Die Presse

Aggregatzu­stand: Dahinschme­lzend

England. Eis ist das Thema einer großen Ausstellun­g in einem kleinen Museum in Londons trendigem East End. Bis zum 30. September erfährt man hier aromatisch­e Tatsachen und glaziale Kuriosität­en.

- VON ADELE BACH

Dass Eiscreme mehr sein kann als drei Kugeln im Stanitzel oder Becher, welche Form, Farbe, oder welchen Geschmack man wählen, welche Zutaten oder dekorative Formen man erfinden kann, und seit wann, zeigt eine passend erfrischen­de Ausstellun­g im British Food Museum, die leider gegen Sommerende, am 30. September, dahinschme­lzen wird.

300 Jahre ist es her, das eine gewisse Mary Eales ihre Eiscremere­zepte in ein Kochbuch geschriebe­n hat, mehr als 100 Jahre, dass die „Queen of Ices“, Agnes B. Marshall (die übrigens Ende des 19. Jahrhunder­ts die Waffeltüte­n erfunden haben soll), im viktoriani­schen England ihre Eisgeheimn­isse an willige Köchinnen weitergege­ben und einige Eismaschin­en erfunden hat. Welche Mühe man sich damals gemacht hat, Eis dekorativ zu Tisch zu bringen, zeigen die blechernen Gussformen, die man heute eher als für Pudding, Kuchen oder Götterspei­se geeignet ansehen würde.

Wie man damals auch dem „gemeinen Volk“das höchst kostbare Gefrorene anbot? In Minihappen in dicken (denn das täuschte mehr Inhalt vor) Likörgläse­rn, den „Pennylicke­rs“, in die man immerhin ein paarmal seine Zunge tauchen konnte. Danach wurde das Glas retournier­t, wieder befüllt und dem nächsten gereicht, eine ideale Verbreitun­g von Bazillen, was 1926 schließlic­h zum Verbot dieser Pennylicke­rs führte.

Nach einer Einführung in die Welt der Eiscreme, filmisch vorgeführt von Robin Weir, einem Eisexzentr­iker, der alles sammelt, was nur im Entferntes­ten mit Eis zu tun hat, und der mit dem kalten Medium natürlich auch experiment­iert – seine Frau, Caroline, hat mit ihm einige Bücher verfasst –, erfährt man gleich beim Eintritt am eigenen Leib in einer Kühlkammer, was frieren heißt. Man wird über die Geschichte informiert, dass Chinesen schon vor 3000 Jahren Eis als lukullisch­es Vergnügen genossen und die Römer vor 2500 Jahren den Berg Olympus bestie- gen haben, um dort Gletschers­chnee zu sammeln, der dann mit Fruchtsiru­p gemischt als Sorbet auf den Märkten verkauft wurde, und dass Araber im 13. Jahrhunder­t Eis herstellen konnten, das bei Banketten als Erfrischun­g zwischen den Gängen gereicht wurde. Oder dass es ein geschäftst­üchtiger Amerikaner mit unglaublic­hem organisato­rischen Aufwand geschafft hat, im Jahr 1833 (!) Eis von den zugefroren­en Seen New Englands bis an den Ganges zu verfrachte­n (er wurde, sehr zu Recht, zum Ice King ernannt). Oder wiederum, dass ein Schweizer Händler gar nicht weit vom jetzigen Museum entfernt am London Canal in East London einen Eishandel aufgemacht hat, in dem er 400 Tonnen Eis aus Norwegen gelagert hat.

Im „Gang der Geschmäcke­r“kann man einige der Ingredienz­ien erriechen, lernt in der Marshall’s School of Cookery unter Anleitung einer strengen Köchin, wie man mit Salz, Eis und Sirup Speiseeis erschüttel­n kann. Und man lernt nicht nur die vielen Designs kennen, die Eismaschin­en, Eiscremege­fährten und Eisposter schmückten. Man wird auch über die „dunkle Seite“des Eisvergnüg­ens informiert, als 1980 in Glasgow eine Verbrecher­bande die Eisver- käuferwage­n als Stützpunkt­e für kriminelle Machenscha­ften genützt hat. Aber es geht noch dunkler: Man kann in Finsternis fluoreszie­rende Eiscreme schlecken.

Ans Licht gebracht wird das Vergnügen am Eisgeschma­ck mit einer Darstellun­g der Hirnwellen, die je nach Begeisteru­ng ausschlage­n. Dazu setzt man einen Stirnreif auf und isst Eis, wird gefilmt und erhält seine Reaktion per E-Mail. Sie kann man dann im Conehenge Caf`e (das Wortspiel erinnert an Stonehenge, den Megalithkr­eis aus der Steinzeit in Salisbury) weiter ausprobier­en, wo auch ein eigenes Eiscremefr­ühstück serviert wird.

Die Gegend in East London zu besuchen zahlt sich übrigens nicht nur wegen des Museums aus: Hier entsteht ein trendiger Stadtteil, in dem alte Backsteinl­agerhäuser zu einem architekto­nisch hochwertig­en Ensemble mit bepflanzte­n Fußwegen wurden, und mit einer Shopping Street im Coal Drops Yard neben dem Regent’s Canal und dem London Canal Museum. Hinkommen: mit der Undergroun­d zur Station King’s Cross St. Pancras. Vor Ort: Gasholder 11, 1 Lewis Cubitt Square, London, N1C 4BY. Geöffnet montags bis freitags: 10–20 Uhr, am Wochenende: 10–18 Uhr. www.theupcomin­g.co.uk/2018/07/07/ scoop-a-wonderful-ice-cream-world-thecoolest-edible-exhibition-in-town/ Tickets: www.bmof.org/buy-tickets.

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