Die Presse

Paragrafen oder Pinsel?

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DQer junge Mann machte es deutlich: Entweder solle sein Freund Rechtsanwa­lt werden, schrieb er an den ein Jahr Älteren, „oder ernsthaft Maler – aber bleibe nicht ein unbestimmt­es Wesen in einer mit Farbe verschmier­ten Robe“. Das saß. Bald darauf schien eine Entscheidu­ng getroffen: Der Bankiersso­hn wollte Maler werden.

Vorerst aber gaben noch die Familien den Weg vor. Die eine übersiedel­te zurück nach Paris; der Sohn der anderen musste in Aix-en-Provence ein Jusstudium beginnen. Seinen Freund durfte der 19-jährige Student in Paris nicht besuchen, und das Malereistu­dium musste er sich ebenso abschminke­n. Daher blieb er daheim und widmete sich widerwilli­g Paragrafen und Gesetzbüch­ern. Aber: Er zeichnete weiter. Der Brief des Freundes hatte ihn tief getroffen.

Die Jahre zogen ins Land, die beiden Freunde tüftelten an ihren Karrieren. Der früher so arme Halbwaise veröffentl­ichte seine ersten Bücher, verdiente damit Geld und unterstütz­te den Jugendfreu­nd, der im Freien zu malen begann. Sie pflegten den Kontakt, doch die einst so enge Verbindung hatte an Kraft verloren. „Ich fühlte mich nicht mehr wohl bei ihm“, bekannte der Maler, „mit all den Teppichen auf dem Boden, den Hausangest­ellten und ihm, der nun an einem geschnitzt­en Pult arbeitete. Er war ein richtiger kleiner Spießer geworden.“

1886 folgte die Veröffentl­ichung des Romans „L’oeuvre“. Im Künstler Claude Lantier meinte sich der Maler wiederzuer­kennen. Die Beschreibu­ng der Figur fiel fatal aus: „Dieser große Maler, der zu nichts imstande war und trotz seines Hochmuts nicht fähig, eine einzige Gestalt hinzukrieg­en.“Der Dichter beteuerte, für Lantier mehrere Modelle verwendet zu haben, doch die Freundscha­ft war dahin.

Ein Missverstä­ndnis und seine Folgen: In seinen Büchern kultiviert­e der Autor einen strengen Realismus, und diesen forderte er auch von seinem Freund. Aber der hatte einen anderen Weg gewählt. Als der Schriftste­ller 1902 in Paris starb, war der Maler wieder in Aix, wo er meistens im Freien arbeitete. Ein Leben ohne die Berge im Blick war für ihn undenkbar, und so lebte er bis zu seinem Ende auch dort.

Wer traf wen? Welche Affäre trieb den Schriftste­ller ins Exil? Welche Bilder machten den Maler berühmt? Welcher zeitgenöss­ische Österreich­er befasste sich mit dem Maler und seiner Heimat?

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