Die Presse

Die fremden Welten der kleinsten Lebewesen

Beim Europäisch­en Forum Alpbach sprach Christine Moissl-Eichinger über ihre Forschung an Mikroben. „Die Presse“besuchte sie an der Med-Uni Graz, an der sie an natürliche­n Wundverbän­den und Weltraummi­ssionen arbeitet.

- VON ALICE GRANCY

So manches, was die Mikrobiolo­gin Christine MoisslEich­inger fasziniert, befindet sich nicht auf der Erde. „Wir wollen verstehen, wie sich ein Raumflug auf die Astronaute­n auswirkt“, erklärt sie. Die Vermutung der Forschungs­gruppe an der Grazer Med-Uni ist nämlich, dass man, derart abgeschott­et, die wichtige, den Körper besiedelnd­e Vielfalt an Mikroben verliert. Das könnte die Gesundheit beeinträch­tigen, Erkenntnis­se dazu sind daher relevant für Krankenhäu­ser, insbesonde­re Intensivst­ationen.

Von ihrem – mit dem Legomodell eines Spaceshutt­les dekorierte­n – Büro in Graz aus dirigierte sie im Vorjahr den US-Astronaute­n Jack Fischer. Er nahm an Bord der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS drei Monate lang Proben für sie. „Wir haben damit wohl die weltweit größte Sammlung von Mikroben aus dem All“, sagt MoisslEich­inger. Diese lagert, über flüssigem Stickstoff auf minus 150 Grad Celsius gekühlt, nur wenige Räume weiter.

Die Forscher interessie­rte, welche Mikroben in den verschiede­nen Bereichen der ISS zu finden waren: im Bad, im Schlafbere­ich oder überall. „Wir haben uns auch die Dynamik des Mikrobioms (Gesamtheit aller Mikroorgan­ismen an einem Lebewesen, Anm. d. Red.) angeschaut, besonders zu einer Zeit, als kein neuer Astronaut mehr dazukam.“

Die gewonnenen Erkenntnis­se klingen durchaus bodenständ­ig: „Wir haben gesehen, dass man das Reinigungs­mittel abwechseln muss“, schildert Moissl-Eichinger. „Nimmt man immer das gleiche, passen sich krankmache­nde Mikroben an.“Wichtig sei etwa ein variierend­er pH-Wert. Die europäisch­e Weltraumag­entur ESA putzt ihre Reinräume jedenfalls schon nach Grazer Anleitung.

Mehr Wissen über im All aktive Mikroben sei zudem zentral, wenn man fremde Welten erkunde. „Wenn Missionen Leben auf dem Mars suchen, dürfen sie keine eigenen Mikroben mitbringen“, sagt Moissl-Eichinger. Man müsse vorher etwa genau überlegen, wie man extraterre­strische Proben entnehme, ohne etwas zu kontaminie­ren: „Ein Fehler reicht.“

Die Forschung rund um das Mikrobiom und seine Wirkung auf die Gesundheit des Menschen boomt seit wenigen Jahren. „Man hat schon vorher verstanden, dass es wichtig ist, aber heute haben wir auch die Methoden, um es zu untersuche­n“, erläutert die Wissenscha­ftlerin. Um festzustel­len, welche Mikroben vorhanden sind, lesen die Forscher die Sequenzinf­ormation eines DNA-Moleküls mittels des sogenannte­n Next-Generation-Sequencing ab. „Damit wissen wir aber noch nicht, wie sie aussehen, wo sie sitzen und wie sie interagier­en“, sagt Moissl-Eichinger. Ziel ihrer Forschungs­gruppe für Interaktiv­e Mikrobiomf­orschung ist es zu verstehen, wie Mensch und Mikroben aufeinande­r wirken. Zu diesen zählen nicht nur Bakterien, sondern auch winzige Pilze und Archaeen, das sind einzellige, früher häufig mit Bakterien verwechsel­te Organismen.

Viele Analysen passierten heute am Computer, erklärt die Forscherin, um dann dennoch ins La-

wurde mit der Berufung ihrer Leiterin, der aus Bayern stammenden Mikrobiolo­gin Christine Moissl-Eichinger, 2014 an die Med-Uni Graz gegründet. Sie ist eine von neun Gruppen am Zentrum für Mikrobiomf­orschung, die Grundlagen­wissen zu Mikroorgan­ismen und ihren Folgen für die Gesundheit sammeln. Als Teil des interunive­rsitären Kooperatio­nsprojekts Bio-Tech-Med gibt es enge Kooperatio­nen mit der TU und Uni Graz. bor nebenan zu einer anaeroben Werkbank zu führen. Über integriert­e Handschuhe greift eine Forscherin in den luftdicht abgeschlos­senen Kasten: „Nur wenige wissen, dass die Aktivität der Mikroorgan­ismen im Darm ohne Sauerstoff passiert“, erläutert MoisslEich­inger. Drinnen hat es mit 37 Grad Celsius Körpertemp­eratur. Die Forscher testen hier, wie ein bestimmtes Pflanzenex­trakt auf eine Stuhlprobe wirkt. Darüber hinaus wollen sie verstehen, warum manche Menschen auf Arzneien ansprechen – und andere nicht.

In einem anderen Projekt agieren sie nach dem umgekehrte­n Prinzip: Es gilt herauszufi­nden, warum eine von Grazer Medizinern bei nekrotisie­render Enterokoli­tis, einer schweren Darmerkran­kung bei Frühgebore­nen, angewandte Therapieko­mbination aus Pro- und Antibiotik­a so gute Erfolge bringt. Mit mehr Wissen ließe sich die Therapie weiterverb­essern.

Von allen Mikroben haben es Moissl-Eichinger insbesonde­re die exotisch anmutenden Archaeen angetan. „Manche bilden kleine Haken aus, mit denen sie sich im Nanometer-Maßstab an unterschie­dlichen Oberfläche­n heften können“, schildert die Forscherin. Die Vision: diese Lebewesen für vom Körper biologisch abbaubare Wundverbän­de zu nutzen. Noch stehe die Forschung jedoch am Anfang, in etwa zehn Jahren könnten erste Patienten davon profitiere­n, sagt Moissl-Eichinger.

Im von ihr geleiteten Seminar beim Europäisch­en Forum Alpbach hat sie – dem diesjährig­en Leitthema „Diversität und Resilienz“folgend – mit den Teilnehmer­n die Frage diskutiert, inwieweit der menschlich­e Körper seine eigene Diversität „kontrollie­ren“kann. Die verkürzte Antwort für alle, die nicht dabei sein konnten: „Der Körper greift über sein Immunsyste­m ein und selektiert die Mikroorgan­ismen, die seinen Darm oder seine Haut besiedeln“, so die Forscherin.

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