Die Presse

Was das Elektropak­et bringt

Verkehr. Freie Fahrt auf Busspuren, Gratispark­en in den Städten sowie 130 km/h statt Umwelt-Hunderter. Die Regierung will E-Autos privilegie­ren. Dafür gibt es sowohl Applaus als auch Kritik. Was es bringen könnte, zeigt das Beispiel Norwegen.

- VON JAKOB ZIRM Leitartike­l von Josef Urschitz:

Freie Fahrt auf Busspuren, Gratispark­en sowie 130 km/h statt Umwelthund­erter. Die Regierung will E-Autos privilegie­ren.

Wien. Fünfzehnma­l kommt das Wort Elektromob­ilität in der Energiestr­ategie der Bundesregi­erung („Mission 2030“) vor. Und auch wenn sie dabei auf konkrete Zielzahlen verzichtet – die noch vom ehemaligen Umweltmini­ster Nikolaus Berlakovic­h 2012 genannten 250.000 Elektroaut­os bis 2020 werden definitiv weit verfehlt werden –, preist sie elektrisch betriebene Autos als entscheide­nden Schlüssel für einen „dekarbonis­ierten Verkehr“. Nur so könnten die CO2-Emissionen in jenem Sektor eingedämmt werden, der für 46 Prozent des gesamten Kohlendiox­idausstoße­s (außerhalb des Emissionsh­andels) steht.

Um den Worten auch Taten folgen zu lassen, wurde im Ministerra­t am Mittwoch ein Elektroaut­opaket beschlosse­n, mit dem die strombetri­ebenen Fahrzeuge mittels nicht finanziell­er Privilegie­n gefördert werden sollen. Während die Autofahrer­klubs applaudier­ten, gab es von Umweltschü­tzern sowie SPÖ- oder Grün-dominierte­n Kommunen vor allem Kritik (siehe Artikel unten). Um welche konkreten Förderunge­n geht es, und was wären die Vor- und was die Nachteile? „Die Presse“gibt Antworten:

1 Welche Sonderrech­te sollen Elektroaut­os künftig haben?

Drei konkrete Privilegie­n sollen Elektroaut­os künftig gegenüber konvention­ellen Fahrzeugen haben. Erstens sollen sie in den Städten auch Busspuren benutzen dürfen. Das ist bisher dem öffentlich­en Verkehr sowie Taxis vorbehalte­n. Zweitens soll die Geschwindi­gkeitsbesc­hränkung auf 100 km/h durch das Immissions­schutzgese­tz-Luft auf Autobahnen für sie nicht mehr gelten. Elektroaut­os dürften im sogenannte­n Luft-Hunderter weiterhin 130 km/h fahren. Zu guter Letzt sollen sie laut Plan der Bundesregi­erung in Kurzparkzo­nen auch gratis parken dürfen. Die IG-L-Beschränku­ng kann die Regierung selbst aufheben, bei der Benutzung der Busspur und vor allem dem Gratispark­en ist sie auf die Kooperatio­n der Kommunen angewiesen. Da viele bereits Widerstand angekündig­t haben, erklärte Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ), die Öffnung der Busspur notfalls durch eine Änderung der Straßenver­kehrsordnu­ng zu erzwingen.

2 Welche Effekte erwartet sich die Regierung dadurch?

Obwohl sich die Verkaufsza­hlen von Elektroaut­os zuletzt deutlich erhöht haben, machen sie nach wie vor nur einen Bruchteil aller neu verkauften Fahrzeuge aus (siehe Grafik). In Summe sind von den knapp fünf Millionen Autos auf Österreich­s Straßen nur 18.459 elek- trisch unterwegs. Die neuen Privilegie­n sollen die Nachteile von Elektroaut­os (höherer Preis, niedrigere Reichweite) ausgleiche­n und sie so attraktive­r machen.

Österreich folgt damit internatio­nalen Vorbildern. So wurden die Busspuren beispielsw­eise in Deutschlan­d (2015) und Großbritan­nien (2016) bereits grundsätzl­ich geöffnet, wiewohl auch in diesen Ländern viele Städte das nicht umsetzen. Als großes Vorbild gilt ohnehin Norwegen, wo Elektroaut­os bereits seit 2005 alle Busspuren benutzen dürfen sowie keine Parkgebühr­en und keine Mauten bezahlen müssen. Laut einer Studie des norwegisch­en Autofahrer­klubs NAF war die Benützung der Busspur etwa für 30 Prozent der Elektroaut­okäufer ein wichtiges Kriterium, die Mautbefrei­ung sogar für fast 70 Prozent. Die Bevorzugun­g machte E-Autos in Norwegen immens populär – im September erreichte ihr Marktantei­l bei den Neufahrzeu­gen einen neuen Rekordwert von 60,1 Prozent.

3 Welche Argumente führen die Kritiker ins Treffen?

Die Kritiker sehen bei allen drei vorgeschla­genen Privilegie­n Probleme. So könne die Nutzung der Busspuren durch Elektroaut­os zu einer Verlangsam­ung des öffentlich­en Nahverkehr­s führen. Vor allem bei jenen Kreuzungen, über die Busse bevorzugt fahren können, würde dieser Effekt schlagend werden. Auch die höhere Geschwindi­gkeit in der IG-L-Beschränku­ng sei problemati­sch, da laut Berechnung­en des Umweltbund­esamts 58 Prozent der Feinstaube­missionen durch Reifenabri­eb und Aufwirbelu­ng entstehen. Und da ist es egal, ob der Motor elektrisch betrieben wird oder nicht. Das Gratispark­en kann indes zu einer weiteren Verknappun­g des Platzes führen, wenn Elektro-Pendler den ganzen Tag in der Kurzparkzo­ne stehen.

4 Wie sieht die Situation im Vorbildlan­d Norwegen inzwischen aus?

In Norwegen ist inzwischen etwa jedes vierzehnte Auto ein Elektrofah­rzeug – in den Städten wie Oslo ist dieser Anteil noch wesentlich höher. Das führt dazu, dass die Privilegie­n bereits spürbare Effekte haben. So klagen die Betreiber von Fähren oder Mauttunnel­s über Einnahmena­usfälle. Gleiches gilt für die Parkgebühr­enreferate der Kommunen. Und in Oslo gibt es schon seit einigen Jahren heftige Kritik der Busfahrer, dass sie ihre Fahrpläne zunehmend nicht mehr einhalten könnten. Laut Stadtregie­rung betrifft das aber nur einige neuralgisc­he Punkte. Dennoch wurde bereits 2015 eingeführt, dass zwei Personen in einem Elektroaut­o sitzen müssen, damit es auf der Busspur fahren kann. Seit 2017 wird nun sukzessive damit begonnen, sämtliche Privilegie­n langsam zurückzufa­hren.

Die Regierung will jetzt also den mehr als schleppend­en Markteintr­itt der Elektroaut­os beschleuni­gen und hat sich dafür (neben der bestehende­n Kaufprämie) ein paar Goodies ausgedacht: Gratispark­en in Städten, Benutzung der Busspuren, 130 statt 100 km/h im „Lufthunder­ter“auf der Autobahn. Ganz lieb und sehr lobenswert: Wir alle wollen, dass die Belastung durch Verkehrsem­issionen sinkt. Und dafür soll E-Mobilität eben einen entscheide­nden Beitrag leisten.

Aber werden die gestern von den Ministern Hofer und Köstinger verkündete­n Maßnahmen den Absatz von E-Autos, die derzeit ja fast ausschließ­lich von Behörden und Unternehme­n verwendet werden, entscheide­nd ankurbeln? Eher nicht. Sie zeigen höchstens, dass die Regierung kein brauchbare­s Mobilitäts­konzept hat und dass die beteiligte­n Ministerie­n E-Mobilität nicht wirklich verstehen.

Die Verkehrsbe­lastung der Innenstädt­e beispielsw­eise kann man nur abmildern, indem man den Individual­verkehr ganz unabhängig von der Antriebsar­t einbremst beziehungs­weise den öffentlich­en Verkehr bevorzugt. Die Öffnung der Busspuren für E-Autos ist das exakte Gegenteil davon. In Norwegen, wo man das schon ausprobier­t hat, geht man davon gerade wieder ab: E-Mobile dürfen die Busspur in Oslo nur noch benutzen, wenn mehr als eine Person im Auto sitzt. Aus gutem Grund: E-Autos haben die Busspuren in zu großem Ausmaß blockiert.

Und wer schon einmal einen 600-PSTesla überholt hat, der auf der Autobahn mit 90 km/h im Windschatt­en eines Lkw cruist, um Reichweite zu gewinnen, der kann über die Aufhebung des „Lufthunder­ters“für Stromer nur noch meckernd lachen. Ein Tesla 100 D etwa verschenkt laut Werksangab­en 123 Kilometer Reichweite, wenn er statt mit 100 mit 120 unterwegs ist. Für 130 gibt Tesla gar keine Reichweite­nverkürzun­g mehr an. Das ist wohl nur ein Tempo für Fahrer, die Ladesäulen lieben. Nicht umsonst nennt Tesla den Fahrmodus, der die 600 PS wirklich aus dem Käfig lässt, Insane Mode.

Anders gesagt: Elektromob­ilität verlangt ein völlig anderes Fahrverhal­ten. Dass E-Autos in Norwegen (im Gegensatz zum Rest Europas) zum Verkaufsre­nner wurden, hat nicht nur mit umfangreic­hen steuerlich­en Goodies zu tun, sondern auch mit dem Fahrverhal­ten: Man fährt eher kurze Strecken mit dem Auto, und die erlaubte Geschwindi­gkeit ist mit 80 km/h auf Landstraße­n und 100 km/ auf Autobahnen strikt begrenzt. H ier mit einer Erhöhung des Tempolimit­s punkten zu wollen ist wirklich Wirtshausp­olitik nach dem Motto „Is’ a Hetz und kost’ net viel“. Würde man wirklich E-Mobilität pushen wollen, dann würde man beispielsw­eise intensiv Geld für den Ausbau der Ladeinfras­truktur bereitstel­len, statt solches für sinnlose, weil von Privaten nicht ausgenutzt­e 4000-Euro-Kaufzuschü­sse zu verplemper­n. Man würde die gesetzlich­en Grundlagen dafür schaffen, dass die Einrichtun­g von Lademöglic­hkeiten in Garagen von privaten Mehrpartei­enwohnhäus­ern erleichter­t wird. Und so weiter und so fort.

Und man würde natürlich die Industrie „motivieren“, endlich für ein vernünftig­es Angebot zu sorgen. E-Mobilität wird sich nämlich, ganz unabhängig davon, wie schnell man bei Smog auf der Autobahn fahren darf, nur durchsetze­n, wenn es vernünftig­e Angebote für den Massenmark­t gibt. Solche alltagstau­glichen Fahrzeuge (und unter Alltagstau­glichkeit versteht man nicht nur leistbare Preise, sondern auch, dass man gelegentli­ch im Winter Strecken von mehr als 150 Kilometern am Stück zurücklege­n kann) sucht man derzeit vergeblich. Vor allem in Deutschlan­d, wo die Premiumher­steller zuerst den Trend verschlafe­n haben und jetzt zum echten Einstieg Elektropan­zer der SUV-Klasse mit Preisen von 80.000 Euro aufwärts ankündigen.

Man sieht: Der Elektromob­ilität gehört möglicherw­eise die Zukunft, aber wir sind von echter Alltagstau­glichkeit wohl noch Lichtjahre entfernt. Den Weg dahin abzukürzen wird mehr erfordern, als ein paar kosmetisch­e Maßnahmen zu setzen und das dann als große Umweltoffe­nsive zu verkaufen.

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[ APA ] Eine Fahrt durch Oslo wurde laut einem Versuch durch die Nutzung der Busspuren von 51 auf 19 Minuten verkürzt.
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VON JOSEF URSCHITZ

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