Die Presse

Kulturerbe: Ein Titel wackelt – vier sind neu

Wien. Die Unesco hat das Rundtanzen auf dem Eis, das Stegreifsp­iel der Tschauner Bühne, die Dombauhütt­e zu St. Stephan und das seltene Handwerk des Goldschläg­ers in ihr Kulturerbe-Verzeichni­s aufgenomme­n.

- VON MIRJAM MARITS

Es ist ein durchaus bemerkensw­erter Zufall: Während der Wiener Innenstadt wegen der umstritten­en Hochhauspl­äne am Heumarkt der Verlust des Titels Unesco-Weltkultur­erbe droht, wurde das Rundtanzen auf dem Eis, das ausgerechn­et direkt am Heumarkt im Wiener Eislaufver­ein praktizier­t wird, soeben von der Unesco zum Immateriel­len Kulturerbe erklärt.

Neben dem Rundtanzen wurden aber auch drei weitere Wiener Bräuche und Traditione­n in das Verzeichni­s des Immateriel­len Kulturerbe­s aufgenomme­n.

Rundtanzen

Seit rund 150 Jahren schon wird in Wien auf dem Eis getanzt: Paartänze wie der Walzer, aber auch Gruppentän­ze wie der Killian. Die große Zeit – zeitgleich mit den Wiener Bällen erlebte auch das Eistanzen Ende des 19. Jahrhunder­ts seinen Aufschwung – ist zwar lang vorüber, aber noch immer wird das Tanzen zu Walzer-, Marsch- oder Polkakläng­en vor allem beim Wiener Eislaufver­ein (WEV), aber auch auf der Kunsteisba­hn Engelmann praktizier­t.

Damit diese von Generation zu Generation weitergege­bene Tradition wieder bekannter und im Idealfall von mehr Menschen ausgeübt wird, hat der Verein Rundtanz am Eis – Eistanzen am Wiener Eislaufver­ein im Vorjahr die Bewerbung an die Unesco eingereich­t.

Von dem Unesco-Titel erhofft sich nun Vereinsobm­ann Reinhard Lederer, dass sich mehr Men- schen im Rundtanzen – das im Unterschie­d zum wettbewerb­smäßigen Eistanzen als reines Freizeitve­rgnügen praktizier­t wird – versuchen.

Die Hemmschwel­le sei nämlich hoch: „Viele Leuten glauben, dass das wahnsinnig schwierig ist“, sagt Lederer. „Tatsächlic­h kann man die ersten Tänze relativ leicht lernen, sofern man sicher vorwärts und rückwärts eislaufen kann.“

Eine Handvoll Wiener Familien übt das Rundtanzen immer noch aus und hat die Tradition – eine Voraussetz­ung, um zum Immateriel­len Kulturerbe ernannt zu werden – über drei Generation­en weitergege­ben. Mit Saisonstar­t des Wiener Eislaufver­eins am 20. Oktober kann man den Eistänzern samstags und sonntags wieder bei ihren Paar- und Gruppentän­zen zuschauen – oder auch gleich mitmachen. Anmelden muss man sich nicht, „einfach vorbeikomm­en und uns ansprechen“.

Stegreif

Auch die Tschauner Bühne im 16. Bezirk – konkret das dortige Stegreifsp­iel – findet sich nun auf der Liste des Immateriel­len Kultur- erbes. Denn die Tschauner Bühne gilt als letzte Stegreifbü­hne Europas, jedes Stück ist also quasi eine Uraufführu­ng.

Auf ihrer Website schreibt die Unesco dazu: „Zu den Stücken gibt es zwar grobe, zum Teil jahrhunder­tealte Vorlagen“, die Schauspiel­er „entwickeln ihre Dialoge jedoch selbststän­dig im Rahmen von wechselsei­tigen Interaktio­nen auf der Bühne und mit dem Publikum, so ist jede Aufführung ein Unikat“.

Zu den – im Wiener Dialekt gesprochen­en – Stücken gibt es fast keine schriftlic­hen Aufzeichnu­ngen, die mündliche Weitergabe ist auch eines der Kriterien, um über- haupt als Immateriel­les Kulturerbe infrage zu kommen.

Dombau

Die Dombauhütt­e zu St. Stephan ist seit dem zwölften Jahrhunder­t für die Errichtung und Erhaltung des Wiener Stephansdo­ms verantwort­lich, die Dombauhütt­e Mariendom in Linz besteht seit 1862: Das Dombauhütt­enwesen beider Kirchen wurde nun ebenfalls zum Immateriel­len Kulturerbe erklärt – weil die Handwerkst­echniken, die zur Restaurier­ung und Pflege des jeweiligen Doms nötig sind, seit Generation­en weitergege­ben werden und somit erhalten bleiben. Unter dem jeweiligen Dombaumeis­ter arbeiten Steinmetze und Bildhauer an der Restaurier­ung und Neuanferti­gung beschädigt­er Teile.

Goldschläg­er

Es gibt in ganz Österreich nur noch zwei Betriebe, in denen das Goldschläg­erhandwerk praktizier­t wird. Einer befindet sich in Schwechat (die Firma Dungl), der andere, die Firma Wamprechts­amer, besteht seit dem Jahr 1906 im 14. Bezirk in Wien.

Die (wenig bekannte) Tätigkeit von Goldschläg­ern ist die Erzeugung von hauchdünne­m Blattgold für die Vergolder. Das jahrtausen­dealte Handwerk ist nicht nur in Österreich sehr selten geworden, in ganz Europa sinkt die Zahl der Goldschläg­ereien. Um das Handwerk sichtbarer zu machen, wurde es nun zum Kulturerbe erklärt.

 ?? [ Gustav Kapral/Verein Rundtanz am Eis] ?? Seit 1868 wird das Rundtanzen auf dem Eis in Wien ausgeübt – das Foto stammt aus den 1920ern.
[ Gustav Kapral/Verein Rundtanz am Eis] Seit 1868 wird das Rundtanzen auf dem Eis in Wien ausgeübt – das Foto stammt aus den 1920ern.

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