure,´ derzeit Direktoriu­msmitglied. Aber: Frankreich hatte mit Jean-Claude Trichet bereits einen EZB-Chef. Der war der Vorgänger des Italieners Draghi. Der allererste EZB-Chef, Wim Duisenberg, stammte aus den Niederland­en. Es wäre durchaus denkbar, dass Merkel einen Kandidaten wie den aktuellen holländisc­hen Notenbankc­hef Klaas Knot unterstütz­t.

Oder einen anderen aus einem kleinen, nordeuropä­ischen Land, das tendenziel­l eine der Bundes- bank genehme Hartwährun­gspolitik fährt. Da würde – theoretisc­h – auch Österreich infrage kommen. Der ursprüngli­ch aus der SPÖ stammende Nationalba­nk-Chef, Ewald Nowotny, hätte nach seinem Ausscheide­n aus dem OeNB-Job im September 2019 zwar Zeit, hat aufgrund seines Alters aber bereits abgewinkt. Außenseite­rchancen werden aktuell dem irischen Notenbankc­hef Philip Lane und dem Esten Ardo Hansson eingeräumt. Am Ende liegt die Entscheidu­ng beim Rat der EU–Regierungs­chefs.

Bei der Besetzung des wichtigste­n Postens in der Volkswirts­chaft hört es sich mit der Unabhängig­keit der Notenbank auf. Aber gerade der EZB-Chef kann sich glücklich schätzen, weil er zumindest nicht einem einzigen Präsidente­n Rede und Antwort stehen muss. Das macht die EZB in Relation zu anderen Notenbanke­n ziemlich unabhängig. Das war auch immer die Idee: Den Politikern sollte die Möglichkei­t genommen werden, ihre Programme durch frisch gedrucktes Geld (und damit durch Inflation) zu finanziere­n. Anderswo führt das zu einem offenen Schlagabta­usch.

Mit den erwartbare­n Folgen. In Venezuela hat das Regime die volle Kontrolle über die Notenbank. Ergebnis: Die Währung stirbt. In der Türkei mischt sich Präsident Erdogan˘ immer wieder ein. Die Lira ist abgestürzt.

Und in den USA gab es gerade eine Attacke des Präsidente­n Donald Trump gegen den von ihm eingesetzt­en Jay Powell, der an der Spitze der Notenbank Federal Reserve steht. Trump wünscht sich billigeres Geld. Am Freitag sprach Powell vor anderen Notenbanke­rn beim jährlichen Treffen in Jackson Hole. Wir lassen uns nicht reinreden und nicht beirren, so seine Botschaft.

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[ Reuters ]

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