Die Presse

„Marokko ist gegen alle Zentren“

Marokkos Außenminis­ter fordert echte Partnersch­aft mit der EU und lehnt Flüchtling­s- und Rückkehrze­ntren ab.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER [ AFP ]

Bourita, der Außenminis­ter Marokkos, lehnt Flüchtling­sund Rückkehrze­ntren ab.

Die Presse: Von Marokko sind dieses Jahr weit mehr Menschen nach Europa gelangt als von Libyen und der Türkei aus. Machen Sie es den Migranten zu leicht? Nasser Bourita: Nein. Die Schmuggler­netzwerke haben sich umgestellt. Zuerst gab es die östliche Route über die Türkei nach Griechenla­nd. Als man diese dicht machte, passten sich die illegalen Netzwerke an und nahmen die zentrale Route über Libyen. Und jetzt, mit der neuen italienisc­hen Regierung, die keine Flüchtling­e mehr ins Land lässt, stellen sich die Schleuser erneut um. Nun ist es Marokko, das für die Kollateral­schäden einer fremden Entscheidu­ng aufkommen muss. Und dann haben wir noch diese Rettungssc­hiffe.

Meinen Sie Schiffe wie die Aquarius? Ja. Vor Kurzem wurde ein Migrant erwischt, der auf einer aufblasbar­en Giraffe für Kinder aufs Meer hinaus wollte. Die Migranten benutzen keine profession­ellen Boote mehr, um nach Spanien zu kommen. Sie wissen, sie müssen nicht weit hinausfahr­en, um gerettet zu werden.

Marokko hat also nicht die Kontrollen an der Küste gelockert, um Druck auf die EU auszuüben und ein strittiges Fischereia­bkommen zu ratifizier­en? Ich habe das nicht von offizielle­r Seite gehört. Wir bekommen starke Unterstütz­ung von der EUKommissi­on, von Spanien und Deutschlan­d. Eine Partnersch­aft mit der EU hat mit Geld nichts zu tun. Bei dem Fischereia­bkommen geht es um 50 Millionen Euro. Was ist das schon?

Warum haben die Behörden kürzlich Hunderte von Migranten von der Küste tief ins Landesinne­re von Marokko deportiert? Wir haben es mit einer inhumanen Situation zu tun. Menschen leben in Wäldern. Das sind rechtsfrei­e Räume, in denen keine Gesetze mehr gelten. Schmuggler missbrauch­en und vergewalti­gen Frauen und Kinder. Es gab diese Angriffe auf die von Spanien besetzte Stadt Sebta (Ceuta, Anm.) mit Messern und Flaschen voller Blut, von dem gesagt wurde, es sei kontaminie­rt. Marokko kann das nicht akzeptiere­n.

Ist Marokko der Polizist Europas? Nein, wir machen das nur für uns. Marokko hat von Anfang an gesagt, Migration ist eine geteilte Verantwort­ung. Im Rahmen unserer Einwanderu­ngspolitik haben wir 50.000 Migranten ein Bleiberech­t gegeben, die bei uns arbeiten kön- nen, Zugang zu Schulen und Krankenhäu­sern bekommen. Wenn ich dazu im Vergleich die Diskussion­en in der EU höre: Nehmt ihr 100 oder 200? Nein, ich nehme nur 30.

Marokko sollte von Deutschlan­d als sicheres Herkunftsl­and eingestuft werden, was jedoch am Ende im Bundesrat scheiterte. Ich mag das „am Ende“. Denn für uns war Marokko von Beginn an ein sicheres Land. Wir waren überrascht über die Entscheidu­ng.

Wird es nun trotzdem die Aufnahmehe­ime für Jugendlich­e im Königreich geben, die sich Deutschlan­d wünscht? Unsere Position ist klar, was Jugendlich­e betrifft: nein, nein, nein! Es sollen marokkanis­che Jugendlich­e zurückgebr­acht werden. Es geht nicht um die von der EU geforderte­n Flüchtling­szentren in Nordafrika. Ich glaube, wir müssen klarstelle­n: Marokko ist generell gegen alle Arten von Zentren. Das ist Bestandtei­l unserer Migrations­politik und eine nationale souveräne Position.

Aber was ist so schlecht an Zentren für Minderjähr­ige? Ganz einfach, sie sind kontraprod­uktiv. Für jeden, der Zentren zu bauen beginnt, sind sie dann einzig und allein sein Problem. Es kann natürlich Geld gezahlt werden, aber das ändert grundsätzl­ich nichts. Jeder soll seinen Teil der Verantwort­ung übernehmen. Es ist zu einfach zu sagen, das ist eine marokkanis­che Angelegenh­eit.

Aber es ist auch nicht allein eine europäisch­e Angelegenh­eit. Der überwiegen­de Teil der afrikanisc­hen Migration, nämlich 84 Prozent, findet innerhalb Afrikas statt. Von den Migranten in Europa stammen nur zwölf Prozent aus Afrika. 60 Prozent ihres Einkommens bleiben in den lokalen Ökonomien. Diese Zahlen sollten bedacht werden, dann ergibt sich eine andere Perspektiv­e.

Sie glauben, das Problem der Migration wird in Europa übertriebe­n? Ja, sicher. Migration umfasst drei Prozent der Weltbevölk­erung, wovon 80 Prozent legal sind. Wir sprechen also nur von 20 Prozent aus diesen drei Prozent. Es gibt einen politische­n Kontext, der das Problem größer macht, als es in Wirklichke­it ist.

Was erwarten Sie von der Zusammenar­beit mit Europa? Wir wollen Klarheit. Sind wir echte Partner oder nur ein Nachbar, vor dem man Angst hat?

Europa ist nicht klar? Nein, nicht richtig. Europa hat ein Update seiner Vision von Afrika nötig. Man kann Marokko nicht um Mithilfe bei Migration und im Kampf gegen Terrorismu­s bitten und das Land wie ein Objekt behandeln. Europa sollte verlässlic­he Partnersch­aften mit seinen Nachbarn aufbauen.

Wie sollten diese aussehen? Eine Win-win-Partnersch­aft ohne Nord-Süd-Gefälle. Marokko will eine vertrauens­würdige, gleichbere­chtigte Partnersch­aft. Es kann nicht wie bei einer Speisekart­e funktionie­ren, von der man nimmt, worauf man gerade Appetit hat – wenn ich dich brauche, gut, wenn nicht, fahr zur Hölle.

ZUR PERSON

Nasser Bourita (geboren am 27. Mai 1969 in Taounate) ist seit einem Jahr Außenminis­ter von Marokko. Von 2011 bis 2016 war der parteilose Diplomat Generalsek­retär des Ministeriu­ms, danach Staatssekr­etär. Der 49-Jährige hat sich mittlerwei­le einen Namen dafür gemacht, sich kaum ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

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[ Reuters ] Immer wieder versuchen Migranten von Marokko aus, in die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta vorzudring­en.
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