Was das Elektropaket bringt
Verkehr. Freie Fahrt auf Busspuren, Gratisparken in den Städten sowie 130 km/h statt Umwelt-Hunderter. Die Regierung will E-Autos privilegieren. Dafür gibt es sowohl Applaus als auch Kritik. Was es bringen könnte, zeigt das Beispiel Norwegen.
Freie Fahrt auf Busspuren, Gratisparken sowie 130 km/h statt Umwelthunderter. Die Regierung will E-Autos privilegieren.
Wien. Fünfzehnmal kommt das Wort Elektromobilität in der Energiestrategie der Bundesregierung („Mission 2030“) vor. Und auch wenn sie dabei auf konkrete Zielzahlen verzichtet – die noch vom ehemaligen Umweltminister Nikolaus Berlakovich 2012 genannten 250.000 Elektroautos bis 2020 werden definitiv weit verfehlt werden –, preist sie elektrisch betriebene Autos als entscheidenden Schlüssel für einen „dekarbonisierten Verkehr“. Nur so könnten die CO2-Emissionen in jenem Sektor eingedämmt werden, der für 46 Prozent des gesamten Kohlendioxidausstoßes (außerhalb des Emissionshandels) steht.
Um den Worten auch Taten folgen zu lassen, wurde im Ministerrat am Mittwoch ein Elektroautopaket beschlossen, mit dem die strombetriebenen Fahrzeuge mittels nicht finanzieller Privilegien gefördert werden sollen. Während die Autofahrerklubs applaudierten, gab es von Umweltschützern sowie SPÖ- oder Grün-dominierten Kommunen vor allem Kritik (siehe Artikel unten). Um welche konkreten Förderungen geht es, und was wären die Vor- und was die Nachteile? „Die Presse“gibt Antworten:
1 Welche Sonderrechte sollen Elektroautos künftig haben?
Drei konkrete Privilegien sollen Elektroautos künftig gegenüber konventionellen Fahrzeugen haben. Erstens sollen sie in den Städten auch Busspuren benutzen dürfen. Das ist bisher dem öffentlichen Verkehr sowie Taxis vorbehalten. Zweitens soll die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h durch das Immissionsschutzgesetz-Luft auf Autobahnen für sie nicht mehr gelten. Elektroautos dürften im sogenannten Luft-Hunderter weiterhin 130 km/h fahren. Zu guter Letzt sollen sie laut Plan der Bundesregierung in Kurzparkzonen auch gratis parken dürfen. Die IG-L-Beschränkung kann die Regierung selbst aufheben, bei der Benutzung der Busspur und vor allem dem Gratisparken ist sie auf die Kooperation der Kommunen angewiesen. Da viele bereits Widerstand angekündigt haben, erklärte Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), die Öffnung der Busspur notfalls durch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung zu erzwingen.
2 Welche Effekte erwartet sich die Regierung dadurch?
Obwohl sich die Verkaufszahlen von Elektroautos zuletzt deutlich erhöht haben, machen sie nach wie vor nur einen Bruchteil aller neu verkauften Fahrzeuge aus (siehe Grafik). In Summe sind von den knapp fünf Millionen Autos auf Österreichs Straßen nur 18.459 elek- trisch unterwegs. Die neuen Privilegien sollen die Nachteile von Elektroautos (höherer Preis, niedrigere Reichweite) ausgleichen und sie so attraktiver machen.
Österreich folgt damit internationalen Vorbildern. So wurden die Busspuren beispielsweise in Deutschland (2015) und Großbritannien (2016) bereits grundsätzlich geöffnet, wiewohl auch in diesen Ländern viele Städte das nicht umsetzen. Als großes Vorbild gilt ohnehin Norwegen, wo Elektroautos bereits seit 2005 alle Busspuren benutzen dürfen sowie keine Parkgebühren und keine Mauten bezahlen müssen. Laut einer Studie des norwegischen Autofahrerklubs NAF war die Benützung der Busspur etwa für 30 Prozent der Elektroautokäufer ein wichtiges Kriterium, die Mautbefreiung sogar für fast 70 Prozent. Die Bevorzugung machte E-Autos in Norwegen immens populär – im September erreichte ihr Marktanteil bei den Neufahrzeugen einen neuen Rekordwert von 60,1 Prozent.
3 Welche Argumente führen die Kritiker ins Treffen?
Die Kritiker sehen bei allen drei vorgeschlagenen Privilegien Probleme. So könne die Nutzung der Busspuren durch Elektroautos zu einer Verlangsamung des öffentlichen Nahverkehrs führen. Vor allem bei jenen Kreuzungen, über die Busse bevorzugt fahren können, würde dieser Effekt schlagend werden. Auch die höhere Geschwindigkeit in der IG-L-Beschränkung sei problematisch, da laut Berechnungen des Umweltbundesamts 58 Prozent der Feinstaubemissionen durch Reifenabrieb und Aufwirbelung entstehen. Und da ist es egal, ob der Motor elektrisch betrieben wird oder nicht. Das Gratisparken kann indes zu einer weiteren Verknappung des Platzes führen, wenn Elektro-Pendler den ganzen Tag in der Kurzparkzone stehen.
4 Wie sieht die Situation im Vorbildland Norwegen inzwischen aus?
In Norwegen ist inzwischen etwa jedes vierzehnte Auto ein Elektrofahrzeug – in den Städten wie Oslo ist dieser Anteil noch wesentlich höher. Das führt dazu, dass die Privilegien bereits spürbare Effekte haben. So klagen die Betreiber von Fähren oder Mauttunnels über Einnahmenausfälle. Gleiches gilt für die Parkgebührenreferate der Kommunen. Und in Oslo gibt es schon seit einigen Jahren heftige Kritik der Busfahrer, dass sie ihre Fahrpläne zunehmend nicht mehr einhalten könnten. Laut Stadtregierung betrifft das aber nur einige neuralgische Punkte. Dennoch wurde bereits 2015 eingeführt, dass zwei Personen in einem Elektroauto sitzen müssen, damit es auf der Busspur fahren kann. Seit 2017 wird nun sukzessive damit begonnen, sämtliche Privilegien langsam zurückzufahren.
Die Regierung will jetzt also den mehr als schleppenden Markteintritt der Elektroautos beschleunigen und hat sich dafür (neben der bestehenden Kaufprämie) ein paar Goodies ausgedacht: Gratisparken in Städten, Benutzung der Busspuren, 130 statt 100 km/h im „Lufthunderter“auf der Autobahn. Ganz lieb und sehr lobenswert: Wir alle wollen, dass die Belastung durch Verkehrsemissionen sinkt. Und dafür soll E-Mobilität eben einen entscheidenden Beitrag leisten.
Aber werden die gestern von den Ministern Hofer und Köstinger verkündeten Maßnahmen den Absatz von E-Autos, die derzeit ja fast ausschließlich von Behörden und Unternehmen verwendet werden, entscheidend ankurbeln? Eher nicht. Sie zeigen höchstens, dass die Regierung kein brauchbares Mobilitätskonzept hat und dass die beteiligten Ministerien E-Mobilität nicht wirklich verstehen.
Die Verkehrsbelastung der Innenstädte beispielsweise kann man nur abmildern, indem man den Individualverkehr ganz unabhängig von der Antriebsart einbremst beziehungsweise den öffentlichen Verkehr bevorzugt. Die Öffnung der Busspuren für E-Autos ist das exakte Gegenteil davon. In Norwegen, wo man das schon ausprobiert hat, geht man davon gerade wieder ab: E-Mobile dürfen die Busspur in Oslo nur noch benutzen, wenn mehr als eine Person im Auto sitzt. Aus gutem Grund: E-Autos haben die Busspuren in zu großem Ausmaß blockiert.
Und wer schon einmal einen 600-PSTesla überholt hat, der auf der Autobahn mit 90 km/h im Windschatten eines Lkw cruist, um Reichweite zu gewinnen, der kann über die Aufhebung des „Lufthunderters“für Stromer nur noch meckernd lachen. Ein Tesla 100 D etwa verschenkt laut Werksangaben 123 Kilometer Reichweite, wenn er statt mit 100 mit 120 unterwegs ist. Für 130 gibt Tesla gar keine Reichweitenverkürzung mehr an. Das ist wohl nur ein Tempo für Fahrer, die Ladesäulen lieben. Nicht umsonst nennt Tesla den Fahrmodus, der die 600 PS wirklich aus dem Käfig lässt, Insane Mode.
Anders gesagt: Elektromobilität verlangt ein völlig anderes Fahrverhalten. Dass E-Autos in Norwegen (im Gegensatz zum Rest Europas) zum Verkaufsrenner wurden, hat nicht nur mit umfangreichen steuerlichen Goodies zu tun, sondern auch mit dem Fahrverhalten: Man fährt eher kurze Strecken mit dem Auto, und die erlaubte Geschwindigkeit ist mit 80 km/h auf Landstraßen und 100 km/ auf Autobahnen strikt begrenzt. H ier mit einer Erhöhung des Tempolimits punkten zu wollen ist wirklich Wirtshauspolitik nach dem Motto „Is’ a Hetz und kost’ net viel“. Würde man wirklich E-Mobilität pushen wollen, dann würde man beispielsweise intensiv Geld für den Ausbau der Ladeinfrastruktur bereitstellen, statt solches für sinnlose, weil von Privaten nicht ausgenutzte 4000-Euro-Kaufzuschüsse zu verplempern. Man würde die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, dass die Einrichtung von Lademöglichkeiten in Garagen von privaten Mehrparteienwohnhäusern erleichtert wird. Und so weiter und so fort.
Und man würde natürlich die Industrie „motivieren“, endlich für ein vernünftiges Angebot zu sorgen. E-Mobilität wird sich nämlich, ganz unabhängig davon, wie schnell man bei Smog auf der Autobahn fahren darf, nur durchsetzen, wenn es vernünftige Angebote für den Massenmarkt gibt. Solche alltagstauglichen Fahrzeuge (und unter Alltagstauglichkeit versteht man nicht nur leistbare Preise, sondern auch, dass man gelegentlich im Winter Strecken von mehr als 150 Kilometern am Stück zurücklegen kann) sucht man derzeit vergeblich. Vor allem in Deutschland, wo die Premiumhersteller zuerst den Trend verschlafen haben und jetzt zum echten Einstieg Elektropanzer der SUV-Klasse mit Preisen von 80.000 Euro aufwärts ankündigen.
Man sieht: Der Elektromobilität gehört möglicherweise die Zukunft, aber wir sind von echter Alltagstauglichkeit wohl noch Lichtjahre entfernt. Den Weg dahin abzukürzen wird mehr erfordern, als ein paar kosmetische Maßnahmen zu setzen und das dann als große Umweltoffensive zu verkaufen.