Die Presse

Und beide rollten so dahin

- Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

D er Sommer war heiß, zu heiß und oft schädlich, etwa für Landwirte, trotzdem herrlich, Klimawande­l hin oder her. Die Freude über die Abkühlung jetzt wärmt dennoch das Herz. Wird sicher ein langer, milder, goldengelb­roter Herbst, mit gasflammen­blauem Himmel über leuchtende­n Bergen und kaltem Wein in den Gläsern.

Freitagfrü­h, in einer schwülen U-Bahn-Station, rollt ein Mann im elektrisch­en Rollstuhl durch die Menge, Mitte 30 bis Anfang 40, südlicher, ja nahöstlich­er Typ, stämmig, männlich-sympathisc­hes Gesicht. Er trägt ein schickes Pololeiber­l und ein Mädchen im Arm, ein süßes, vielleicht fünfjährig­es Ding, lange braune Haare, buntes Leiberl. Sie knuddelt sich lachend an ihn, ihre Haare liegen auf seiner linken Schulter, er schmunzelt, und beide rollen so dahin. Er wird ihr Vater sein, so wirkt es halt. Und er hat keine Beine: Über dem Becken ist eine Decke, unterhalb nichts mehr. Die zwei sind in meine Lebensblas­e geplatzt und Sekunden später verschwund­en. So wie im Lauf der Jahre Millionen Menschen, man registrier­t sie kurz, einige mehr, die meisten weniger, dann kippen sie ins Vergessen. Manche legen einem Steine aufs Herz, die bleiben dort oft lang liegen. Der Mann im Rollstuhl und das Mädchen hatten fröhliche Augen. Wenn ich fremde Augen anschau, denk ich mir oft, was dahinter für böse Bilder eingesperr­t sind. Und was für Steine aufs Herz drücken. (wg)

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