„Marokko ist gegen alle Zentren“
Marokkos Außenminister fordert echte Partnerschaft mit der EU und lehnt Flüchtlings- und Rückkehrzentren ab.
Bourita, der Außenminister Marokkos, lehnt Flüchtlingsund Rückkehrzentren ab.
Die Presse: Von Marokko sind dieses Jahr weit mehr Menschen nach Europa gelangt als von Libyen und der Türkei aus. Machen Sie es den Migranten zu leicht? Nasser Bourita: Nein. Die Schmugglernetzwerke haben sich umgestellt. Zuerst gab es die östliche Route über die Türkei nach Griechenland. Als man diese dicht machte, passten sich die illegalen Netzwerke an und nahmen die zentrale Route über Libyen. Und jetzt, mit der neuen italienischen Regierung, die keine Flüchtlinge mehr ins Land lässt, stellen sich die Schleuser erneut um. Nun ist es Marokko, das für die Kollateralschäden einer fremden Entscheidung aufkommen muss. Und dann haben wir noch diese Rettungsschiffe.
Meinen Sie Schiffe wie die Aquarius? Ja. Vor Kurzem wurde ein Migrant erwischt, der auf einer aufblasbaren Giraffe für Kinder aufs Meer hinaus wollte. Die Migranten benutzen keine professionellen Boote mehr, um nach Spanien zu kommen. Sie wissen, sie müssen nicht weit hinausfahren, um gerettet zu werden.
Marokko hat also nicht die Kontrollen an der Küste gelockert, um Druck auf die EU auszuüben und ein strittiges Fischereiabkommen zu ratifizieren? Ich habe das nicht von offizieller Seite gehört. Wir bekommen starke Unterstützung von der EUKommission, von Spanien und Deutschland. Eine Partnerschaft mit der EU hat mit Geld nichts zu tun. Bei dem Fischereiabkommen geht es um 50 Millionen Euro. Was ist das schon?
Warum haben die Behörden kürzlich Hunderte von Migranten von der Küste tief ins Landesinnere von Marokko deportiert? Wir haben es mit einer inhumanen Situation zu tun. Menschen leben in Wäldern. Das sind rechtsfreie Räume, in denen keine Gesetze mehr gelten. Schmuggler missbrauchen und vergewaltigen Frauen und Kinder. Es gab diese Angriffe auf die von Spanien besetzte Stadt Sebta (Ceuta, Anm.) mit Messern und Flaschen voller Blut, von dem gesagt wurde, es sei kontaminiert. Marokko kann das nicht akzeptieren.
Ist Marokko der Polizist Europas? Nein, wir machen das nur für uns. Marokko hat von Anfang an gesagt, Migration ist eine geteilte Verantwortung. Im Rahmen unserer Einwanderungspolitik haben wir 50.000 Migranten ein Bleiberecht gegeben, die bei uns arbeiten kön- nen, Zugang zu Schulen und Krankenhäusern bekommen. Wenn ich dazu im Vergleich die Diskussionen in der EU höre: Nehmt ihr 100 oder 200? Nein, ich nehme nur 30.
Marokko sollte von Deutschland als sicheres Herkunftsland eingestuft werden, was jedoch am Ende im Bundesrat scheiterte. Ich mag das „am Ende“. Denn für uns war Marokko von Beginn an ein sicheres Land. Wir waren überrascht über die Entscheidung.
Wird es nun trotzdem die Aufnahmeheime für Jugendliche im Königreich geben, die sich Deutschland wünscht? Unsere Position ist klar, was Jugendliche betrifft: nein, nein, nein! Es sollen marokkanische Jugendliche zurückgebracht werden. Es geht nicht um die von der EU geforderten Flüchtlingszentren in Nordafrika. Ich glaube, wir müssen klarstellen: Marokko ist generell gegen alle Arten von Zentren. Das ist Bestandteil unserer Migrationspolitik und eine nationale souveräne Position.
Aber was ist so schlecht an Zentren für Minderjährige? Ganz einfach, sie sind kontraproduktiv. Für jeden, der Zentren zu bauen beginnt, sind sie dann einzig und allein sein Problem. Es kann natürlich Geld gezahlt werden, aber das ändert grundsätzlich nichts. Jeder soll seinen Teil der Verantwortung übernehmen. Es ist zu einfach zu sagen, das ist eine marokkanische Angelegenheit.
Aber es ist auch nicht allein eine europäische Angelegenheit. Der überwiegende Teil der afrikanischen Migration, nämlich 84 Prozent, findet innerhalb Afrikas statt. Von den Migranten in Europa stammen nur zwölf Prozent aus Afrika. 60 Prozent ihres Einkommens bleiben in den lokalen Ökonomien. Diese Zahlen sollten bedacht werden, dann ergibt sich eine andere Perspektive.
Sie glauben, das Problem der Migration wird in Europa übertrieben? Ja, sicher. Migration umfasst drei Prozent der Weltbevölkerung, wovon 80 Prozent legal sind. Wir sprechen also nur von 20 Prozent aus diesen drei Prozent. Es gibt einen politischen Kontext, der das Problem größer macht, als es in Wirklichkeit ist.
Was erwarten Sie von der Zusammenarbeit mit Europa? Wir wollen Klarheit. Sind wir echte Partner oder nur ein Nachbar, vor dem man Angst hat?
Europa ist nicht klar? Nein, nicht richtig. Europa hat ein Update seiner Vision von Afrika nötig. Man kann Marokko nicht um Mithilfe bei Migration und im Kampf gegen Terrorismus bitten und das Land wie ein Objekt behandeln. Europa sollte verlässliche Partnerschaften mit seinen Nachbarn aufbauen.
Wie sollten diese aussehen? Eine Win-win-Partnerschaft ohne Nord-Süd-Gefälle. Marokko will eine vertrauenswürdige, gleichberechtigte Partnerschaft. Es kann nicht wie bei einer Speisekarte funktionieren, von der man nimmt, worauf man gerade Appetit hat – wenn ich dich brauche, gut, wenn nicht, fahr zur Hölle.
ZUR PERSON
Nasser Bourita (geboren am 27. Mai 1969 in Taounate) ist seit einem Jahr Außenminister von Marokko. Von 2011 bis 2016 war der parteilose Diplomat Generalsekretär des Ministeriums, danach Staatssekretär. Der 49-Jährige hat sich mittlerweile einen Namen dafür gemacht, sich kaum ein Blatt vor den Mund zu nehmen.