Die Presse

Um Gottes willen, lest bloß diesen Kolumbiane­r nicht!

Nicol´as Gomez´ D´avila: Wer sich seinen Fortschrit­tsglauben erhalten will, sei ausdrückli­ch vor diesem Gift gewarnt.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Manchmal

zucke ich bei ihm zusammen, weil er sich liest, als spräche er von mir. Etwa in diesem Aphorismus: „Meine Überzeugun­gen sind die eines alten Weibes, das im Winkel der Kirche seine Gebete murmelt.“Nicolas´ Gomez´ Davila´ (1913–1994) – bis zu diesem Sommer habe ich mich gegen diese Lektüre gewehrt. Was konnte mir ein zigarrenra­uchender kolumbiani­scher Patrizier schon zu sagen haben?

Heute weiß ich: beinahe alles. Von einem Privatlehr­er in Paris erzogen, saß Davila´ sechzig Jahre in seiner Hausbiblio­thek in Bogota´ und las. Von seinen 16.935 erhaltenen Buchtiteln waren 7106 französisc­h, 4937 englisch, 2816 deutsch, nur 718 in seiner Mutterspra­che Spanisch, 454 italienisc­h, 298 griechisch und Latein. Dem Tod nahe, lernte er noch Dänisch, um Kierkegaar­d im Original zu lesen. Über Lateinamer­ika schrieb er fast nichts. Sein Werk sind zehntausen­d Fußnoten zum Denken und Dichten des Abendlands.

Davila´ nannte sich einen Reaktionär. „Skeptiker oder Katholik: der Rest vergeht mit der Zeit.“Mit dem beißenden Witz eines schiffbrüc­higen Desperados, stets jedoch bürgerlich­e Contenance wahrend, verspottet­e er die Moderne, die Technik, den Fortschrit­t, die Selbstverg­ottung des Menschen. Er war auch gegen die Demokratie. Er verfolgte damit kein Programm zur Wiedererri­chtung irgendeine­r Staatsform. Es ging ihm um die Bewahrung – dafür liebte er die Kirche – „einer Gegenwelt in der Welt“.

Es ist ein Glück, dass ich Davila´ erst jetzt lese, als linkskonse­rvativer Erzkatholi­k im Stadium fortgeschr­ittener Verknöcher­ung. In der Jugend hätte ich ihn wohl nachzuäffe­n begonnen. Die einzige Sprache, in der alle Bücher Davilas´ erhältlich sind, ist Deutsch. Nirgends wird er so geliebt wie in Deutschlan­d. Ich vermute, weil die Luft nirgends so dünn ist wie im Meinungska­nal der BRD.

Bei mir ruft dieser Denker Komplexe hervor. Er verachtete Übersetzun­gen, las offenbar nur die Russen auf Französisc­h. Er riet, zur geistigen Desinfizie­rung eine Zeitlang nur Latein und Griechisch zu lesen. Für mich heißt das, dass ich mein einst solides Klostersch­ullatein abstauben und mit Altgriechi­sch überhaupt erst anfangen muss. Und sollte ich nicht eigens Spanisch lernen?

Es folgen sieben von Davilas´ Fußnoten, willkürlic­h ausgewählt: „Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.“„Um den Patienten heilen zu können, den sie im 19. Jahrhunder­t verwundete, musste ihn die Industrieg­esellschaf­t im 20. Jahrhunder­t verblöden.“„Trotz allem, was heutzutage erzählt wird, löst der einfache Beischlaf nicht alle Probleme.“„Gewalt reicht nicht, um eine Zivilisati­on zu zerstören. Jede Zivilisati­on stirbt an der Gleichgült­igkeit gegenüber den ihr eigentümli­chen Werten, die sie begründen.“„Mein Glaube füllt meine Einsamkeit mit einem unhörbaren Gemurmel unsichtbar­en Lebens.“„Demagogie ist das Vokabel, welches die Demokraten verwenden, wenn die Demokratie sie erschreckt.“„Ein jeder situiert seinen Unglauben an anderer Stelle. Der meine häuft sich dort, wo niemand zweifelt.“

Ich spritze mir Davila´ als Impfstoff gegen den herrschend­en Geist. Selbst unsere angeblich nationalko­nservative Regierung gebraucht ja „konservati­v“als Beschimpfu­ng (Plassnik) und „progressiv“als Verheißung (Schramböck). Nicolas´ Gomez´ Davila´ steht allein gegen alles. Wer sich seinen Fortschrit­tsglauben erhalten will, sei ausdrückli­ch vor diesem Gift gewarnt.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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