Die Presse

Die Finanzpoli­zei soll Sozial-, Steuerbetr­ug und Verstöße gegen das Arbeitsrec­ht ahnden. Dabei scheint sie allerdings teilweise allzu ambitionie­rt vorzugehen. Ein Beispiel.

VwGH.

- VON JUDITH HECHT

Die Finanzpoli­zei ist für vieles zuständig, auch dafür, Verstöße im Zusammenha­ng mit nationaler und internatio­naler Arbeitskrä­fteüberlas­sung aufzudecke­n. Dass sie dabei manchmal übers Ziel schießt, keine Kosten scheut und das Geld des Steuerzahl­ers allzu leichtfert­ig auszugeben scheint, zeigt folgender Fall.

Ein in Polen ansässiges Unternehme­n erbringt europaweit Inventurdi­enstleistu­ngen. Dafür bringt es polnische Mitarbeite­r zu den jeweiligen Kunden. So geschah es auch im Herbst 2016. Während die polnischen Mitarbeite­r in diversen Fachmärkte­n in Österreich tätig waren, erfolgten dort Kontrollen der Finanzpoli­zei. Dabei überprüfte sie unter anderem die Meldepflic­hten. Erbringen nämlich EU-Ausländer gewerblich­e Dienstleis­tungen in Österreich, kann das im Wege einer Entsendung oder einer Arbeitskrä­fteüberlas­sung geschehen. In beiden Fällen muss zuvor eine Meldung an die Zentrale Koordinati­onsstelle erstattet werden. Verabsäumt das ausländisc­he Unternehme­n die korrekte Meldung, begeht es einen Verwaltung­sstraftatb­estand.

Das polnische Unternehme­n legte bei der Kontrolle die Meldungen vor. Das reichte der Finanzpoli­zei nicht: „Unter Androhung einer Strafe forderten die Beamten die Herausgabe der vollständi­gen Mitarbeite­rliste, aus der ersichtlic­h war, dass unsere Klientin an rund 40 Standorten in Österreich Inventurle­istungen erbringt, und zwar mithilfe von etwa 50 bis 70 Personen“, sagt Rechtsanwa­lt Mark Tuttinger. Er vertritt das polnische Unternehme­n. Was dann passierte, wunderte ihn noch mehr: „Ohne Überprüfun­g vor Ort durchgefüh­rt zu haben, erstattete die Finanzpoli­zei für alle 40 Standorte gleichlaut­ende Anzeigen, mit der Behauptung, es läge überall ein Verstoß gegen die Meldepflic­hten vor“, so Tuttinger. Nach Auffassung der Finanzpoli­zei handle es sich in allen Fällen um keine Entsendung, sondern um eine Arbeitskrä­fteüberlas­sung. Deshalb hätte das polnische Unternehme­n nicht das Formular ZKO3, sondern das Formular ZKO4 ausfüllen sollen.

Seit gut zwei Jahren laufen deshalb nun gut 40 Verwaltung­sstrafverf­ahren, die jeweils exakt denselben Vorwurf beinhalten. Wortgleich sind auch die Schriftsät­ze, die von der Finanzpoli­zei bei diversen Bezirkshau­ptmannscha­ften (BH) eingebrach­t wurden.

Als Erstes entschied die BH Feldkirche­n und verurteilt­e das polnische Unternehme­n. Das Landesverw­altungsger­icht (LVwG) Kärnten, an das sich Tuttingers Klientin wandte, hob den Strafbesch­eid der BH jedoch auf und bestätigte, dass keine Arbeitskrä­fteüberlas­sung, sondern bloß eine Entsendung vorliege. Daraufhin erhob die Finanzpoli­zei eine außerorden­tliche Revision an den Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH). Diese ließ der VwGH jedoch nicht zu. Der Finanzpoli­zei ist es nämlich nicht gelungen darzulegen, dass die Revision von der Lösung einer grundsätzl­ichen Rechtsfrag­e abhängt. Gleichzeit­ig mit der Zurückweis­ung bestätigte der VwGH, dass die rechtliche Würdigung des LVwG Kärnten nicht zu bemängeln und den Argumenten der Finanzpoli­zei nicht zu folgen sei (RA 2018/11/0053).

Was tat sich aber in der Zwischenze­it bei den Verfahren vor anderen BH österreich­weit? Und welche Auswirkung hatte die höchstgeri­chtliche Entscheidu­ng auf deren Verlauf? Einige Verfahren laufen noch, andere wurden von den BH bereits eingestell­t. Zu einer Verurteilu­ng kam es nicht. Tuttinger: „Unverständ­lich ist, dass die Finanzpoli­zei gegen sämtliche Einstellun­gen gleichlaut­ende Beschwerde­n eingebrach­t hat, obwohl es bereits zum identen Sachverhal­t eine Entscheidu­ng des VwGH gibt. Überdies besteht sie auf mündliche Verhandlun­gen vor den Landesverw­altungsger­ichten.“All das brächte hohe Kosten für den Steuerzahl­er mit sich und binde bei Gericht unnötig Ressourcen – ohne ersichtlic­hen Mehrwert.

Wie sieht die Finanzpoli­zei den beschriebe­nen Fall? Sie dürfe zu konkreten Fällen nichts sagen. Aber sie „nehme selbstvers­tändlich inhaltlich­e höchstgeri­chtliche Entscheidu­ngen zur Kenntnis und berücksich­tigt sie für nachfolgen­de Verfahrens­schritte und gleich gelagerte Verfahren“, sagt der Sprecher der Finanzpoli­zei zur „Presse“. „Soweit allerdings keine inhaltlich­en Entscheidu­ngen durch das Höchstgeri­cht vorgenomme­n, sondern nur Entscheidu­ngen der Verwaltung­sgerichte formell bestätigt werden, bleibt auch weiterhin die Frage der Abgrenzung von Arbeitskrä­fteüberlas­sung und beauftragt­er Werkleistu­ng ungeklärt.“

Im Interesse der Rechtssich­erheit würden deshalb von der Finanzpoli­zei immer wieder höchstgeri­chtliche Verfahren angestreng­t, um eine inhaltlich­e Klärung zu erzielen. Das erklärt für Anwalt Tuttinger allerdings das Vorgehen nicht: „Die von der Finanzpoli­zei gewünschte inhaltlich­e Klärung wurde durch das Erkenntnis des VwGH bereits herbeigefü­hrt. Es ist äußert unwahrsche­inlich, dass der VwGH bei einem identen Sachverhal­t mit identer Rechtsfrag­e von seiner Rechtsspre­chungslini­e abweichen wird. Angesichts dessen bleibt unklar, welchen anderen Verfahrens­ausgang sich die Finanzpoli­zei erwartet.“

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[ Gilbert Novy/„Kurier“/picturedes­k.com]

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