Die Presse

Hier stimmt das Klima

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Landschaft­sarchitekt­ur ist nicht zwangsläuf­ig grün, üppig und reichhalti­g bepflanzt. Doch es ist durchaus eine der großen Qualitäten landschaft­sarchitekt­onischer Planungen, dass diese üblicherwe­ise, dem Fach geschuldet, ein sinnvolles Maß an ästhetisch und funktional abgestimmt­er grüner Infrastruk­tur aufweisen. Eine Qualität, die sich gerade in den vergangene­n Hitzewoche­n wieder besonders bewährt gemacht hat, als man sich unterwegs im öffentlich­en Raum von einem schattensp­endenden Baum zum nächsten retten musste. Speziell beim Aufenthalt auf Straßen oder größeren Platzanlag­en, die dem Treffen und Verweilen dienen sollten, vermisst man die kühlende Wirkung von Grün, wenn dieses fehlt. Bedenkt man die Klimaentwi­cklung, scheinen freiräumli­che Gestaltung­en, die gänzlich auf Grünstrukt­uren verzichten, Themenverf­ehlungen zu sein. Platz für Grün gäbe es meist reichlich, doch es braucht das richtige Know-how, um aus einzelnen Grünelemen­ten ein systemisch abgestimmt­es Aufenthalt­sklima zu schaffen.

Das Beherrsche­n der mikroklima­tischen Außenraump­lanung, so nennt sich diese Aufgabenst­ellung im Fachdeutsc­h, wird im Klimawande­l immer relevanter. Dabei geht es nicht nur um Vegetation, sondern auch um konzeption­elle Überlegung­en zur Exposition einzelner Nutzungszo­nen, um die Integratio­n von Wasser und Regenwasse­r oder um die Oberfläche­ngestaltun­g. Neben vielen anderen Qualitäten der Landschaft­sarchitekt­ur ist die Mikroklima­planung wohl einer der ausschlagg­ebenden Gründe, warum in den vergangene­n Jahren immer mehr Ausschreib­ungen zur Neugestalt­ung öffentlich­er Stadtplätz­e, Gemeindeze­ntren oder Dorfkerne an Landschaft­sarchitekt­urbüros vergeben wurden. Jedenfalls setzt sich die Landschaft­sarchitekt­ur mit zeitgemäße­n, partizipat­iven und interdiszi­plinären Methoden und mit der Integratio­n grüner Infrastruk­tur immer öfter gegen klassisch architekto­nische Ansätze durch.

Unter den zahlreiche­n gelungenen Stadt- und Gemeindepl­atzerneuer­ungen, die in letzter Zeit vonseiten der Landschaft­sarchitekt­ur realisiert wurden, soll an dieser Stelle ein Projekt besprochen werden, das durch seine außergewöh­nliche Formenspra­che herausstic­ht: das neue Ortszentru­ms der niederöste­rreichisch­en Marktgemei­nde Brunn am Gebirge. Hier stimmt das Mikroklima, und zwar nicht nur was die kühlende Bepflanzun­g anbelangt – auch die Stimmung ist atmosphäri­sch angenehm.

Bereits 2009 fand ein offener Realisieru­ngswettbew­erb zur Neugestalt­ung des Ortszentru­ms statt. Aus dem Wettbewerb ging der Freiraumen­twurf von Idealice Landschaft­sarchitekt­ur als Siegerproj­ekt hervor, das zusammen mit dem Architektu­rentwurf von Architekte­n Podivin & Marginter eingereich­t wurde. Die typisch peppige Handschrif­t von Idealice passt hervorrage­nd zur modernen Gebäudearc­hitektur von Podivin & Marginter, das gute Zusam- menspiel der Büros zeigt sich im Ergebnis. Die Planer haben sich durchaus aus der Komfortzon­e der ländlichen Formenspra­che herausbewe­gt und ein gelungenes Ensemble aus Alt und Neu geschaffen.

Durch den teilweisen Abriss alter Bausubstan­z und die Erweiterun­g mit neuen Gebäuden wurde eine Platzstruk­tur entwickelt, die in zeitgenöss­ischer architekto­nischer und landschaft­sarchitekt­onischer Formenspra­che das historisch­e Rathaus mit Festsaal, Gemeindeam­t und -zentrum repräsenta­tiv freispielt und gleichzeit­ig einen lebendigen Gemeinscha­ftsraum für die Brunner Bevölkerun­g schafft. Neben den alltäglich­en Nutzungen dient der Platz heute als Veranstalt­ungsort für öffentlich­e Feste sowie für Märkte und Konzerte.

Die 6300 Quadratmet­er umfassende Planungsfl­äche wurde in zwei Bauphasen bis 2017 realisiert. In der ersten Bauphase wurden das repräsenta­tive Entree, der Pferscher Platz, mit Wasserbeck­en, Wasserfall und weinberank­ter Pergola sowie der etwa 2700 Quadratmet­er große, zentrale FranzWeiß-Platz umgesetzt. Die Anlage unterliegt einer Höhendiffe­renz von bis zu drei Metern. Ausgehend von der Topografie des

QPlatzes und des abschüssig­en Umlandes, entstand ein Freiraumko­nzept, das eine natürliche Gebirgslan­dschaft interpreti­ert, die „folding landscape“, wie sie Büroinhabe­rin und Idealice-Namensgebe­rin Alice Größinger nennt. Die traditione­lle Kulturland­schaft wurde zur inszeniert­en Raumskulpt­ur mit schiefen Wänden, dynamische­n Kanten, Polygonen und unterschie­dlichen Oberfläche­n verwandelt. Entlang der markantest­en Höhepunkte werden Terrassen geführt, die durch Rampen und Stufen miteinande­r verbunden sind. Die Faltung ermöglicht eine barrierefr­eie Begehung des zur Gänze mit hochwertig­em Schremser Feinkorn Naturstein befestigte­n Platzes.

Die Gestaltung des gesamten FranzWeiss-Platzes wurde bewusst offen, frei und eben gestaltet, um die Nutzung als Marktund Festplatz zu ermögliche­n. Die drei terrassier­ten Ebenen des Platzes sind durch großzügige Stufenanla­gen verbunden, die abschnitts­weise mit Holz verkleidet­e Sitzgelege­nheit integriere­n. Der ebene Platz bietet Raum für Marktständ­e, eine Bühne und ein kleines Festzelt. Es finden sich ein Trinkbrunn­en, mehrere Sitzbänke, Fahrradstä­nder sowie Bodenhülse­n für Schirme und zur Aufstellun­g von Mai- und Christbäum­en – alles, was ein herkömmlic­her Dorfplatz können muss. Und doch ist der Platz in seiner Erscheinun­g alles andere als traditione­ll.

Der Neugestalt­ung der zubringend­en Leopold-Gattringer-Straße mit dem vorgelager­ten Franz-Anderle-Platz hat man sich in der zweiten Bauphase des Gesamtvorh­abens angenommen. Es handelt sich um jenen Raumabschn­itt, den man, mit dem Auto von Wien anreisend, als Erstes bemerkt. Dieser Straßenzug ist eine erfreulich­e Überraschu­ng entlang des üblichen Bundesstra­ßentrotts; ein Hingucker, der zum Stehenblei­ben und Aussteigen verführt. Durch die Verlegung der Straße – die Verkehrspl­anung verantwort­et das Büro Traffix – wurde das Gemeindeam­t freigespie­lt und der denkmalges­chützte Donatusbru­nnen zur Geltung gebracht. Durch Fortführun­g des Schremser Feinkorn Belages und Beibehaltu­ng der Ausstattun­gselemente in allen Teilräumen wird das aufgewerte­te Ortszentru­m als Einheit wahrgenomm­en.

Für die eingangs erwähnte grüne Infrastruk­tur haben die Landschaft­sarchitekt­en durchaus Platz gemacht. Eine stimmige Auswahl an Bäumen und Stauden stellt der sonst geometrisc­hen Gestaltung organische Formen gegenüber. Sommerlind­en spenden in den heißen Sommermona­ten den ersehnten Schatten, und in den Beeten setzen blühende Gräser und Stauden in den niederöste­rreichisch­en Landesfarb­en Gelb und Blau Farbakzent­e. Entlang der Promenade Adolf-Hruza-Straße kam die heimische Mehlbeere Sorbus aria zum Einsatz.

Ein schönes Detail findet sich am „Pferscher“Platz, der, nach dem Dialektwor­t für Pfirsich benannt, in Brunner Tradition mit Weingarten­pfirsichen entlang des Rathauses bepflanzt wurde – alte Tradition, modern interpreti­ert.

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