Und beide rollten so dahin
D er Sommer war heiß, zu heiß und oft schädlich, etwa für Landwirte, trotzdem herrlich, Klimawandel hin oder her. Die Freude über die Abkühlung jetzt wärmt dennoch das Herz. Wird sicher ein langer, milder, goldengelbroter Herbst, mit gasflammenblauem Himmel über leuchtenden Bergen und kaltem Wein in den Gläsern.
Freitagfrüh, in einer schwülen U-Bahn-Station, rollt ein Mann im elektrischen Rollstuhl durch die Menge, Mitte 30 bis Anfang 40, südlicher, ja nahöstlicher Typ, stämmig, männlich-sympathisches Gesicht. Er trägt ein schickes Pololeiberl und ein Mädchen im Arm, ein süßes, vielleicht fünfjähriges Ding, lange braune Haare, buntes Leiberl. Sie knuddelt sich lachend an ihn, ihre Haare liegen auf seiner linken Schulter, er schmunzelt, und beide rollen so dahin. Er wird ihr Vater sein, so wirkt es halt. Und er hat keine Beine: Über dem Becken ist eine Decke, unterhalb nichts mehr. Die zwei sind in meine Lebensblase geplatzt und Sekunden später verschwunden. So wie im Lauf der Jahre Millionen Menschen, man registriert sie kurz, einige mehr, die meisten weniger, dann kippen sie ins Vergessen. Manche legen einem Steine aufs Herz, die bleiben dort oft lang liegen. Der Mann im Rollstuhl und das Mädchen hatten fröhliche Augen. Wenn ich fremde Augen anschau, denk ich mir oft, was dahinter für böse Bilder eingesperrt sind. Und was für Steine aufs Herz drücken. (wg)