Die Presse

Mit Wanderschu­hen auf dem Laufsteg

Tirol. Von der Stube des Almliterat­en, durch ein Meer von Almrosen bis hin zum Panoramabl­ick auf dem 1925 Meter hohen Lodron-Gipfel: Unterwegs auf dem 106 Kilometer langen Weitwander­weg in den Kitzbühele­r Alpen.

- VON JULIA NEUHAUSER

Die Zeit scheint hier schon vor Längerem stehen geblieben zu sein: Beim Betreten der kleinen, aus Stein und Holz gebauten Almhütte fällt der Blick auf die große Feuerstell­e. Darüber hängen Schnitzere­ien, Speck und ein großer, schwarzer Kessel. „Eineinholb Stund muas i da jedn Tog rührn“, erzählt Sepp, der mit seinem karierten Holzfäller­hemd und dem langen weißen Bart selbst etwas aus der Zeit gefallen wirkt.

Das Ergebnis von Sepps Arbeit lässt sich hinter der Holztüre gegenüber der Feuerstell­e sehen: In der dunklen, kühlen Kammer lagert der reifende Käse. Dutzende Laibe – von noch nahezu Weiß bis Dunkelgelb – liegen auf fünf Holzbrette­rn und sind der Stolz des Senners. Den 28. Sommer verbringt der Tiroler bereits mit seinen zehn Milchkühen, 16 Jungrinder­n, sechs Ziegen und einer Katze auf der Unteren Lärchenber­galm.

Doch Sepp Kahn, der von den Gästen nur beim Vornamen genannt wird, hat sich nicht nur dadurch einen Namen gemacht. Sonder in den eineinhalb Stunden, in denen er täglich zum „Kasn“beim Kessel steht, lässt er auch die Gedanken „afoch schweifn“. Am Abend, wenn er in die kleine Stube nebenan geht, bringt er sie zu Papier. Es werden Mundartged­ichte, Kurzgeschi­chten und sogar ganze Bücher daraus. Eine Kostprobe davon gibt es bei einem Glas Milch und einem Käsebrot zu hören. Da beginnt der „Almliterat“über höchst Aktuelles, wie die Hektik des Alltags und die Kostbarkei­t von Zeit, zu philosophi­eren.

Damit gibt er den Wanderern, die hier vorbeikomm­en, gleich etwas zum Nachdenken mit. Sepps Alm liegt zwar auf 1540 Höhenmeter­n, befindet sich aber direkt am Laufsteg. Der Weitwander­weg, der hier vorbeiführ­t, wird nämlich KAT-Walk (angelehnt an den englischen Catwalk) genannt. Wobei das KAT hier nicht für Laufsteg, sondern für „Kitzbühele­r Alpen Trail“steht. Seit fünf Jahren können Wanderer hier entlang von gut markierten Wegen durch die Kitzbühele­r Alpen spazieren.

In sechs Tagesetapp­en, die technisch nicht übermäßig anspruchsv­oll sind, für die es aber schon eine gewisse körperlich­e Ausdauer braucht, ist die Tour gegliedert. Insgesamt werden 106 Kilometer und 6350 Höhenmeter auf dem Weg von Hopfgarten über die Kelchsau, das Windautal nach Aschau und weiter nach Kitzbühel und St. Johann in Tirol bis zum Ziel nach St. Ulrich am Pillersee zurückgele­gt (siehe Grafik). Man kann aber auch die fünftägige Kompaktvar­iante wählen.

Jagdhof und Prälatenka­mmerl

An Sepps Alm kommt man auf der zweiten von sechs Etappen vorbei. Sie startet in der Kelchsau. Nach einer Nacht beim Fuchswirt. Es ist das einzige Gasthaus und damit auch die einzige Übernachtu­ngsmöglich­keit in dem abgeschied­enen Ort. Der Landgastho­f mit seinem dunklen Holzbalkon, seinem Glockentur­m am Dach und den roten Blumen wirkt auf den ersten Blick urig und tirolerisc­h.

Die Hoteliersf­amilie MendezSchw­ab bringt aber auch internatio­nales Flair ins Tal. Es kann schon vorkommen, dass man an der Hotelrezep­tion in eine kurze spanische Unterhaltu­ng verwickelt wird, und dass die österreich­ische Hausmannsk­ost, die am Abend in der Stube serviert wird, nicht ganz wie gewohnt schmeckt.

Dafür erfüllen die Zimmer – von der kaiserlich­en Jagdhofsui­te bis zum Prälatenka­mmerl – jedes Heimatfilm­kriterium. Niedrige Türen, schwere Holztruhen, robuste Holzbetten und dickes Gemäuer so weit das Auge reicht. In diesen Zimmern würde, wer ländlichen Charme mag, gern länger bleiben. Doch es geht weiter. Die nächste Etappe der Weitwander­ung wartet.

Die Rucksäcke werden gepackt. Über die Schulter muss allerdings nur der kleinere der beiden, in dem gerade einmal die Tagesausrü­stung Platz hat, geworfen werden. Der große, schwere darf beim Fuchswirt stehen bleiben. Denn das Gepäck wird für Gäste, die das KATWalk-Paket gebucht haben, automatisc­h weitertran­sportiert. Es wird am Abend schon im nächsten Ort, im Gasthaus Steinberg in der Windau, bereitsteh­en.

Man selbst hat davor noch 15,5 Kilometer zurückzule­gen. Es ist ein sechsstünd­iges Wandererle­bnis, das zwar auf der Asphaltstr­aße beginnt, aber schnell hinter drei Almengebäu­de in den Wald führt. Es geht über Stock, Stein und Wurzeln. Später über Wiesen, Forstwege und Weiden. Man beginnt, mit jedem Höhenmeter ein bisschen mehr von der Landschaft, der umliegende­n Bergwelt, zu sehen. Bald kündigen die Kühe und Schweine, die am Wegrand stehen, die nächste Hütte an. Auf der Unteren Lodronalm, die auf 1486 Metern liegt, darf gerastet werden. Auch eine kleine Mahlzeit – vor allem die gschmackig­e Kaspresskö­delsuppe – ist zu empfehlen.

Ein Meer von Almrosen

Gestärkt macht man sich danach zum Gipfel auf. Es ist nicht mehr weit. Das große Gipfelkreu­z am Lodron ist schon aus der Ferne zu sehen. Erst wenn man auf 1925 Metern angekommen ist und auf der Holzbank Platz nimmt, wird man mit einem 360-Grad-Blick belohnt. Langsam schweift der Blick von den mit Schnee bedeckten Hohen Tauern über das Rofangebir­ge, die Guffertspi­tze, das Mangfall- und Sonnwendge­birge, die Hohe Salve, den Wilder Kaiser bis hin zum markanten Großen Rettenstei­n. Nicht ohne Grund wird der Lodron als einer der besten Aussichtsb­erge der Kitzbühele­r Alpen bezeichnet. Würde der Wind nicht über den Gipfel brausen, fiele es schwer, hier wegzugehen. Doch immerhin geht es nun bergab – durch eine saftgrüne, hügelige Landschaft, die immer wieder von einem Meer an Almrosen bedeckt ist. Man überquert kleine, glasklare Bäche und spaziert immer den rotweiß-rot bemalten Steinen nach. Bis man vor Sepps Hütte steht.

Mit dem Nachhall seiner Worte spaziert man weiter, denkt über das Leben des Senners in Abgeschied­enheit und Ruhe nach und ertappt sich kurz dabei, sich selbst gedanklich beim „Kasn“über dem Kessel und in der Stube sitzend zu sehen.

Dann taucht man in einen feuchten Wald ein. Farne bedecken den Boden, Moos bedeckt die Bäume. Die Natur hier am Weitwander­weg ist abwechslun­gsreich. Landschaft und Ausblick verändern sich. Man legt ja auch lange Strecken zurück. Das Gefühl, von Ort zu Ort zu marschiere­n, ist besonders motivieren­d. Es erfüllt mit mehr Stolz, als die üblichen Rundwander­wege zu absolviere­n.

In den Füßen spürt man das dennoch irgendwann. So ist man froh, als man nach sechs Gehstunden die Terrasse des Gasthauses Steinberg, auf dem ein Sommerspri­tzer zur Erfrischun­g getrunken wird, erreicht. Dort darf man sich auf das Abendessen freuen. Immerhin befindet man sich hier nun in einem der 23 Kochartbet­riebe, die mit heimischen Bauern und Produzente­n zusammenar­beiten und sich die Verarbeitu­ng vorwiegend regionaler und saisonaler Produkte auf die Kochschürz­e geschriebe­n haben.

Kein Organisati­onsaufwand

Am nächsten Morgen steht die Etappe von Windau nach Aschau vor der Tür. So sieht es das kleine KAT-Walk-Büchlein vor. In diesem finden sich alle notwendige­n Urlaubsinf­ormationen. Auf dem gesamten Weitwander­weg braucht man – von der Hotelbuchu­ng über den Gepäcktran­sport und Lunchpaket­e bis hin zu Wanderrout­en – nichts mehr selbst zu organisier­en. Das hat man mit der Buchung des Pakets schon von zu Hause aus erledigt. Der Organisati­onsaufwand entfällt. Das Naturerleb­nis bleibt. Denn wandern muss beziehungs­weise darf man noch selbst. Dafür wird man belohnt – wer den Laufsteg mit Wanderschu­hen beschreite­t, hat sich neben einer Milch und anregenden Gedanken in Sepps Alm auch eine Urkunde verdient.

 ?? [ Kitzbühele­r Alpen Marketing/Daniel Gollner und Christina Jöchtl, Julia Neuhauser] ?? Eindrücke von der Weitwander­ung: Ein wunderschö­ner Blick vom Lodron in die Weite, eine gemütliche Bank zum Verweilen und ein Besuch beim Senner Sepp Kahn.
[ Kitzbühele­r Alpen Marketing/Daniel Gollner und Christina Jöchtl, Julia Neuhauser] Eindrücke von der Weitwander­ung: Ein wunderschö­ner Blick vom Lodron in die Weite, eine gemütliche Bank zum Verweilen und ein Besuch beim Senner Sepp Kahn.
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