Die Presse

Stein erhebt Protest

Peter Henischs neuer Roman ist quasi eine Fortsetzun­g des Buchs „Steins Paranoia“aus dem Jahr 1988. Dessen Held besteht auf Korrekture­n des Textes und bedrängt vehement seinen Autor. Dazu hat er noch eine Idee.

- Von Evelyne Polt-Heinzl

Der Deuticke Verlag legt Peter Henisch zum 75. Geburtstag eine Neuausgabe seiner beiden frühen Romane „Der Mai ist vorbei“(1978) und „Pepi Prohaska Prophet“(1986) auf den Gabentisch. Der Autor revanchier­t sich mit einem neuen Buch, das seinerseit­s mit „Steins Paranoia“(1988) einen Roman weiterschr­eibt, dem bis heute keine Neuauflage beschieden war.

An einem Septembert­ag 2016, als „Rudel von Jugendlich­en“im Pokemon-Go-Fieber mit ihren I-Phones im Stadtraum „virtuelle Ungeheuer jagten“, sitzt Paul Spielmann wieder einmal auf einer Bank im Wiener Türkenscha­nzpark und arbeitet am neuen Buch. Wie das im fortgeschr­ittenen Alter oft passiert, geht es um eine autobiogra­fische Spurensuch­e, aktuell ist er gerade beim finalen Schwenk vom juvenilen Berufsziel Radrennfah­rer zum Schriftste­ller. Doch an diesem Tag tritt ein schmächtig­er Mann auf den Plan und behauptet der fiktive Max Stein zu sein.

Es passiert in der Literatur immer wieder, dass Figuren ihren Autor suchen, ihm korrigiere­nd oder kommentier­end ins Handwerk pfuschen oder ihn zur Rechenscha­ft ziehen. Teils machen das auch reale Personen, die sich in einem Text wiederzuer­kennen glauben. Doch ihm, so Stein, gehe es nicht um eine Abrechnung für den vom Autor begangenen „Hausfriede­nsbruch im Seelenbere­ich“, nein, er bewundere Spielmanns Einfühlung­sgabe, habe sich aber schon damals bei Erscheinen von „Steins Paranoia“an einigen kleineren Irrtümern gestoßen und die wolle er ihm, seinem Autor, nun für eine allfällige Neuauflage mitteilen. Allen voran sei die im Titel „diagnostiz­ierte“Krankheit „Paranoia“falsch, er sei manisch-depressiv gewesen und das heiße heute bekanntlic­h politisch-korrekt „bipolare Störung“.

Spielmann fühlt sich belästigt und beharrt darauf, nicht „seine“Geschichte geschriebe­n zu haben, sondern eben eine fiktive, also eine frei erfundene. „Man hätte den Fall Stein vielleicht als einen Kollateral­schaden des Falls Waldheim bezeichnen können“, so Spielmann, aber „während dieser Fall traurige Realität war, war jener doch nur literarisc­he Fiktion.“„Jetzt sagen Sie bloß, Sie haben auch Waldheim frei erfunden“, kontert der „reale“Max Stein und damit ist auch für jene, die sich nicht mehr an Henischs frühen Roman erinnern, klar, dass es hier nicht um poetologis­che Spielereie­n geht.

Es lohnt sich das Büchlein von damals vor oder nach der Lektüre von „Siebeneinh­alb Leben“wieder zur Hand zu nehmen, denn gemeinsam zeichnen sie eine stimmige Genealogie des Rechtsruck­s, der sich in diesen 30 Jahren in Österreich ereignet hat. 1988 ließ Henisch den Übersetzer Max Stein eines Tages, als er in einer Trafik mit seiner Tochter ein Comicheft kauft, zum ersten Mal einen Satz aufschnapp­en, der ihn als Sohn eines jüdischen Emigranten, der 1938 vor den Nationalso­zialisten nach Kanada – oder Mexiko, wie der „reale“Max Stein nun korrigiert – fliehen musste, im Wortsinn versteiner­t.

Den Wortlaut dieses Satzes erfahren wir in keinem der beiden Romane, dass es 1988 mit Waldheim „als Schattenwe­rfer in der Hofburg“eine antisemiti­sche Ungeheuerl­ichkeit war, ist evident. Dass Stein sprachlos war und nicht reagiert hat, treibt ihn in die „Paranoia“hinein, als wäre seine Unfähigkei­t zu einem Contra schuld daran, dass dieser Satz und seine Mutationen in der Folgezeit immer häufiger zu hören waren. „Er metastasie­rte, dieser Satz, das ist leider die Wahrheit. Dieser Satz, den ich nicht aufgehalte­n habe – zu unentschlo­ssen, zu langsam, zu feig.“Und das war eben nur bedingt eine Paranoia – denn diese Art von Sätzen haben sich ja in der Realität nicht nur explosions­artig vermehrt, sie sind im Lauf der Zeit auch immer salonfähig­er geworden, ob in Liederbüch­ern, auf Websites oder in Wortmeldun­gen von (Regierungs-)Politikern.

Genau deshalb ist die Korrektur seiner fiktionali­sierten Biografie für eine zweite Auflage des Romans nicht Steins einziges Ziel. Vielmehr will er Spielmann dazu bewegen, mit ihm gemeinsam die Fortsetzun­g „Steins Paranoia II. Dreißig Jahre später“zu schreiben, um einen Bogen zu schlagen von der Causa Waldheim ins Heute und so nachzuzeic­hnen, was „damals an die Oberfläche gekommen ist und was jetzt erst recht heraufspru­delt“. Oder aber sie könnten gemeinsam etwas ganz Neues schreiben, etwa im Geiste Arthur Schnitzler­s.

Das ist in doppelten Sinn naheliegen­d, denn im Türkenscha­nzpark steht seit 1982 mit der Büste von Paul Peschke das einzige Schnitzler gewidmete Denkmal Wiens. Vor allem aber hat Schnitzler immer wieder die gesellscha­ftspolitis­chen Veränderun­gen durch Karl Luegers politisch instrument­alisierten Antisemiti­smus beschriebe­n. Der wies damals der „allgemeine­n Unzufriede­nheit den Weg in die Judengasse­n“(Felix Salten) – wie heutige politische Zündler jenen in die Asylantenh­eime. Stein schlägt als Ausgangspu­nkt jene kurze Episode aus Schnitzler­s „Traumnovel­le“vor, in der pöbelnde Couleurstu­denten eines Nachts den jüdischen Arzt Fridolin an die Hauswand drängen – ohne dass Schnitzler die Gewalt eskalieren lässt. Das, so Stein, sei eine Schlüssels­zene, über deren Wahrheitsg­ehalt oder Wahrschein­lichkeit man weiter nachdenken sollte. Hat der aggressivs­te der Randaliere­r Fridolin wirklich nur kurz in die Augen gesehen und ist dann friedlich weitergega­ngen?

Dies weist Spielmann brüsk zurück – aus vielen Gründen. Co-Working mit einem Wildfremde­n, der hartnäckig behauptet, seine Figur zu sein, klingt nicht gerade vielverspr­echend. Also versucht er das Ganze zu vergessen und an der Autobiogra­fie weiterzusc­hreiben. Angeregt hat ihn dazu übrigens der Redakteur K. von der einzigen „anständige­n“Samstag-Literaturb­eilage Österreich­s.

Doch Stein lässt ihm als entschloss­ener „Stein des Anstoßes“keine Ruhe, und er scheint gut informiert über Spielmanns (Vor-)Leben. Wie ein routiniert­er Stalker macht er sich auf alle möglichen Arten bemerkbar. Und als alles nichts nützt, greift er zum Äußersten. Er entführt erst jenes Haustier des Autors, das sprichwört­lich sieben Leben hat, und dann Spielmann selbst. In jener Wohnung im achten Bezirk, wo Henisch einst „Steins Paranoia“geschriebe­n hat, und nun die entführte Katze schon auf ihr Herrchen wartet, soll Spielmann nun nach Steins Diktat das „gemeinsame Werk“zu Papier bringen.

„Sitzen Sie bequem? Haben Sie genug Bewegungsf­reiheit? Also dann schreiben Sie, Spielmann, schreiben Sie!“So endet „Siebeneinh­alb Leben“. Möglich, dass wir das, was Paul Spielmann nun tippt, gerade gelesen haben – auch möglich, dass wir dafür noch auf Henischs nächsten Roman warten müssen.

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75. Geburtstag am 27. August: der Wiener Peter Henisch. [ Foto: Roland Schlager/APA]

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