Stürmische Musiktheaterzauberei
Kammeroper. Das Junge Ensemble von der Wien präsentiert unter der Führung von Jean Renshaw eine Shakespeare-Collage zu Musik von Purcell voll Poesie, aber auch Ironie.
Träume, Schäume, Visionen, Fantasie – Zauber überall, Theater schlechthin. Zeiten und Moden verschwimmen, Ebenen überlagern sich, die Wirklichkeit ist längst verschwunden. Auf den Brettern, die angeblich die Welt bedeuten, entsteht im besten Fall ein neues Programm, das Anleihen bei Giganten wie Shakespeare und Purcell nimmt, raffiniert pikante Gewürze beimengt und es in eine neue Form gießt. Noch zur Semi-Opera gehörend, entwickelt sich eine Art barockes Musical in kleinerer Besetzung, das unter dem Titel „Zauberinsel“als Spielwiese für den Sängernachwuchs dient.
Das Theater an der Wien hat Jean Renshaw mit der Erstellung eines Opernpasticcios zum Thema „Zauber“beauftragt. Sie erstellte mit Dieter Senft eine Textfassung, die sich auf „The Tempest“, Shakespeares letztes Stück, und auf Aufführungsvarianten und Adaptionen von Semi-Operas des 17. Jahrhunderts stützt. Dazu Arien, Duette und Intermezzi aus diversen Purcell-Stücken sowie deftige Trinklieder – fertig ist ein kurzweiliger Musiktheaterabend aus dem Stoff, aus dem die Träume sind.
Zaubertheater auch auf der Bühne, zeitlos, als hätte Raimund mitgemischt. Eine farbenprächtige Tapete – ein exotischer Fantasiegarten – verpackt das Bühnenportal, dahinter ein Bücherregal, das vorerst Erbe und Belastung des Zauberers Prospero repräsentiert: Die Folianten sind sein Kapital (darum braucht er auch keinen Zauberstab mehr), vielleicht ist er Wissenschaftler, vom eigenen Bruder aus Mailand von Macht und Hof vertrieben. Im Verlauf seiner Läuterung löst sich die Bibliothek als Seelenraum allmählich auf. Wenn Prospero schließlich von seinem Wahn erlöst ist, wird von der Insel aus der Horizont sichtbar: sanftes Blau. „Cielo e mar“. Die unauffällig doch unmiss- verständlich interpretierende Ausstattung Christof Kremers schafft zudem mit Stahlrohren und Leitern geschickt Platz für rasche Szenenwechsel. Sie könnte auch zu Mozarts „Entführung“passen.
Mit präzis ordnender Hand, ohne den intellektuellen Zeigefinger zu heben, führt Renshaw das Ensemble durch die Handlung, die sich mitunter von Shakespeare entfernt. Die veränderten Charaktere verlieren durch Ergänzungen, Streichungen oder ironische Brechungen (das Liebespaar verzichtete nicht auf die Zigarette danach) weder Kontur noch Glaubwürdigkeit.
Für den musikalischen Herzschlag ist der junge griechische Dirigent Makellos Chryssikos mit dem Bach Consort Wien verantwortlich. Ein flotter Purcell-Sound treibt die Handlung voran und muss sich nicht mit Da-capo-Arien aufhalten – problemlos verständlich und theaterpraktisch für Stimmungen, dramatische Auseinandersetzungen und eine Art von Sphärenmusik. Das durchwegs ausgezeichnete Junge Ensemble des Theater an der Wien benötigt nur zwei Gäste, einen italienischen Countertenor und einen akrobatischen Tänzer für das Urvieh Caliban. Als Zentralgestalt Prospero brilliert der isländische Bariton Kristjan´ Johannes-´ son, er macht dessen Umkehr deutlich – vom Ruf nach Strafe zur Gnade.
Shakespeare sei unterstellt, dass er sich selbst auch als Prospero sah. In seiner finalen Resignation dürfen daher selbstgefällige Worte über das Theater nicht fehlen. Wer den „Sturm“besser begreifen möchte, besuche die grandiose Inszenierung im Akademietheater mit nur drei Schauspielern . . .