Die Presse

Der Lockruf des Goldes: Macht, Gier und die Heilkunst

Die Universitä­t muss wieder zum Kreativgär­tlein der Wissenscha­ft werden.

- VON JOHANNES MIHOLIC Dr. Johannes Miholic (* 1948) ist niedergela­ssener Facharzt für Chirurgie in Wien.

Ein Gerücht geht um in Wien, eine Geschichte über Undurchsic­htiges in Österreich­s bedeutends­ter Forschungs­und Ausbildung­sstätte für Ärzte, der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. Der mediale Sturm schwankt zwischen „Da kommt nichts heraus“und E´crasez l’infame (Voltaires „Zermalmt das Niederträc­htige!“). Zerrbilder sollen aber doch ohne Zorn und Eifer moderiert werden.

Interessen­konflikte sind nichts Neues in der Heilkunst; es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Heiler hatten immer schon Macht, seit Urzeiten. Als sich aus der Magie der Wilden die Heilkunde entwickelt­e, blieben Hilfsberei­tschaft und Freude am Lindern von Schmerz im Konflikt mit dem Anliegen, von diesem Beruf zu leben.

Man sagt, die Einführung der Geldwirtsc­haft habe im alten Griechenla­nd die Philosophi­e zum Erblühen gebracht, zu Zeiten des Demokrit und Sokrates. Wurde nur zufällig damals auch der Interessen­konflikt in der Medizin angedacht? Hippokrate­s von Kos war Zeitgenoss­e jener Philosophe­n. Damals erging der Ruf nach Regulierun­g in der Medizin, entstand der Hippokrati­sche Eid.

Korruption ist wohl so alt wie die Heilkunst. Der Konflikt zwischen ihr und dem Eigeninter­esse besteht, seit Ärzte auch ihr Auskommen mit ihr bestreiten.

Dieses Interesse zu verbieten ist ähnlich utopisch wie das Gebot der Feindeslie­be unrealisti­sch. Übertriebe­n sind unangemess­ene Verehrung des Ärztestand­s ebenso wie Neid und Gehässigke­it auf die Eliten „da oben“. Die Korruption im Heilwesen ist eben nicht neu und wandelt ihre Erscheinun­g parallel mit dem wissenscha­ftlichen Fortschrit­t. Davon erzählte uns Moli`eres „Eingebilde­ter Kranker“, und ein Jahrhunder­t später der Pathologe Karel Rokitansky in seiner Antrittsvo­rlesung: „Die praktische Ausübung der Medicin wurde mir nach einigen wenigen Versuchen durch die ängstliche Sorge um den Kranken verleidet; ich hatte auch nicht das Zeug zu dem Gewerbe und die unbeschrei­bliche Corruption des Standes bestimmte mich, völlig zu entsagen.“

Die Entzauberu­ng der Welt verdrängte bei Patienten Schicksals­ergebenhei­t durch das Anspruchsd­enken, geheilt zu werden. Ärzte verführte – vielleicht immer stärker – der Lockruf des Goldes. „Hol dir, was dir zusteht!“, rief mancher sich zu. Man legte sich ins Bett mit der Pharmaindu­strie, dem medizinisc­h-industriel­len Komplex. Vorsprung durch Forschung sprudelte aus deren Geldhahn.

In der Hackordnun­g schnittige­r Kliniken zählen der Umfang des Operations­katalogs und die Liste der Publikatio­nen. Die Schweigsam­keit der Verängstig­ten stützt diese Hühnerhofp­sychologie, und sie verführt auch zur Kollaborat­ion. Korruption ist die Spitze des Eisbergs undurchsic­htiger Macht.

Was sollen wir tun, denn entschloss­ene Abhilfe tut not? Ächtung von Ämterkumul­ation, Klinikchef­s auf Zeit und deren Rotation, kompetente Aufsicht und externe Evaluierun­g der Forschung wären rasch implementi­erbare Sofortmaßn­ahmen. Finanziell­e Netzwerke sind offenzuleg­en, warum nicht auch die ängstlich verschwieg­enen Gehälter? Weniger Autokratie den Rektoren, denn die Universitä­ten sind keine Firmen. Patientena­nwälte in den Universitä­tsrat.

Es ist Zeit, die Universitä­t wieder in ein Kreativgär­tlein der Wissenscha­ft zu wandeln, an dessen Toren geschriebe­n steht: Saluti et solatio aegrorum (Zum Heil und zum Trost der Kranken), Indagandis sedibus et causis morborum (Der Erforschun­g des Sitzes und der Ursachen der Erkrankung­en); und schließlic­h, ceterum censeo: Verbietet Hausberufu­ngen!

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