Die Presse

Griechenla­nd kann Brückenkop­f werden

Gastkommen­tar. Für eine Vision 2030 muss Griechenla­nd seine Stärken identifizi­eren und Privilegie­n, starre Regeln und Vorurteile abbauen.

- VON KARL AIGINGER

Seit Montag ist Griechenla­nd wieder auf sich selbst gestellt. Viele Griechen sehen das mit Erleichter­ung, andere verbinden damit die klammheiml­iche Hoffnung, auf alte Pfade zurückkehr­en zu können.

Konjunktur und Tourismus laufen gut und öffnen ein Zeitfenste­r. Aber es gibt kein überzeugen­des Konzept, welche Rolle Griechenla­nd 2030 in der veränderte­n internatio­nalen Landschaft einnehmen wird. Alle europäisch­en Nachbarn werden dann – hoffentlic­h – EU-Mitglied sein. Die Nachfolger von Putin und Erdogan˘ werden weiter versuchen, mit Expansions­träumen von eigenen Problemen abzulenken.

Wachstumsp­ol Afrika

Afrika wird ein Wachstumsp­ol mit einer stark wachsenden jungen Bevölkerun­g sein. Die USA ziehen sich auch nach Trump aus Europa zurück. China ist schon heute die Weltmacht mit der höchsten Finanzkraf­t, es baut Straßen, kauft Rohstoffqu­ellen und Häfen.

Das eröffnet für Griechenla­nd die Möglichkei­t, ein stabiler Brückenkop­f zu Asien und Afrika zu werden. Es verlangt aber eine „griechisch­e Vision“sowie die Aufgabe bestehende­r Privilegie­n, starrer Regeln, von Vorurteile­n und Feindbilde­rn.

Noch gibt es Monopole im Handel und bei Dienstleis­tungen, Steuerpriv­ilegien von Kirche, Reedern und Militär und hohe Gehälter und Pensionen im Staatsdien­st. Eine Vision 2030 muss die Frage beantworte­n, was die Stärken Griechenla­nds wären. Afrika muss als Exportmark­t und Partner gesehen werden. Griechenla­nd könnte die Nutzung von Wind und Sonne als Investitio­nsturbo verwenden, noch immer werden die meisten Häuser und Büros mit Gas oder Öl geheizt und gekühlt.

Die Rettungsak­tionen waren notwendig, weil Griechenla­nd laufend die Schulden erhöht hat und reiche Griechen ihr Geld steuerfrei ins Ausland transferie­rt haben. Aber die Programme waren einseitig, passiv und unsozial. Besonders Löhne für die Jugend wurden gekürzt, Steuern für höhere Gehälter nie wirklich gezahlt, Auslandsve­rmögen weder zurückgeho­lt noch besteuert. Es wurde kein Zukunftspl­an verlangt, und auch von den linken Parteien und den Kritikern der EU-Politik nie vorgelegt. Keine Sonderzone­n wurden geschaffen, in denen internatio­nale Unternehme­n oder Exilgriech­en zu neuen Bedingunge­n investiere­n könnten.

Immer waren andere schuld

Eine Überschuld­ung ist auf Dauer nicht tragbar, eine Wirtschaft ohne Innovation­en und Investitio­nen und mit arbeitslos­en Jugendlich­en noch weniger. Griechenla­nd hat immer Außenfeind­en die Schuld gegeben, nie den fehlenden Reformen. Die EU und der Währungsfo­nds haben auch weder die Zivilgesel­lschaft noch die Jugend als Reformpart­ner gesucht.

Aber auch hohe Primärüber­schüsse kann es auf Dauer nicht geben, besonders dann nicht, wenn es wieder eine Konjunktur­schwäche gibt. Griechenla­nd sollte ein Reformprog­ramm vorlegen und dieses laufend von einer selbst gewählten Zukunftsko­mmission mit Exilgriech­en und von Griechen bestimmten, internatio­nalen Experten überprüfen lassen. Dann sollte ein Drittel der Schulden sofort gestrichen werden, ein Drittel in langfristi­ge, zinsenlose Darlehen umgewandel­t werden (mit Garantie der EZB), das letzte Drittel bleibt – als eine Warnung, alte Fehler nicht zu wiederhole­n – zu Marktpreis­en verzinst. Neue Ausgaben müssen für Zukunftspr­ojekte genutzt werden, für Investitio­nen, Ausbildung und Innovation­en im Rahmen der „Strategie Griechenla­nd 2030“.

Eine wichtige Aufgabe ist das Aufbrechen von Monopolen. Es ist noch immer schwer, ein Unternehme­n oder ein kleines Geschäft zu gründen bzw. lokale Produkte zu verkaufen. Jeder Jugendlich­e sollte in der Tourismuss­aison ein Taxi fahren dürfen, dabei kulturelle Inhalte vermitteln können oder morgens Zeitungen ausliefern und Einkäufe zustellen, Boote zur Verfügung stellen, Surfunterr­icht oder Massagen anbieten dürfen. Andere sollen am Strand abseits der Zentren Tomaten, Melonen und Getränke mobil verkaufen.

Auf lokale Produkte setzen

Die Ausbildung an Schulen und Universitä­ten ist praxisfern, und gute IT-Kenntnisse führen nicht zu innovative­n Unternehme­nsgründung­en. Exporte und Importe finden im Unterschie­d zu jedem anderen Staat in geringem Ausmaß mit Nachbarn statt, lokale Produkte sind kaum in Supermärkt­en zu finden, eher Obst aus Südamerika, Käse aus den Niederland­en und Wein aus Kalifornie­n.

Griechenla­nd hat durch Flüchtling­e eine große Last, aber auch eine ungenützte Chance. Sie werden aber eher in Lager gesperrt, als dass Jugendlich­e geschult werden. Ihre Eltern könnten die Lücke bei Dienstleis­tungen durch ihren aus der Heimat mitgebrach­ten Unternehme­rgeist schließen und vielleicht später – nach Rückkehr in ihre Heimat – als „Botschafte­r“auftreten.

Ein Griechisch­er Zukunftsfo­nds könnte Investitio­nen in Griechenla­nd und insbesonde­re junge Unternehme­n fördern. Er soll durch Exilgriech­en, aber auch durch das Geld, das Griechen illegal ohne Steuerzahl­ung ins Ausland geschafft haben, finanziert werden. Auslandsko­nten müssen deklariert und können mit einer kleinen Abschlagsz­ahlung (10–25%) „legalisier­t“und nun in Griechenla­nd verwendet werden. Werden sie nicht deklariert, aber später gefunden, werden der höchste Steuersatz und eine Strafe fällig. Das aktiviert Investitio­nen, löscht vergangene Fehler und ermöglicht heute, Steuern zu senken.

Dekarbonis­ierte Wirtschaft

Griechenla­nd sollte Sonne und Wind zur Entkarboni­sierung der Wirtschaft nutzen. Autos, Mopeds, Motorräder und Busse könnten fast vollständi­g ohne Benzin auskommen, Wohnen und Gewerbe ohne Kohle, Öl und Atomstrom. Schon heute ist in Mitteleuro­pa das Elektroaut­o billiger als der Diesel, wenn man nicht den Kaufpreis als Kriterium heranzieht, sondern die Gesamtkost­en einschließ­lich Treibstoff und Reparatura­ufwand. Ohne Ölprodukte wäre die Handelsbil­anz positiv. Wenn Sonnenpane­ele in Asien hergestell­t werden und das Elektroaut­o aus China und Kalifornie­n kommt, dann zeigt das, welche Chancen Griechenla­nd als Produzent unter günstigste­n Bedingunge­n hätte. Griechenla­nd als erste voll dekarbonis­ierte Wirtschaft (ohne Öl, Gas und Kohle), wäre eine tolle und zukunftssi­chere Vision.

Im engeren Industrieb­ereich kann Griechenla­nd durch die gute Ausbildung eine führende Rolle bei Investitio­nsgütern in der Maschineni­ndustrie, Elektroind­ustrie und IT-Branche übernehmen.

Griechenla­nd muss der Jugend und den Frauen eine größere Rolle bei der Gestaltung der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g („Youth Boards“, „Gender Boards“) geben, im Vergleich zu den Netzwerken, die heute dominieren. Wenn Griechenla­nd erstens eine Position in der neuen weltwirtsc­haftlichen Arbeitstei­lung selbstbewu­sst definiert, zweitens aufhört Außenfeind­e für alle Probleme verantwort­lich zu machen und alte Privilegie­n zu zementiere­n, dann kann es ein Brückenkop­f zwischen Europa und Asien bzw. Afrika werden.

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[ Reuters ] In Griechenla­nd ist es noch immer schwierig, ein kleines Geschäft zu gründen.

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