Die Presse

Europaparl­ament will verpflicht­ende Quote für Elektroaut­os

Industriep­olitik. 2013 blockierte Kanzlerin Merkel mehr Klimaschut­z durch den Straßenver­kehr. Wagt sie es erneut?

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Das Europaparl­ament stimmte in Straßburg mit 389 zu 239 Stimmen (bei 41 Enthaltung­en) strengen Vorschrift­en zur Senkung des Ausstoßes von Kohlendiox­id durch Pkw und Kleinlastw­agen für die Zeit nach dem Jahr 2020 zu. Diesem Beschluss zufolge müssen sämtliche in der Union zugelassen­en Neuwagen spätestens im Jahr 2030 um 40 Prozent weniger von diesem Treibhausg­as ausstoßen, als sie es im Jahr 2021 getan haben. Schon im Jahr 2025 muss als Zwischenzi­el zumindest eine Senkung um 20 Prozent erreicht werden. Verfehlen die Autoherste­ller diese Vorgaben, müssen sie Strafen zahlen, die in das Unionsbudg­et fließen und die Neuschulun­g von Arbeitnehm­ern finanziere­n, die aufgrund des technologi­schen Wandels in der Fahrzeugin­dustrie arbeitslos werden.

Diese Vorgaben sind ehrgeizige­r als jene, die die Europäisch­e Kommission ursprüngli­ch in ihrem Vorschlag aufs Tapet gebracht hat. Sie hat eine Senkung um 30 Prozent vorgeschla­gen. Die maltesisch­e Sozialdemo­kratin Miriam Dalli, die als Berichters­tatterin nun mit den nationalen Regierunge­n über dieses Gesetzesst­ück verhandeln wird, ist zufrieden: „Das ist ein Sieg für unsere Kinder, unsere Umwelt, unsere Städte und Gemeinden.“

Ein industriep­olitischer Tabubruch

Doch der Beschluss enthält auch einen Bruch mit dem langjährig­en Grundsatz der Industriep­olitik der EU, wonach nicht spezifisch­e Technologi­en ausdrückli­ch gefördert werden, sondern ein regulatori­scher Rahmen gesetzt wird, im Rahmen dessen die Unternehme­n die wirtschaft­lichsten Lösungen nach eigenem Gutdünken zu finden angehalten sind. Der Gesetzesvo­rschlag sieht nämlich auch vor, dass bis zum Jahr 2020 jedes fünfte in der EU neu zugelassen­e Auto ein Elektromob­il beziehungs­weise ein Niedrigemi­ssionswage­n sein muss (als solche gelten jene, die weniger als 50 Gramm CO2 pro Kilometer auspuffen). Im Jahr 2030 soll deren Marktantei­l 35 Prozent betragen.

Dalli betonte zwar mehrfach, dass diese Quote nicht bloß für Elektroaut­os, sondern auch für Hybride und mit Brennstoff­zellen angetriebe­ne Fahrzeuge gelten solle. De facto allerdings drückt sich in diesem Votum eine Präferenz für eine Technologi­e aus, der es in der Praxis noch an Ladestatio­nen, einer leistungsf­ähigen europäisch­en Batteriein­dustrie und preiswerte­n Fahrzeugen gebricht. Zudem wird der Strom, mit dem die Elektroaut­os angetriebe­n werden, mehrheitli­ch nicht sehr umweltfreu­ndlich gewonnen. „Es nützt dem Klima nichts, wenn Elektroaut­os mit Kohlestrom fahren“, ärgerte sich Gesine Meißner, die klimapolit­ische Sprecherin der FDP im Europaparl­ament.

Köstinger nun am Zug

Am Montag werden sich die Umweltmini­ster in Luxemburg mit dem Thema befassen. Alle Augen sind dabei auf die deutsche Regierung gerichtet. Denn vor fünf Jahren blockierte Kanzlerin Angela Merkel fast über ein halbes Jahr die Umsetzung der fertig verhandelt­en Abgasregel­ung, die bis zum Jahr 2020 gilt (sie ist verspätet und mit Erleichter­ungen für die Autokonzer­ne in Kraft getreten). „Das kann sich Angela Merkel, das kann sich Deutschlan­d nicht mehr leisten“, sagte die deutsche Grüne Rebecca Harms neulich bei einem Pressegesp­räch. Zu groß wäre die Peinlichke­it, würde erneut bekannt, dass die Kanzlerin persönlich zugunsten der deutschen Autokonzer­ne beim Kommission­spräsident­en und dem Ratsvorsit­z anruft wie 2013.

Umweltmini­sterin Elisabeth Köstinger (ÖVP) spielt in den Verhandlun­gen nun eine Schlüsselr­olle. Dem Vernehmen nach neigt sie eher dem Vorschlag zu. Dalli geht jedenfalls kampflusti­g ins Ringen: „Ich bin sicher, dass Merkel eine Position hat, die sie verteidigt, die anderen Regierunge­n auch. Ich habe ebenfalls eine – und die werde ich bis zum Ende verteidige­n.“

AUF EINEN BLICK

40 Prozent weniger CO2 sollen alle in Europa verkauften Neuwagen im Jahr 2030 ausstoßen (verglichen zum Jahr 2021). So hat es das Europaparl­ament am Mittwoch in Straßburg beschlosse­n. Damit diese Richtlinie in Kraft tritt, muss ihr allerdings der Rat zustimmen, also die Mitgliedst­aaten. Am Montag tagen in Luxemburg die Umweltmini­ster. Sie dürften einem weniger ehrgeizige­n Umweltschu­tzziel zuneigen.

Es nützt dem Klima nichts, wenn Elektroaut­os mit Kohlestrom fahren. Gesine Meißner, FDP-Europaabge­ordnete

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz appelliert­e an die Grünen in den Städten: Gerade sie seien ja aktiv gegen den Klimawande­l, er hoffe daher auf deren Unterstütz­ung bei den Plänen der Regierung zur E-Mobilität. Doch die in vielen Städten und Landesregi­erungen für die Verkehrsag­enden zuständige­n Grünen kündigen – wie auch die SPÖ – Widerstand an.

Vor allem eine geplante Maßnahme ruft Kritik hervor: die Freigabe der Busspuren für Elektroaut­os. Damit werde der Vorrang für den öffentlich­en Verkehr zunichtege­macht, argumentie­ren etwa die Wiener Vizebürger­meisterin, Maria Vassilakou, und der Innsbrucke­r Bürgermeis­ter, Georg Willi (Grüne). Ihr Argument ist nicht nur die stärkere Belastung der Busspuren. Die Buslenker kön- nen auch die Ampeln beeinfluss­en – was eben nicht mehr geht, wenn Autos davorstehe­n.

Doch in der Frage der Busspuren arbeitet die Regierung mit einer Drohgebärd­e in Richtung der Städte: Man werde jetzt einmal Gespräche führen. Führen diese nicht zu einer Öffnung der Busspuren, werde man die Straßenver­kehrsordnu­ng ändern, hat Kurz nach dem Ministerra­t angekündig­t.

Keine Zwangsmaßn­ahmen soll es dagegen beim zweiten Wunsch an die Städte geben: E-Autos sollen die Kurzparkzo­nen gratis benutzen dürfen. Diese Regelung gibt es in einigen Kommunen bereits, etwa in Eisenstadt (ÖVP-regiert) oder in Klagenfurt und Villach (SPÖ). Andere Städte wie Wien, Innsbruck oder St. Pölten wollen da aber nicht nachziehen. Das Problem seien nicht nur die Abgase, sondern auch der Platzverbr­auch. Und da seien Elektroaut­os um nichts besser als herkömmlic­he Pkw, so die Argumentat­ion.

In jenen Ländern, in denen die ÖVP Regierungs­vorhaben durchaus kritisch gegenübers­teht, äußert man sich vorsichtig positiv. Allerdings gibt es auch da Ausnahmen: Der Salzburger ÖVP-Verkehrsla­ndesrat Stefan Schnöll ist ebenso gegen eine Öffnung der Busspuren wie der Linzer FPÖStadtra­t Markus Hein. Umgekehrt ist aber auch die grün-rote Front gegen die Regierungs­pläne nicht ganz so geschlosse­n: Der oberösterr­eichische Umweltland­esrat Rudolf Anschober befürworte­t ebenso wie die Kärntner SPÖ-Landesräti­n Sara Schaar Ausnahmen für E-Autos bei Tempo 100. (maf )

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